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    Der Todesengel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Todesengel
    Von Björn Becher

    Das italienische Thrillerkino („Giallo“) ist stark von den Filmen Alfred Hitchcocks beeinflusst. Bisweilen ist gar zu lesen, dass der Giallo die dreckigere, brutalere und freizügigere Variante des typischen Hitchcock-Thrillers sei. Referenzen zu den Werken des Altmeisters des Spannungskinos lassen sich daher in vielen Werken des Genres entdecken. Der Meisterregisseur Dario Argento (Suspiria) drehte 2005 für eine italienische TV-Reihe mit Do You Like Hitchcock? sogar eine direkte Hommage an den Briten. Andere Giallos wiederum greifen ungeniert Geschichten bekannter Hitchcock-Klassiker auf. So auch Maurizio Lucidis „Der Todesengel“, der trotz auffälliger Parallelen zu Der Fremde im Zug doch ziemlich eigenständig bleibt.

    Stefano Argenti (Tomas Milian), der erfolgreiche Betreiber einer Werbeagentur, bekommt die Chance seines Lebens: Er könnte seine Anteile an der Firma für viel Geld verkaufen und sich mit seiner Freundin, dem schönen Model Fabienne (Katia Christine), eine neue Existenz aufbauen. Doch es gibt ein Problem: Stefanos Ehefrau Luisa (Marisa Bartoli) ist eine kontrollsüchtige Tyrannin, die formal die Rechte an Stefanos Anteilen hält. Sie stimmt dem Verkauf nicht zu, um Stefano so weiter an sich zu fesseln. Immer wieder kreuzt Stefano den Weg des mysteriösen Grafen Matteo Tiepolo (Pierre Clémenti), dem er irgendwann von seinen Problemen erzählt. Graf Tiepolo schlägt daraufhin einen Deal vor: Er will Luisa umbringen, im Gegenzug soll Stefano auch einen Mord für ihn begehen. Entrüstet lehnt Stefano ab, schließlich hat er schon eigene Pläne, um doch noch an sein Geld zu kommen. Doch dem teuflischen Spiel des Grafen kann er nicht mehr entrinnen…

    Regisseur Maurizio Lucidi steht in der Regel nicht gerade für gehobenes Filmschaffen. Seine bekanntesten Werke „Halleluja... Amigo – Der Dicke in Mexiko“ und „Abrechnung in San Franzisco“, die vor allem durch schwach inszenierte Actionszenen auffallen, sind ein deutlicher Beleg für die magere Qualität der Lucidi‘schen Filmographie. Doch der unterschätzte „Der Todesengel“ ragt weit aus dem übrigen Schaffen des Italieners heraus. Dem Regisseur kam hier zu Gute, dass der Stoff frei von Action ist und Lucidi sich ganz auf die leisen Töne konzentrieren konnte.

    Langsam und geschickt wird die von Hitchcocks „Der Fremde im Zug“ beeinflusste Geschichte aufgebaut. Es bleibt viel Zeit, um Charaktere einzuführen und Beziehungen zu etablieren. Bis endlich etwas passiert, also Tiepolo zur Tat schreitet, dauert es eine ganze Weile. Trotzdem gehört gerade der breite Anfang zu den spannendsten Teilen von „Der Todesengel“. Die mysteriöse Aura des Grafen, der auch direkt der Serie serie,34 oder einem anderen Werk von David Lynch entsprungen sein könnte, nimmt den Zuschauer von der ersten Minute an gefangen. Dass mit Pierre Clémenti („Der große Irrtum“, Belle De Jour, Der Leopard) ein erstklassiger Charakterdarsteller für diesen Part zur Verfügung stand, macht sich voll bezahlt.

    Clémenti gegenüber steht Tomas Milian in einer für ihn ungewohnten Rolle. Der gebürtige Kubaner Milian gab meist in Polizeithrillern den harten Cop (Der Einzelkämpfer) oder in Western den armen Mexikaner (Der Gehetzte der Sierra Madre). In „Der Todesengel“ spielt Milian, wie aus dem Ei gepellt, ein Mitglied der feinen Gesellschaft, der das Töten völlig fremd ist. Von der ersten Minute an funktioniert er, nach einer stark an Antonionis Blow Up erinnernden Eingangssequenz, als Identifikationsfigur. Daher ist das unaufhaltsame Zusteuern auf eine Katastrophe auch umso intensiver. Das ebenfalls von Hitchcock entliehene Motiv des Unschuldigen, der verzweifelt versucht, die gegen ihn sprechenden Indizien der Polizei zu entkräften, kommt voll zum Tragen. Lucidi gelingt es sogar, dem oft verwendeten Thema einige neue Aspekte abzugewinnen.

    Fazit: „Der Todesengel“ ist ein feiner Thriller ohne die im italienischen Genrekino üblichen reißerischen Szenen, der nicht nur bei Giallo-Fans Anklang finden wird.

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