Die Great Western Railroad legt auf Betreiben des Gangsters Santer (Mario Adorf) eine Bahnlinie entgegen den Abmachungen mitten durch das Gebiet der Apachen. Das gefällt dem angehenden Häuptling Winnetou (Pierre Brice) gar nicht. Als dann noch sein Lehrer Klekih-petra (Hrvoje Svob) getötet wird, greift er das Städtchen Roswell und die Bahnlinie an. Unter den Verteidigern der Stadt befindet sich auch ein deutscher Ingenieur, der auf Grund seiner starken Faust den Beinamen Old Shatterhand (Lex Barker) erhalten hat. Im persönlichen Kampf mit Winnetou wird er schwer verletzt und gefangen genommen. Winnetous Schwester Ncho-tschi (Marie Versini) pflegt ihn gesund, damit er erstarkt am Marterpfahl sterben kann. Doch Nchotschi verliebt sich in ihn. Was Winnetou nicht weiß: Old Shatterhand war es, der ihn einmal unerkannt aus der Hand der verfeindeten Kiowa-Indianer befreit hat…
Von allen Karl-May-Verfilmungen ist die zweite des Berliner Erfolgsproduzenten Horst Wendtlandt die buchnaheste. Das liegt mitunter daran, dass „Winnetou I“ Karl Mays einziger Winnetou-Roman mit einer für die Umsetzung auf Zelluloid verwertbaren Spannungskurve sowie einer stimmigen Dramaturgie ist. Deswegen ist der Film auch einer der spannendsten und straffesten Werke der Reihe. In die 98 Minuten wird so ziemlich alles gepackt, was sich der Westernromantiker nur vorstellen und wünschen kann: eine Saloonschlägerei, gewagte Rettungsaktionen, Bisonjagd, Indianerüberfälle auf Planwagen und Stadt, die Romanze zwischen weißem Gefangenen und Indianerprinzessin, Mutproben und zu guter Letzt die Blutsbrüderschaft zwischen dem indianischen Häuptling und dem weißen Helden. All diese Geschehnisse finden in der geeigneten Abfolge in kurzer Zeit statt, sodass der Zuschauer sich über Längen nicht beklagen kann.
Der erste Film der Reihe, „Der Schatz im Silbersee“, wurde wider Erwartungen vieler ein großer Erfolg. Horst Wendtlandt allerdings, der schon erfolgreich die Edgar-Wallace-Reihe produziert hatte, glaubte seit Beginn an das Serienpotenzial der Winnetou-Geschichten und hatte sich früh die Rechte für nachfolgende Verfilmungen gesichert. Der Erfolg bestätigte seinen Glauben und 1963 gab er die Dreharbeiten für „Winnetou I“ in Auftrag. Das Gesamtbudget betrug stolze vier Millionen Mark und allein für die Dekoration und Reiterei wurden 600.000 Mark verpulvert. Drei Monate lang dauerten die Dreharbeiten, zweieinhalb davon im ehemaligen Jugoslawien, wo zuvor wochenlang nach den mittlerweile berühmt gewordenen Locations in der Gegend von Dalmatien gesucht wurde. Mit 30 Trucks und Pkw zog das Filmteam zu den Drehorten. 5.000 Komparsen und 50 Stuntmen nahmen am Dreh teil und an Requisiten fanden unter anderem eine Lokomotive, 200 Meter Schienen, fünf Planwagen und 40 Kanus Verwendung. Der Aufwand lohnte sich, denn „Winnetou I“ wurde ein großer Erfolg und mit der „Goldenen Leinwand“ für mehr als drei Millionen Besucher in Deutschland ausgezeichnet.
Die atmosphärische Dichte ist beachtlich und der Film fängt die wildromantische Stimmung der Vorlage trefflich ein. Das liegt insbesondere an der erstklassigen Szenerie, bestehend aus Dalmatiens schöner Landschaft und den aufwendigen Kulissenbauten, sowie an der eingängigen Musik von Martin Böttcher. Sein wunderbarer Soundtrack trug erheblich zur filmischen Legendenbildung Winnetous bei und wenn etwas an der Serie durchgängiges Weltklasseformat besitzt, dann ihr perfekter Score. In anderen Belangen erreicht „Winnetou I“ trotz all dem Aufwand kein absolutes Weltklasseformat. Es braucht schon eine gute Portion nostalgischer Verklärung, um die gesamte Reihe, oder aktuell „Winnetou I“, wirklich hoch zu schätzen. Denn einige Schwächen, die sind nun mal nicht von der Hand zu weisen.
Regisseur Harald Reinl genießt den Ruf eines Perfektionisten und sicherlich ist er einer der besseren Regisseure der Karl-May-Reihe. Nicht umsonst lagen die beiden besten Filme der Serie („Der Schatz im Silbersee“ und „Winnetou III“) in seinem Verantwortungsbereich. Doch er ist kein Regiegenie. Über bestenfalls ordentliche Schauwerte kommt „Winnetou I“ nicht heraus. Reinls Leistung mag sicher und fachmännisch sein, tut sich ansonsten aber nicht überdurchschnittlich hervor. Der viel beschworene und erwähnte naive Charme der Reihe kommt bei „Winnetou I“ besonders zur Geltung. Gelegentlich ist es dann aber doch zuviel des Guten. Manche Dialoge und Aussagen sind schon hart an der Grenze des Erträglichen und das hölzerne Agieren nahezu aller Darsteller, Ralf Wolter als Sam Hawkins ausgenommen, lässt gewisse Szenarien die Grenze zum unfreiwillig Komischen überschreiten. Die gewollte Komik gleicht die ungewollte aber aus. „Winnetou I“ bietet so viele humoristische Einlagen, dass der ungewollte Witz sich bestens ins Bild einfügt und nicht einmal negativ auffallen muss. Zwar mögen die Scherze auf den ein oder anderen etwas albern wirken, ein Lachen können sie aber nichtsdestotrotz provozieren und sympathisch machen sie den Film auch.
„Winnetou I“ ist aber keineswegs ein schlechter Film. Der dialogbedingte, trashige Eindruck täuscht sogar ein bisschen, denn gerade bei den aufwendigen Actionszenen läuft „Winnetou I“ zur Höchstform auf. Der Versuch eines europäischen Westerns darf sehr wohl als seriös bezeichnet werden und bei allem Humor nimmt sich das Werk an den richtigen Stellen auch selbst ernst. „Winnetou I“ scheut sich nicht, große Gefühle anzusprechen, sentimental zu werden und auch tugendhaftes Gedankengut zu vermitteln. Des Weiteren profitiert der Film vom richtigen Cast. Auch wenn sie nicht unbedingt exakt den Beschreibungen in Karl Mays Romanen entsprechen, kann sich mittlerweile kaum jemand Bessere vorstellen, als Lex Barker für Old Shatterhand und Pierre Brice für Winnetou. Hinzu kommen der witzige Ralf Wolter als die perfekte Inkarnation des Sam Hawkins, die anmutige Französin Marie Versini als Nchotschi und Mario Adorf als einer der besten Filmbösewichte des Karl-May-Universums. Er hinterließ beim Publikum einen so nachhaltigen Eindruck, dass bis heute immer wieder Leute meinen, er sei der Mörder von Winnetou gewesen.
Am Schluss ließe sich nur noch sagen, trotz möglichst objektiver Abwägung allem Für und Wider, wer mit diesen Filmen aufgewachsen ist, der wird sie ohnehin lieben und „Winnetou I“ bietet da keine Ausnahme. Das Wort Kult wird heutzutage gerne im Zusammenhang mit allem Möglichen benutzt, doch Winnetou - und das steht nicht zur Debatte - hat diese Bezeichnung verdient. Der edle Häuptling der Apachen ist kult.