Vorbemerkung: Dieser Film polarisiert. "LOve & MOtion" ist die Dokumentation eines außergewöhnlichen, um nicht zu sagen absurden und stellenweise wahnwitzigen Vorgangs: Der Mutation einer russischen Volkskamera, des Lomo Kompakt-Automaten (LC-A), vom millionenfach hergestellten, unscheinbaren Allerweltsprodukt zu einem weltweit gehypeten, monströs überteuert angebotenen und von einer riesigen, zentral organisierten Anhängerschar kultig verehrten Modeaccesoire, aber auch zum Medium zumindest teilweise ernsthafter Kunst. Ob man diese Entwicklung nachvollziehen kann oder will, ob man sie gutheißt oder nicht, ob und mit welchen der verschieden Akteure man sympathisiert: Wie jede gute Dokumentation bezieht der Film keine eigene Position, gibt dem Zuschauer aber mehr als genug Material zur Hand, um sich selbst ein Bild zu machen.
Wie sich ein paar "langhaarige östereichische Hippies" vermittels eines harmlosen Ostprodukts, einer immer perfekter funktionierenden Vermarktungsmaschinerie und einer gehörigen Portion Größenwahns zu durchaus phrasendreschenden Yuppieprototypen wandeln, wird lückenlos dokumentiert und mit historischen Aufnahmen, älteren und neueren Bilddokumenten, einer Fülle von Interviews mit den verschiedensten Haupt- und Nebenakteuren und nicht zuletzt hunderten teilweise wirklich beeindruckender Lomographien belegt und garniert. Alle Facetten des Kultes um eine eigentlich veraltete Kleinbildkamera werden beleuchtet: von Großevents der "Lomographischen Gesellschaft" wie gleichzeitigen Ausstellungen in Moskau und New York über Hobbylomographen, die begeistert erzählen, durch ihr unbefangeneres Fotographieren Ängste abgebaut und mehr Selbstsicherheit gewonnen zu haben bis hin zu professionellen Künstlern, die die Unzulänglichkeiten und Eigenwilligkeit der Kamera als Segen und Herausforderung zugleich begreifen und mit unkonventionellsten Mitteln ihre eigene Kreativität einfließen lassen und ausleben. Die russischen Funktionäre und Mitarbeiter der Lomowerke, die fassungslos und kopfschüttelnd vor diesem westlichen Wahnsinn stehen, ein gewisser Wladimir Wladimirowitsch Putin, der in seiner damaligen Eigenschaft als Leningrader Vizebürgermeister mit diesen merkwürdigen jungen Österreichern verhandelt und höchstselbst die Fortführung der eigentlich eingestellten Kameraproduktion anordnet, die nachträglich auf alt getrimmten Werksaufnahmen (ein sehr gelungener Kunstgriff: es gab natürlich keinerlei Aufnahmen, die die Montagearbeiten in einem Teil eines sowjetischen Rüstungskonzerns zeigen, aber da sich ja an der Produktion sowieso nichts großartig geändert hatte...!), die Liebeserklärung eines Lomographen an seine Frau ("Mein liebstes Motiv!"), das Geständnis eines der "Weltpräsidenten" der Lomographischen Gesellschaft, die ersten paar tausend LC-As hätten sie halt im Kofferraum ihres Wagens über die Tschechei nach Wien geschmuggelt... All dies und noch einiges mehr lässt sowohl Fans der Lomographie, die vielleicht das eine oder andere Detail, aber längst nicht all die liebevoll und akribisch gesammeltn Fakten ihres "Kultes" gekannt haben mögen, als auch ganz normale Fotografen und Kinobesucher staunend zurück und ist nicht zuletzt ein Lehrstück über das Funktionieren unserer Marktwirtschaft, von einer recht simplen, aber unglaublich erfolgreichen Geschäftsidee über den unausweichlichen Größenwahn bis hin zur Pleite - die Produktion der Lomo LC-A wurde meines Wissens nach mittlerweile eingestellt.
Ich hatte die Gelegenheit, "LOve & MOtion" bei seiner Premiere 2005 anlässlich des Max-Ophüls-Festivals in Saarbrücken sehen zu können, weshalb ich natürlich nichts zur Bild- und Tonqualität der später entstandenen 35mm-Kopie sagen kann. Allerdings habe ich als Filmvorführer schon wesentlich schlechtere DigiBeta-Vorführungen erlebt und kann nur anmerken, dass eine 35mm-Vorführung zum großen Teil von der Kompetenz und Motivation des jeweiligen Kollegen abhängt, zweitens der Saalton mehr oder weniger ausschließlich auf der Qualität und Stimmigkeit des eingesetzten Soundanlage beruht und drittens genügend andere Filme unter einer missglückten Konvertierung von Digitalmedien auf Polyester leiden (ein gutes Beispiel ist "Muxmäuschenstill" von Marcus Mittermeier!), was allerdings der Qualität des Films an sich und seiner Akzeptanz beim Publikum keinen Abbruch tun muss: Bei der Premiere dieses Films beobachtete ich Szenenapplaus, großes Gelächter an besonders absurden Szenen und alles in allem begeisterte Zuschauer.
Meine Hochachtung vor Herrn Schmidt-David, dem trotz seines offensichtlichen Faibles für die Lomographie eine durchaus ambivalente und stimmige Dokumentation der Geschichte einer kleinen Kamera, die weltweit Menschen begeistern kann, gelungen ist. Dass er es zudem vermocht hat, seinem Film die durchaus kontroverse Ästhetik zu verleihen, die der LC-A und den damit möglichen Aufnahmen innewohnt, lässt mich dem Film die volle Punktzahl geben.
Darüber mag man streiten können, genauso wie über den Sinn oder Unsinn der Lomographie. Jedem, der dies tatsächlich mit fundiertem Wissen tun will, sei "LOve & MOtion" wärmstens empfohlen.