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    Alone
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Alone
    Von Sophie Melissa Wokoun

    Der Horror-Thriller „Alone“ des Regiedebütanten Phil Claydon hat sich bis zum heutigen Tage ein gewisses Kultpotenzial bei den Anhängern des fantastischen Films verschafft. Bei dem in Deutschland erstmals auf dem Fantasy Film Festival 2002 gezeigten Film handelt es sich aber auch um ein Werk, das, trotz des Kultes, bei der Kritik weitestgehend auf Unverständnis stieß und beim Mainstream-Publikum durchfiel. Doch steckt möglicherweise mehr dahinter? Ist „Alone“ eine unangetastete Genre-Perle, die in ein paar Jahren vielleicht auf mehr Gegenliebe stößt?

    „From childhood's hour I have not been

    As others were; I have not seen

    As others saw; I could not bring

    My passions from a common spring.

    From the same source I have not taken

    My sorrow; I could not awaken

    My heart to joy at the same tone;

    And all I loved, I loved alone.

    (...)" (Auszug aus dem Gedicht „Alone“ von Edgar-Allen Poe)

    Alex wohnt in einer spärlich eingerichteten, klinisch reinen Wohnung, trägt immer dieselben weißen Handschuhe und spricht selten, und wenn, dann mit einer sanften, schon fast flüsternden Stimme. Nach außen hin mag er sicherlich lediglich etwas schüchtern erscheinen, doch im Innern spielt sich die eigentliche Tragödie ab: Tag ein, Tag aus leidet der Junge an schrecklichen Zwangsneurosen und hat panische Angst vor Keimen und Dreck. Auch frönt Alex keinem normalen Hobby. In der Nacht verfolgt er meist Frauen in ihre Wohnungen, lauert ihnen dort auf und tötet sie anschließend - oder er schickt ihnen Briefe, die die Opfer nicht deuten können, und sie meist als Liebesbriefe sofort wieder in den Müll befördern. So wie er seine Opfer belauert und tötet, erkennt man, dass Alex ihnen eigentlich nichts zu Leide tun will. Das Einzige, was Alex sucht, ist Liebe, jemand der ihn aus seiner Einsamkeit befreit. Sex ist ihm unwichtig, wie sich an einer späten Sequenz in einem Szene-Club erkennen lässt, wo er eine Prostituierte erwürgt. Den Weg aus seiner Einsamkeit, in der er seit dem Tod seiner Mutter lebt, sucht er erst bei zwei etwa 20-jährigen Frauen und dann bei der Gehilfin seiner Psychotherapeutin, die ihm eine Wunde reinigt und verbindet, was Alex als Liebesbeweis missdeutet. Doch seine Liebe wird nicht erwidert, was letztendlich mit dem Tod dieser fast wehrlosen Frauen endet.

    Alex auf der Spur sind zwei hartnäckige Polizisten: Der eine, ein älterer Inspektor, hat schon viel vom Leben gesehen. Sein Job hat ihn geformt. Sein Büro ist sein Zuhause mit den Bildern der Opfer, die ihm immer im Kopf herumschwirren. Seine Familie hat ihn schon längst vergessen. Seine Partnerin, ein Detective in der Probezeit, war die Beste auf der Polizeischule und geht ihren Beruf nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit an. Der Clinch dieses ungleichen Polizistenpaares liegt in den unterschiedlichen Erfahrungen, die beide in ihrem Leben gemacht haben. Der eine verbittert, die andere ohne die nötige Ernsthaftigkeit. Eine interessante Konstellation.

    „Alone“ mag nervenaufreibend und virtuos inszeniert sein, doch mangelt es dem Film vor allem an ausgefeilter Charakterzeichnung. Sieben von David Fincher, der, anders als „Alone“, mehr in der Perspektive der Ermittler spielt, nahm sich viel Zeit, um die Charaktere vorzustellen und sie in ihrer täglichen Arbeit mit dem Verbrechen zu verfolgen. Anders „Alone“: Der Regisseur schneidet ansatzweise Gedanken auf, wie beispielsweise Alex’ Misshandlung im Kindesalter und das daraus resultierende zwangsgestörte Verhalten zum Zeitpunkt der Handlung oder die soziale Isolation des Inspektors durch seinen Beruf, ohne sie aber zu Ende zu denken. Die Charakere wirken letztendlich klischeehaft und man denkt sich, das man das alles schon einmal in einem anderen Film gesehen hat. Sie dienen lediglich als intellektueller Beisatz, um den Film vom Serienkiller-Allerlei abzuheben. Und doch ist er genau das: ein billig produzierter Horror-Thriller, der sich der üblichen Genre-Stilmittel, wie der Ich-Perspektive, bedient, die seit dem wegweisenden Klassiker „Halloween“ (1978) schon so oft kopiert worden sind. Neu ist nur, dass diese sehr konsequent eingesetzt wird, um sich in die Psyche des Killers hineinzuversetzen und die Zuschauer an seinem Leid teilhaben zu lassen.

    Ganz im Kontrast zu der inhaltlichen Schwäche des Films präsentiert sich die optische Brillanz des Gesehenen, was vor allem am hervorragendem Schnitt von Jonathan Rudd liegt, der hier alle Register zieht, um die drei Ebenen des Films, Alex’ Realität, Alex’ Visionen und die Arbeit des ungleichen Polizistenpaares, auf optisch ansprechende Weise zu verbinden. Ebenfalls erstaunlich ist die Tatsache, das „Alone“, obgleich für sehr viel weniger Geld gedreht, aussieht wie eine Produktion aus der Traumfabrik Hollywood, was zum Teil auf aufwendige digitale Nachbearbeitung schließen lässt. Was aber letztlich am Wichtigsten ist in diesem zweifelsohne technisch sehr ausgereiften Film, ist die Tonspur, die Alex’ (Um-)Welt Leben einhaucht. Um zu erklären, wie viel diese auch Einfluss auf die Inhalte von „Alone“ hat, seien die Stimmen in Alex’ Kopf genannt, die ihn genauso wenig loslassen wie uns. Immer wieder verfolgen sie ihn und treiben ihn, vom Wahn befallen, den Weg aus der Einsamkeit endlich zu finden, zu diesen Verzweiflungstaten. Wie immer wiederkehrende Begleiter eines perversen Verstandes erscheinen sie und doch sind sie nur Teil eines größeren Konzeptes, eines Konzepts des Thrills, der atemlosen Spannung, die seit Hitchcock immer wieder auf den Zuschauer herabregnet. Das Konzept des optischen Terrors sorgt beim Zuschauer ähnlich wie beim Film Irreversible (2002) von Gaspar Noé für stockenden Atem und ganz bestimmtes Herzklopfen.

    Ist „Alone" nun unterschätzt oder überschätzt? Die Lösung ist recht einfach und lautet: filmischer Durchschnitt. Zu hoch die technische Ausgefeiltheit des Films, um ihn wirklich mit schlecht zu bezeichnen, zu niedrig der Anspruch des Inhalts, um den Film in gute Wertungsregionen hinübergleiten zu lassen. Und doch ist er vielleicht das Sprungbrett für den Regisseur Phil Claydon, der sein Talent hier so eindrucksvoll unter Beweis stellt, und mit seinem Erstling einen zwar inhaltlich schwachen, aber optisch brillanten Film schuf, der ein bisschen mehr Beachtung verdient hätte.

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