Mit „Tiger Factory" legt der malaysische Regisseur Woo Ming Jin („Woman on Fire Looks for Water") ein überzeugendes Sozialdrama vor, das bereits 2011 in Cannes und anschließend auf zahlreichen weiteren Filmfestivals mit viel Lob bedacht wurde. Stilistisch punktet der Film vor allem durch seine Sachlichkeit. Woo Ming Jin punktet vor allem durch seinen sachlichen Stil, er erzählt seine Geschichte mit großer emotionaler Distanz und schafft damit einen Kontrast zu den aufwühlenden Erlebnissen der Hauptfigur. Mit nüchternem Blick begleitet er seine junge Protagonistin, die gelernt hat, ihren schlimmen Erfahrungen mit stoischer Ruhe zu begegnen, durch den Alltag. So lädt uns der Filmemacher zur Reflexion der eigenen Sehgewohnheiten ein und zu einer Meditation darüber, was Leiden eigentlich bedeutet.
Tagsüber arbeitet die 19-jährige Ping (Lai Fooi Mun, „My daughter") in einer Schweinezucht, wo sie die Säue mit dem abgezapften Sperma der Eber befruchtet. Anschließend wäscht die junge Frau in einer schäbigen Straßenbude Teller. Als sei das nicht schon genug, prostituiert sie sich darüber hinaus für ihre gefühlslose Tante Madama Tien (Pearlly Chua). Deren Hintergedanke: Ping soll schwanger werden, damit sie das ausgetragene Kind zu Geld machen können. Anstatt zu rebellieren erträgt Ping ihr Leid stoisch und lässt alle Demütigungen über sich ergehen. Rückhalt bekommt sie nur von ihrer besten Freundin Mei (Susan Lee) und von dem zurückhaltenden Kang (Rum Nun Chung), einem ihrer Freier. Pings Fernziel ist es, nach Japan auszuwandern. Um jedoch einen Schlepper bezahlen zu können, muss sie ihr bitteres bisheriges Leben zunächst normal weiterführen...
Regisseur Woo Ming Jin und Drehbuchautor Edmund Yeo erzählen Pings Erlebnisse gänzlich rational und ohne emotionale Schlagseite. Eine wackelige Handkamera, Laiendarsteller und improvisierte Szenen lassen den Alltag der Protagonistin ohne erzählerische Umschweife greifbar werden. Ähnlich wie in Darren Aronofskys Sportler-Drama „The Wrestler" folgt die Kamera der Hauptfigur auf Schritt und Tritt, durch enge Gassen und hinein in heruntergekommene Hinterzimmer. Die eigentlichen Geschehnisse werden dabei fast beiläufig erzählt, so dass kaum ein Blick hinter die Fassade aus Gehorsam eröffnet wird: Ping verrichtet die von der Tante diktierten Aufgaben ohne mit der Wimper zu zucken. Der illusionslose Blick des Regisseurs zeigt sich dabei auch immer wieder in inszenatorischen Einzelheiten, etwa bei einer äußerst realistisch geratenen Schweine-Befruchtungsszene mit Injektionsnadel. Dieses Gespür für Details verleiht dem Film einen fast dokumentarischen Charakter. Dabei bleiben die Szenen meist dialoglos, die Bilder können somit ihre ganze Wirkung entfalten. Ähnlich ungekünstelt verfährt Woo Ming Jin auch mit dem Ton: Der Alltagsrealismus seines Films wird durch die Beschränkung auf den direkt aufgenommenen Originalton noch unterstrichen.
Mit seinem minimalistischen Konzept folgt der Regisseur einem der wichtigsten Trends im zeitgenössischen Kino: Die realistische Darstellung des Alltagslebens ohne symbolische Überhöhung oder dramaturgische Zuspitzung ist das Ziel. Unspektakuläre Verrichtungen und Begegnungen werden nicht ausgespart, sondern im Gegenteil auch in ihrer Dauer dokumentiert. Das birgt natürlich die Gefahr, dass Leerlauf entsteht und die Geschichte emotional nicht greifbar wird. Dank seiner auch stilistisch klaren Linie umschifft Woo Ming Jin diese Untiefen in „Tiger Factory" aber äußerst clever. Letztlich lenkt er nämlich gerade durch seinen kühlen Blick auf die äußerlich Unbewegte immer wieder die Gedanken und Vorstellungen der Zuschauer auf das innere Drama der Protagonistin. Man fragt sich: Was mag wohl in der jungen Malaysierin vorgehen? Dieses Spiel zwischen intakter Fassade und gebeutelter Psyche stellte dann auch Hauptdarstellerin Lai Fooi Mun vor eine große Herausforderung, die sie aber mit Bravour meistert: Unter Dauerbeobachtung durch die Kamera läuft sie zur Höchstleistung auf und begeistert mit subtilem und ausdrucksstarkem Spiel.
Fazit: „Tiger Factory" ist ein minimalistisches Drama im Arthouse-Gewand, das vor allem durch einen konsequent durchgehaltenen Gegensatz zwischen der formalen und der inhaltlichen Ebene beeindruckt und den Betrachter zum Nachdenken über die eigene Perspektive anregt.