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    Maman und Ich
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Maman und Ich
    Von Lars-Christian Daniels

    Wenn jemand sein „Coming Out“ hat, dann ist damit in der Regel gemeint, dass sich jemand öffentlich zu seiner Homosexualität bekennt. Dass aber auch anders herum ein Schuh draus werden kann, beweist der französische Schauspieler und Komiker Guillaume Gallienne („Asterix & Obelix – Im Auftrag Ihrer Majestät“) in der Leinwandadaption seines autobiografisch inspirierten Bühnenstücks  „Les Garçons et Guillaume, à table!“: Jahrelang von seiner Mutter, seinen Verwandten und seinen Freunden als homosexuell abgestempelt, dauert es bis zu seinem 30. Lebensjahr, ehe sich der Spaßvogel zur Überraschung seiner Mitmenschen als heterosexuell outet. In der raffinierten Biopic-Komödie „Maman und Ich“, die 2013 bei den Filmfestspielen in Cannes in der Sektion „Director’s Fortnight“ vom Publikum mit stehenden Ovationen bedacht wurde, zeichnet Gallienne seine langjährige Suche nach der eigenen Identität und Sexualität humorvoll nach und verblüfft dabei mit bemerkenswerter Wandlungsfähigkeit: Der Schauspieler und Komiker spielt bei seinem Regiedebüt nicht nur sich selbst, sondern auch seine Mutter.

    Der tägliche Ruf zum Abendessen wird für den heranwachsenden Guillaume (Guillaume Gallienne) zum Schlüsselsatz seiner Jugend: „Die Jungs und Guillaume, zu Tisch!“ ertönt allabendlich die Stimme seiner Mutter (ebenfalls: Guillaume Gallienne), die sich nach zwei Jungen eigentlich viel lieber ein Mädchen gewünscht hätte. So muss ihr jüngster Sohn wohl oder übel die Rolle der erträumten Tochter einnehmen: „Maman“ erzieht Guillaume förmlich zur Weiblichkeit, so dass er von seinen beiden Brüdern und seinen gleichaltrigen Schulkameraden aufgrund seines wenig männlichen Verhaltens schnell als schwul abgestempelt wird. Guillaume hebt beim Sevillana-Tanzen feminin das Bein, verkleidet sich oft und gern als Frau und ist bei männerdominierten Schulsportarten wie Rudern oder Rugby immer der Letzte, der gewählt wird. Einzig sein Vater (André Marcon) scheint seinen jüngsten Sohn als Mann wahrzunehmen…

    Der Eröffnungsfilm und Publikumspreisgewinner der 30. Filmtage Tübingen-Stuttgart 2013 ist eine One-Man-Show par excellence: Guillaume Gallienne zeichnet in „Maman und Ich“ nicht nur für die Regie, die Co-Produktion und die Drehbuchadaption seines Theaterstücks verantwortlich, sondern stemmt auch die beiden Hauptrollen und übernimmt die Erzählerstimme aus dem Off. Dabei behält das Multitalent den Bühnenursprung seines Werks, für das er 2010 mit dem französischen Theaterpreis Molière ausgezeichnet wurde, stets im Auge: Immer wieder steht Guillaume im Anzug auf der Bühne, spricht zu einem fiktiven Publikum und kommentiert humorvoll seine Lebensabschnitte, die er beginnend mit der Pubertät chronologisch nachzeichnet. Dabei charakterisiert er seine Mutter als energische und omnipräsente Erzieherin, die Guillaume wie keine zweite Person in seinem Leben prägt und selbst dann zu ihm spricht, wenn sie eigentlich kilometerweit entfernt ist: „Maman“ wird in surrealen Momenten ins aktuelle Tagesgeschehen eingeflochten und liest dabei meist ein Buch in ihrem Bett, das wie selbstverständlich auf einer stark befahrenen Küstenstraße oder in einer völlig fremden Wohnung steht.

    Ihre verächtlichen Kommentare, wenn ihr Sohn als Mann wieder einmal versagt hat, sind dabei nur eine von vielen gelungenen Ideen, die vor allem im Mittelteil des Films eine ganze Reihe an Lachern generieren: Der bedauernswerte Guillaume bricht sich in einem englischen Internat beim Cricket fast die Hand, wird beim Rugby von den kräftigeren Klassenkameraden förmlich zu Tode gequetscht und von seinem irritierten Vater in einem peinlichen Moment dabei erwischt, wie er sich im Schlafzimmer als Kaiserin „Sissi“ verkleidet, indem er sich eine Bettdecke um die Hüften schnallt. Den Gipfel der guten Laune bildet Guillaumes Aufenthalt in einer bayrischen Kuranlage: Der muskelbepackte Masseur Raymund (köstlich: Götz Otto, „James Bond 007: Der Morgen stirbt nie“) verbiegt dem untrainierten Franzosen in einer minutenlangen Prozedur, die Kameramann Glynn Speeckaert („Der Nächste, bitte!“) aus der Frosch- und Vogelperspektive einfängt, schmerzhaft das Rückgrat. Ähnlich spaßig fällt das Gespräch mit einem irritierten Musterungsarzt aus, das eine gefühlte Ewigkeit nur aus schüchternen „Ähhs“ und verklemmten „Eees“ besteht. Nicht ganz so witzig ist die Begegnung mit der hübschen Ingeborg (Diane Kruger, „Inglourious Basterds“), die dem erschrockenen Kurgast Guillaume ohne Vorwarnung die erste Analspülung seines Lebens verpasst.

    Diese weniger gelungene Sequenz, in der dem Publikum erfreulicherweise billiger Fäkalhumor erspart bleibt, bleibt jedoch eine von wenigen Ausnahmen: Gallienne trifft fast immer den richtigen Ton, beweist sicheres Gespür für das passende Timing und lässt das Publikum nicht nur über, sondern auch mit seiner energisch-sturen „Maman“ lachen, ohne ihr für die jahrelange Erziehung zur Weiblichkeit Vorwürfe zu machen. Erst auf der Zielgeraden geht dem extrem wandlungsfähigen Alleinunterhalter, der in „Maman und Ich“ gleich bei einem halben Dutzend Psychiatern auf der Couch liegt und den Blick des traurigen Clowns ganz ohne Perücke und Schminke perfektioniert, ein wenig die Puste aus: Das letzte Filmdrittel kann in Sachen Gagdichte nicht ganz mit dem grandiosen Mittelteil mithalten, wartet aber zumindest mit einem prägenden Besuch in einer Schwulendisco, in der Guillaume als unschuldiger Lockenkopf unendlich verloren wirkt, und einer köstlichen Schlusspointe auf.

    Fazit: „Maman und Ich“ ist eine One-Man-Show par excellence - Guillaume Gallienne erzählt mit bemerkenswerter Wandlungsfähigkeit, treffendem Witz und vereinnahmendem Charme vom Erwachsenwerden und seiner von Irrungen und Wirrungen geprägten Suche nach der eigenen Sexualität.

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