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Sebastian_J
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5,0
Veröffentlicht am 4. Mai 2011
Sarajevo. Luna und Amar sind ein glückliches Paar und wünschen sich sehnlichst ein Kind. Als Amar jedoch wegen seiner Alkoholprobleme den Job verliert, gerät sein Leben aus der Bahn. Durch Zufall trifft er einen alten Freund wieder, der ihm eine Stelle in einem abgeschiedenen Wahabiten-Camp auf dem Land anbietet, die Amar dankend annimmt. Doch kaum hat er die Stadt verlassen, bricht der Kontakt zu Luna ab. Wochen später kehrt er verändert zurück. Von nun an geht er zu den Freitagsgebeten in die Moschee, trinkt keinen Alkohol mehr und versucht, nach den Gesetzen des Koran zu leben. Zwei Welten treffen in diesem Paar, das glaubte, dass nichts sie trennen kann, aufeinander und stellen ihre Liebe auf eine gewaltige Zerreißprobe…
Die Bosnierin Jasmila Zbanic stieß bei ihren Recherchen im religiösen Milieu auf strenge Regeln, aber auch auf Überraschungen. So stecken unter der Burka oder dem Kopftuch als Symbol des Glaubens oft ganz normale Frauen aus allen Berufen, die sich nicht unbedingt als unterdrückte Opfer sehen, sondern eine bewusste Entscheidung gefällt haben und im Autoverkehr schon mal fluchen wie die Männer. Ohne Wertung und ohne die Helden zu verraten, werden zwei Welten gegenüber gestellt, die nach außen abgekapselte islamistische Gemeinschaft und die liberale Großstadtgesellschaft Sarajevos, die Flucht in die entsprechenden Strukturen als Strohhalm für seelische Desorientierung suchen. Ein Widerspruch, den auch die Liebe nicht auflösen kann. Die Kamera bleibt nahe an den Figuren, erforscht in hartem Licht ihre Gesichter, die neue Sprachlosigkeit ist Zeichen gegenseitigen Unverständnisses, die Menschen suchen sich einen eigenen Weg aus dem Schatten ganz persönlicher Traumata, religiöser Fundamentalismus als Alternative und Antwort auf den Verlust von Identität und Idealen. Psychologisch fein, wenn auch konventionell inszeniert, ist "Zwischen uns das Paradies" bewegendes Gefühlskino, nicht zuletzt wegen der Performance von Zrinka Cvitesic.
Zrinka Cvitesic spielt die Luna so unglaublich bewegend und gefühlvoll, dass ihr Spiel den Zuschauer regelrecht fesselt. Man spürt, wie sie an der Situation leidet, wie sie ihr ursprüngliches, glückliches Leben wieder herbei sehnt. Wie sie in Discos und den Alkohol flüchtet, um ihren Kummer los zu werden. Im Gegensatz der Protagonisten verkörpert Leon Lucev den Amar. Amar ist genau das Gegenteil von der Figur Luna. Amar sieht plötzlich in der Religion, dem Glauben seine Bestimmung. Er versucht, Luna dazu zu bewegen, ihm zu folgen. Als sie das ablehnt, wendet er sich vorerst von ihr ab. Man kann die Entwicklung von Amar über die gesamte Filmlänge hinweg erfahren. Eine tolle schauspielerische Leistung.
"Zwischen uns das Paradies" ist der Versuch, die bis heute andauernden Folgen eines Kriegstraumas in einer Bevölkerung aufzuzeigen. Ein Film, der wirbt für Verständnis innerhalb einer Bevölkerung, Verständnis aber, das schlussendlich zugrunde geht, weil die verschiedenen Umgänge mit dem Trauma in konträre Richtungen führen. Die Einen drängt es, der "westlichen" Welt nachzufolgen, die Anderen suchen Halt in der Religion - ein ziemlich polarisierendes und undifferenziertes Bild, das es dem Zuschauer schwer macht, es einzuordnen. Wunderbar hingegen das Spiel der Hauptdarsteller und ihre "private" Geschichte, die dem Zwispalt in der Bevölkerung (leider) untergeordnet wird. Hier zeigt sich nämlich die Stärke des Films - ein fantastisches Plädoyer für den Versuch des Zusammenhalts und der Toleranz, die über die Grenzen der Religion hinauszugehen scheint.