Hitler - Baader - Bushido...
...dies ist sie also, die glorreiche Protagonistenliste der letzten Eichinger Großproduktionen. Nachdem die Autobiographie "Bushido" von Lars Amend 2008 die Bestsellerlisten stürmte, sicherte sich Deutschlands Erfolgsproduzent Nummer 1 die Rechte an dem Buch und ließ die Geschichte um den Aufstieg des Berliner Ghettorappers Anis Ferchichi nach einem eigenen Drehbuch, von seinem alten Kumpel Uli Edel (Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhofzoo) mit großer Besetzung verfilmen.
"Wenn du keinen Respekt hast, bist du ein Niemand, ein Opfer."
Der junge Anis (Elyas M'Barek) lebt mit seiner Mutter (Hannelore Elsner, in den jungen Jahren Mina Tander) in einer Berliner Plattenbausiedlung. Der Vater, ein Trinker und Schläger, hat die Familie verlassen. Anis driftet ziellos durch sein Leben, bis er eines Tages auf die Idee kommt, mit Haschisch zu dealen. Also pumpt er seine Mutter um 450 DM Startkapital an, um sein Geschäft zu beginnen...
Genau an diesem Punkt macht der Film bereits seinen ersten groben Fehler. Die Tatsache, dass ein Realschüler von seiner Mutter freiwillig dabei unterstützt wird, in den Drogenhandel einzusteigen, ist absolut fern jeder Realität. Als Rechtfertigung für diese positive Haltung zu Haschisch wird die arabische Tradition angegeben, in der Drogenkonsum (angeblich) an der Tagesordnung stünde. "Die trampeln auf den Gräbern unserer Ahnen rum", sagt Anis an einer Stelle und erhält daraufhin das erhoffte Geld von seiner Mutter.
"Ich hatte die beste Mama der Welt."
Auf dem Höhepunkt seiner Drogenkarriere angekommen, lernt Anis dann Selina (Karoline Schuch), seine erste große Liebe, kennen. Sie kommt, im Gegensatz zu ihm, aus einem wohlsituierten Haus, was wieder die Möglichkeit für unheimlich klischeebeladenen Szenen bietet.
"Joseph, sind Sie so nett und schenken uns den Weißwein ein?"
Während eines Essens bei Selinas Eltern (Uwe Ochsenknecht und Katja Flint) werden dann auch Themen wie Alkohol- und Schweinefleischverbot für Muslime, die Einstellung zum Kopftuch und Probleme mit der Ausländerbehörde in zwei Minuten einfach so abgefrühstückt. Keinem der Schauspieler gelingt es, seiner Figur eine wirkliche Tiefe zu verleihen und so bleiben sie dann auch nur Karikaturen am Rande.
An dieser Stelle schlägt die Geschichte nun eine ganz andere Richtung ein: Anis' Mutter wird von der Dealerkonkurrenz überfallen und ausgeraubt (sogar der kleine Bruder liegt gefesselt in seinem Bett). Um seine, über alles geliebte Familie nicht weiter in Gefahr zu bringen, beschließt unser Pablo Escobar für Arme, einen Schlussstrich unter das Kapitel Dealen zu ziehen. Allerdings gibt es da noch eine letzte große Lieferung, die nicht abzuwenden ist...
Jeder mit einem bisschen Grütze im Kopf, kann sich ausmalen, was jetzt geschieht: unsere geläuterte Hauptfigur wird natürlich ausgerechnet bei seiner letzten Fuhre von ein paar Zivilbullen erwischt. Die Folge: drei Jahre Besserungsanstalt (in der er unter anderem seinen späteren Kumpanen Patrick Losensky, besser bekannt als Fler, kennen lernt) und die Verpflichtung, eine dreijährige Lehre als Maler und Lackierer zu machen.
Durch die Lehre als Lackierer inspiriert, entwickelt sich Anis (ab dieser Stelle spielt Bushido sich nun selbst) nach seiner Ausbildung zum Sprayer. Jedoch geht das Selina gehörig gegen den Strich. Da er sich nur noch fürs "Sprayen, Ficken und Kiffen interessiert" und auch sonst nur mit Losern abhängt (an diesem Punkt sollte Fler nochmals erwähnt werden), kommt es zum Streit zwischen den beiden, in dessen Verlauf er ihr eine Backpfeife verpasst. Die beiden trennen sich...
Bei der Ausarbeitung eines Drehbuchs über das Leben einer real existierenden Person, stößt der Autor immer wieder auf dasselbe Problem: wie schaffe ich es, dramaturgische Höhepunkte zu setzen, der ursprünglichen Geschichte treu zu bleiben und nicht zu sehr in Fiktion abzudriften? Ganz klar: mit viel künstlerischer Freiheit! Diese dürfte sich auch Bernd Eichinger (Fantastic Four) genommen haben, als er den Anschlag des 11. Septembers als auslösendes Ereignis für Bushidos Rapkarriere genommen hat.
Jedenfalls sieht Anis, der sich mittlerweile den Künstlernamen Bushido zugelegt hat (zu deutsch: Weg des Kriegers), das Einstürzen der Twin Towers, was ihm so sehr durch Mark und Bein fährt, dass er all seine Energie in etwas Kreatives umsetzen will: er schreibt seinen ersten Songtext (natürlich wurde die hierfür benötigte MD8, mal wieder von dem Engel namens Mama gesponsert).
Nun geht alles ganz schnell: Bushido unterschreibt beim Label Hardcore Berlin (was wohl für Aggro Berlin stehen soll) und veröffentlicht sein erstes Album. Zum Bruch mit Hardcore/Aggro kommt es, als er gezwungen wird, die Vorgruppe für den heißesten Star des Labels, Skalpell (ein fetter Kerl, der wohl für Sido stehen soll), zu geben. Hier kommt dann Arafat (Moritz Bleibtreu), eine Mischung aus Cafe-Besitzer und Großstadtpate, ins Spiel, um zwischen den zwei Parteien zu vermitteln und Bushidos Vertrag bei Hardcore/Aggro aufzulösen. Dies geht recht schnell, denn Arafat kommt mit einem Samuraischwert an den Verhandlungstisch...
Unser Star ist nun also frei, um sein eigenes Label "ersguterjunge" zu gründen und richtig durchzustarten. In einer kurzen Montagesequenz wird dann auch Bushidos Erfolgsweg aufzeichnet: seine Resonanz bei Fans und Medien, seine Auftritte beim Comet, TV Total und Kerner, sowie das Kennen lernen seines zukünftigen Rapkollegen Kay One.
Auf dem Zenit seines Erfolges angekommen, ist ein großer Auftritt am Brandenburger Tor geplant. Bushido befindet sich, während die Vorbereitungen laufen, inmitten einer Deutschlandtourne, als ihn, an seinem 29. Geburtstag, eine Postkarte seines verhassten Vaters erreicht...
Gewalt, Sex, Schwulen- und Frauenhass, dass sind die Themen, mit denen sich Bushido im wahren Leben medial auseinandersetzen muss. Doch all dies kommt im Film kaum vor oder wird nur am Rande gestreift.
"Vielleicht solltest du einfach noch mal bei Kerner auftreten."
Da darf natürlich auch nicht der schmierige Manager fehlen, der kurz vor dem Auftritt am Brandenburger Tor noch einmal schnell einen Imagewechsel vorschlägt.
Oder das Thema Groupies. Hier sieht man zwar nicht den deutschen Rapkönig höchstpersönlich in Aktion, sondern nur seine Kollegen, die die Verlobte einer armen Sau durchnudeln, während dieser vor dem Tourbus wartet.
Der Höhepunkt der Lächerlichkeit wird aber erreicht, als in einer kurzen Passage über Bushidos Aufenthalt im Ösiknast berichtet wird. Der Gangsterrapper muss sich hier wegen einer Schlägerei vor der Untersuchungsrichterin verantworten, die ihn, nachdem er sich auf die Unantastbarkeit der menschlichen Würde beruft und diese mit dem Hinterteil der Richterin vergleicht, ungeschoren davonkommen lässt. Wahrscheinlich hat Eichinger etwas von dem Gras geraucht, das Bushido früher vertickt hat, als er diese Szene geschrieben hat. Anders kann man sich diesen Totalausfall wirklich nicht erklären.
"Lass und doch mal poppen."
Doch dies ist nicht die einzige fragwürdige Szene. Sensible Themen wie der erste Sex werden mit dämlichen Dialogen ins Bodenlose gezogen.
"Papa, jib doch mal den Joint her. Du rauchst wieder alles alene weg."
So sitzt der junge Anis zusammen mit Kathrin, dem Mädchen, das ihn entjungfert hat, und ihrem Vater, der sich gewaltgeil einen Chuck Norris Film ansieht, kiffend auf ihrem Schlafzimmerbett. Wenigsten besaß Eichinger an dieser Stelle den Stil, den zu erwartenden Chuck Norris Witz auszulassen, aber wahrscheinlich auch nur, weil es die zur damaligen Zeit noch gar nicht gab...
Im späteren Verlauf der Geschichte kommt es dann noch einmal zum Wiedersehen mit Kathrin, die mittlerweile ein Drogenjunkie im Pennerlook ist. Dies ist wohl die übertriebenste Charakterzeichnung von allen. Eichinger und Edel setzen hier Haschischkonsum mit völligem sozialen Abstieg gleich. Aber auch das bleibt nur eine Randnotiz, wie so vieles in diesem Film. Alle möglichen Themen kommen kurz vor, werden aber nie mit einem tieferen Spektrum behandelt. Es scheint fast so, als hätten sowohl Eichinger, als auch Edel, kein wirklich durchdachtes Konzept für den Film gehabt. Musikfilm? Milieudrama? Coming-of-Age-Drama? Was bleibt ist ein übler Nachgeschmack, über den sich nicht streiten lässt. Zudem gibt der emotionslose Off-Kommentar dem ganzen dann noch den letzten Rest.
Lichtblicke gibt es wenige, doch es gibt sie. So liefert Martin Semmelrogge (Das Boot) einen wirklich kultigen Cameo-Auftritt als Tätowierer ab und auch Karel Gott weiß in seiner Rolle zu gefallen.
Bushido, der eingeutig Probleme hat, sich selbst zu spielen, kommt über eine hölzerne Leistung nicht hinaus. Dies liegt aber nicht alleine in seiner Verantwortung. Mit einem weniger pathetischen Drehbuch und einer durchdachteren Regie, wäre er mit Sicherheit in der Lage gewesen, überzeugender zu spielen. Gerade beim Spiel der emotional anspruchsvolleren Szenen, merkt man ihm die fehlende Führung an.
Selbst erfahrene Schauspielveteranen wie Uwe Ochsenknecht, Hannelore Elsner, Katja Flint und Moritz Bleibtreu (Knockin' On Heaven's Door), bleibt es unmöglich ihren Figuren Farbe zu verleihen. Elyas M'Barek (Die Welle) macht seine Aufgabe ganz gut, doch auch er kommt in seiner ersten Kinohauptrolle nicht über eine durchschnittliche Leistung hinweg. Echtes Mitleid sollte man mit Mina Tander (Maria, ihm schmeckt's nicht) haben, die Bushidos Mutter als junge Frau spielt und somit die undankbarste Rolle einnimmt. In ihren sowieso schon wenigen Szenen, wird sie ausschließlich verprügelt - meist mit dem Telefon (und die waren damals noch nicht so leicht wie heute). Aber alles, wirklich alles, wird unterboten von der Leistung von Kenneth Glöckler, besser bekannt als Kay One, der, außer, dass er seine linke Augenbraue hochzieht, nichts bringt. Voll und ganz zu überzeugen weiß lediglich Karoline Schuch (Zweiohrküken) in der Rolle der Selina. Über alle anderen sollte man lieber den Mantel des Schweigens hüllen!
Was bleibt ist die filmische Demontage eines Bad Boys. Der Film zeichnet Bushido als Gutmensch, was wohl daran liegen mag, dass das Projekt eindeutig auf ein Massenpublikum (FSK 12) getrimmt ist. Als wirklich lebensnah kann man das Gesehene beim besten Willen nicht bezeichnen. Das Werk hat aber auch seine unterhaltsamen Momente, die jedoch, aufgrund der vielen Klischees, der uninspirierten Regie von Uli Edel und dem hölzernen Spiel der meisten Darsteller, viel zu selten zum tragen kommt. So bleibt "Zeiten ändern dich" ein Kinofilm auf dem Niveau einer Bravo Foto-Lovestory.
6 Punkte