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    Der letzte Wolf
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Der letzte Wolf
    Von Christian Horn

    Der Franzose Jean-Jacques Annaud („Am Anfang war das Feuer“, „Der Name der Rose“) knüpft mit seiner Adaption des chinesischen Bestsellers „Der Zorn der Wölfe“ an seine früheren Filme „Der Bär“ und „Zwei Brüder“ an, in denen ebenfalls vom Leben wilder Tiere erzählt wird. Einmal mehr setzt der Regisseur in dieser chinesisch-französischen Co-Produktion auf erlesene Landschaftsbilder und auf atemberaubende Naturaufnahmen. Die politischen Implikationen des Stoffs dagegen schiebt er wohl auch aus Rücksicht auf die chinesischen Geldgeber der 40-Millionen-Dollar-Produktion beiseite und nutzt die historischen Umstände der Kulturrevolution lediglich als Aufhänger für ein visuell prächtiges 3D-Abenteuer. Die Funktionäre im Reich der Mitte waren davon so angetan, dass sie „Der letzte Wolf“ als offiziellen Beitrag Chinas in das Rennen um den Oscar für den Besten nicht-englischsprachigen Film schicken wollten (was an den Regeln der Academy scheiterte). Dass Annauds Skandal-Erotikdrama „Der Liebhaber“ im Reich der Mitte bis heute indiziert ist und dass „Sieben Jahre in Tibet“ dem Regisseur einst ein langjähriges Einreiseverbot für die Volksrepublik bescherte, spielte spätestens nach dem großen Erfolg von „Der letzte Wolf“ in China, wo er über 100 Millionen Dollar einspielte, keine Rolle mehr.

    Im Jahr 1967 fegt die Kulturrevolution über China hinweg. Die Studenten Chen Zhen (Feng Shaofeng) und Yang Ke (Shawn Dou) werden in die Innere Mongolei geschickt, wo sie den Nomaden die chinesische Kultur und Sprache vermitteln sollen. Vor allem Chen ist von der Lebensweise der Mongolen und von der unberührten Weite der Steppenlandschaft angetan. Besonders die Wölfe faszinieren den Stadtjungen aus Peking, beim Studium der wilden Tiere beobachtet Chen eine spektakuläre Jagdszene: Die Wölfe treiben eine Herde Gazellen in einen zugefrorenen See, wo die Beutetiere durch das Eis brechen – den cleveren Isegrimms soll das eisige Gewässer den ganzen Winter als reich gefüllte Vorratskammer dienen. Doch der Parteifunktionär Bao (Yin Zhusheng) beschlagnahmt die Gazellen für das hungernde chinesische Volk im Osten und treibt die Wölfe damit in die Enge. Als die in der Folge vermehrt die Nutztiere der neuen Siedler attackieren, befiehlt Bao die Reduzierung des Wolfsbestands und die Tötung aller Welpen. Obwohl ihm der weise Nomade Bilig (Baoyingexige) davon abrät, rettet Chen eines der zum Abschuss freigegebenen Jungtiere und zieht es heimlich groß.

    Die bösen Wölfe töten skrupellos Unschuldige“, sagt der unbedarfte Yang Ke einmal, als die Wölfe ein paar Schafe reißen und weist den Tieren damit menschliche Rollen und Moralvorstellungen zu. Jean-Jacques Annaud macht sich diese Vermenschlichung der Wildtiere indes nicht zu eigen und zeigt den Überlebenskampf der Wölfe in einem Lebensraum, der durch die Ankunft neuer Siedler bedroht ist, auf weitgehend realistische Weise. Für diesen Eindruck von Authentizität musste er allerdings tricksen und ließ den Tiertrainer Andrew Simpson für den Dreh drei Jahre lang 50 Wölfe aufziehen, die hier als Darsteller eingesetzt werden. Dieser Aufwand widerspricht zwar durchaus der ökologischen Botschaft des Films, zahlt sich in gestalterischer Hinsicht aber aus, denn die dressierten Wölfe erwiesen sich als gelehrige Mitarbeiter, sodass Annaud nur vereinzelt mit CGI-Effekten nachhelfen musste. Auch wenn der 3D-Effekt fast völlig verpufft, setzen die wild-romantischen Naturbilder des Kameramanns Jean-Marie Dreujou („Die Frau auf der Brücke“) den Wölfen dabei ein opulentes Kinodenkmal, zu dem der im Juni 2015 verstorbene James Horner („Titanic“) eine passende melancholisch-majestätische Musik komponierte.

    Wie beim Tierabenteuer „Der Bär“ von 1988 nutzt Annaud zwar auch hier dokumentarisch anmutende Aufnahmen der Tiere, letztlich sind aber alle Szenen den Bedürfnissen einer Erzähldramaturgie untergeordnet. Die erste Begegnung der Studenten mit den Wölfen inszeniert der Regisseur beispielsweise wie ein Westernduell: Chen Zhen reitet auf einem Pferd durch die Steppe und erreicht eine Schlucht, wo ihn ein Wolfsrudel umstellt. Hier wechseln sich Nahaufnahmen der bedrohlich knurrenden Raubtiere und des in die Enge getriebenen Chen ab, was von ferne an den legendären Showdown in Sergio Leones „Zwei glorreiche Halunken“ erinnert. Zu einem anderen Western weist Annauds Natur-Drama noch weitaus stärkere Parallelen auf: Wie in „Der mit dem Wolf tanzt“ entdeckt hier ein Mann unberührtes Land und lernt eine naturverbundene Kultur kennen. In beiden Filmen gerät die friedliche Situation aus den Fugen, als Befehlshaber aus der Zivilgesellschaft nachrücken – und beide Male avanciert der Wolf zum Symbol für die Natur und die Freiheit. So nah wie Kevin Costner kommt Jean-Jacques Annaud den Figuren und ihren Konflikten allerdings nicht. So wird beispielsweise die aufkeimende Liebe zwischen Chen und der Mongolin Gasma (Ankhnyam Ragchaa) lapidar und kraftlos abgehandelt. Die Stars des Films sind aber ohnehin die Wölfe und ihr natürlicher Lebensraum – und hier macht Jean-Jacques Annaud alles richtig.

    Fazit: Ein visuell beeindruckendes, erzählerisch jedoch recht unrundes Abenteuer-Epos von Jean-Jacques Annaud.

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