Islamistische Terroristen versetzen New York City in Panik, überziehen die Stadt mit verheerenden Anschlägen, die Hunderte von Opfern fordern. Solch einen Plot als Fiktion würde sich aus Pietätsgründen in der Gegenwart wohl niemand mehr so explizit trauen. Doch Edward Zwicks politischer Action-Thriller „Ausnahmezustand“ stammt aus dem Jahr 1998, also drei Jahre vor den weltverändernden Attentaten des 11. Septembers. Zwicks Film wirkt in Teilen wie ein Vorgriff auf die Geschichte. Besonders interessant ist es, im Nachhinein zu beobachten, in wieweit sich Wirklichkeit und Hollywood-Phantasie aber schließlich doch unterscheiden. Aber trotz tadelloser Produktionswerte, gutem Schauspiel und straffer Inszenierung schafft sich „Ausnahmezustand“ mit seiner politischen Überkorrektheit selbst ein Problem.
New York ist in Alarmbereitschaft. Arabische Terroristen haben einen Bus gekapert und drohen, diesen in die Luft zu sprengen. Doch die Aktion geht glimpflich aus, es wird lediglich blaue Farbe zur Explosion gebracht. Eine Warnung, wie die undurchsichtige CIA-Agentin Elise Kraft (Annette Bening) glaubt. Sie kommt bei den Ermittlungen dem Sondereinsatzkommando des FBI die Quere. Deren Leiter Anthony Hubbard (Denzel Washington) hat zunächst wenig Verwendung für Elise, wird aber bald dazu gezwungen, sich mit ihr auseinander zu setzen. Nach ersten Erfolgen von Hubbards Team geht die nächste Attacke auf einen Bus schlimmer aus. Die Terroristen sprengen diesen samt Insassen tatsächlich in die Luft, als die Forderung, einen von US-General Devereaux (Bruce Willis) geheim inhaftierten Scheich freizulassen, nicht ernst genommen wird. Aber das war nur der Anfang des Grauens. Nach weiteren Anschlägen mit Hunderten von Toten ruft der Präsident den Notstand aus. Der rigorose General Devereaux übernimmt mit seinen Truppen das Kommando und greift unter Kriegsrecht zu radikalen Maßnahmen. Um die noch existierende Terrorzelle zu finden, riegelt das Militär Brooklyn, wo die Attentäter vermutet werden, hermetisch ab und interniert Tausende von verdächtigen Arabern in einem Stadion…
„Good morning. Today with the invocation of the War Powers Act by the President, I am declaring state of Martial Law in this city. To the best of our knowledge we are opposed by no more than 20 of the enemy. He is hiding among a population of roughly two million. Intelligence tells us that he is most likely Arab speaking, between the age of 14 and 30, narrowing the target to 15.000 suspects.” (Generel Devereaux)
Die Kritik des Jahres 1998/1999 monierte an Edward Zwicks „Ausnahmezustand“, dass der Plot des Films zu konstruiert sei. Zwar war die Welt durch Bombenanschläge auf US-Institutionen im Ausland an einigen Schrecken gewohnt, doch Dimensionen, wie sie dieser Action-Thriller innerhalb der Grenzen der USA entwirft, galten als Utopie. Dass die Realität wenig später noch dramatischer und furchtbarer aussah, ist bekannt. Edward Zwick (Blood Diamond, Last Samurai, „Legenden der Leidenschaft“, „Glory“) versteht sein Handwerk ausgezeichnet. An seinen Fähigkeiten ist nicht zu rütteln. Das beweist auch „Ausnahmezustand“, der völlig unabhängig von der hochbrisanten Thematik als routinierter, souveräner Adrenalin-Treiber daher kommt. Die Atmosphäre eines hysterischen New Yorks ist packend eingefangen, die schauspielerischen Leistungen sind überwiegend überzeugend und die Spannung bewegt sich auf einem beachtlichen Niveau.
Zwicks Horrorszenario erreicht zwar nicht die Größe der späteren Wirklichkeit, aber die Ausmaße sind ein Stückweit schon vergleichbar. Was sich grundlegend unterscheidet, sind zwei Dinge: Die Reaktion der Bevölkerung und die der Regierung. Während sich die realen New Yorker von den markerschütternden Attentaten nicht in die Knie zwingen ließen und trotzig reagierten, entwirft „Ausnahmezustand“ das Bild einer Massenpanik mit entsprechenden gesellschaftlichen Konsequenzen. Auf der anderen Seite legte die US-Regierung Bush im „war on terror“ die ganz harten Bandagen an, doch so weit, New York unter Kriegsrecht zu stellen, ging selbst ein George W. nicht. Somit erweist sich die gesamte Figur des machtgeilen Generals Devereaux, die diesen Aspekt komprimiert, als ebenso arg konstruiert, wie der Strang um den Militäreinsatz, der allerdings spektakuläre Schauwerte bietet. Die Angreifbarkeit dieses eindimensionalen Charakters fordert ambivalente Betrachtungsweisen geradezu heraus. Folglich wurde Bruce Willis (Pulp Fiction, Stirb langsam 4.0) sowohl mit dem Blockbuster Entertainment Award als auch mit der Goldenen Himbeere ausgezeichnet.
Ein großer Aktivposten des Films ist wieder einmal ein unverwüstlicher Denzel Washington (American Gangster, Deja Vu, Training Day), der als Integrationsfigur für das Publikum agiert und mit seinem kraftstrotzenden Spiel dominiert. Annette Bening (American Beauty, Bugsy) gefällt zwar als zwielichtige CIA-Agentin, die nie wirklich zu durchschauen ist. Doch dieser absurde Charakter hat mit großen Glaubwürdigkeitsproblemen in der Gesamtkonstruktion zu kämpfen. Bruce Willis‘ Betonkopfgeneral kann getrost als Karikatur durchgehen, die Zwick als dramaturgische Krücke einsetzt und im pathostriefenden Finale benötigt, um seine Linie der Deeskalation auf die Spitze zu treiben. SPOILER: Hubbert stellt Devereaux, prangert dessen Foltermethoden an und stellt diese in Ausführung als das Ende der USA dar. Wie naiv das ist, zeigt die Realität, in der diese Praxis der Amerikaner längst Usus geworden ist.SPOILER ENDE.
Unabhängig von den stimmigen Werten als Unterhaltungsfilm krankt „Ausnahmezustand“ in Sachen Charakterisierung an fehlendem Mut. Der Film will es allen recht machen und beileibe niemandem auf die Füße treten. Die Untaten werden radikalen Minderheiten in die Schuhe geschoben, dass diese Schwarz-Weiß-Zeichnung nicht relevant ist, zeigt wieder einmal die vielzitierte Realität, in der mehr als ein paar fehlgeleitete Islamisten Hass gegen den Westen im Allgemeinen und die USA im Besonderen pflegen und andererseits die Amerikaner sehr wohl ein Misstrauen gegenüber arabischer Mentalität an den Tag legen. Das führt dazu, dass der Action-Thriller trotz brisanter Note zu sehr auf die eingefahrenen Mechanismen Hollywoods setzt, anstatt wie zum Beispiel zuletzt Operation: Kingdom im Finale auf brutalen Realismus zu bauen.