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    The Big Lebowski
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    The Big Lebowski
    Von Ulrich Behrens

    Ein feiner Pinkel aus der Stadt ist Jeffrey Lebowski nun wahrlich nicht. Vielleicht ein Pinkel, vielleicht aus der Stadt, aber fein? Trotzdem nennt er sich und nennen ihn alle The Dude (Jeff Bridges). The Dude, der ist ein Relikt, eine archäologische Seltenheit, die nie ausgegraben wurde, sondern sich über die Jahre hinweg an der Luft gehalten hat. The Dude hat sich durchgeboxt, na ja, geboxt ist vielleicht viel zu viel gesagt. Er hat eine Nische gefunden in L.A., eine doch relativ große Nische, in der er nun sein reduziertes Leben zwischen Nichtstun (jedenfalls was eine „ordentliche Arbeit“ angeht), Bowlingbahn, White Russian, den er schlürft, als wäre es Wasser, und Joints verbringt. The Dude ist das, was man hierzulande einen gestrandeten Alt-68er nennen würde, einen Hippie der Flower-Power-Generation, einer, der nicht irgendwann den „Gang durch die Institutionen“ eingeschlagen hat, sprich: die mehr oder weniger steile Karriere im Establishment, das den 68ern ja ein Gräuel war und zu dem sie heute zumeist selbst gehören. Nein, nein, The Dude ist sich und seiner Mentalität auf eine sehr individuelle Art treu geblieben. Mit radikaler Politik ist es vorbei, die Frauen rennen ihm nicht gerade nach. The Dude hat lange Haare, einen Vollbart, trägt ständig übergroße Bermudashorts. Eigentlich gehört er ins historische Museum, aber da er lebt, wäre das allzu inhuman.

    The Dude hat zwei Freunde, mit denen er die Kunst der Kugel ausübt. Die Mit-Bowler sind Walter (John Goodman), auch ein Relikt, ein Vietnam-Veteran, der an allen geeigneten und ungeeigneten Stellen the power of the gun propagiert, und den stillen bzw. von Walter ständig zum Stillschweigen verdonnerten Donny (Steve Buscemi). The Dude lebt in den Tag hinein, ohne sich wirklich zu langweilen. Sein Tagesablauf ist geregelt wie der derjenigen, die morgens zur Arbeit und abends heim zu Familie und Fernsehen gehen – nur ganz anders, bis – ja bis ihn eines Tages zwei Gestalten aufsuchen, Woo (Philip Moon) und Blond (Mark Pellegrino). Sie suchen Geld, viel Geld, dass sie bei Lebowski vermuten. Allein, Jeffrey Lebowski ist nicht der einzige Jeffrey Lebowski in L.A. Die beiden verwechseln ihn mit dem stinkreichen, an den Rollstuhl gefesselten Namensvetter (David Huddleston). Sie ziehen wieder ab, allerdings nicht ohne vorher den geliebten Teppich des falschen Lebowski mit Urin zu verunreinigen.

    Woo und Blond schickte der Pornoproduzent Treehorn (Ben Gazzara), in dessen Umkreis sich die sehr junge Frau von Lebowski Zwei, Bunny (Tara Reid), herumtreibt. The Dude will sich das alles nicht gefallen lassen und sucht rich man Lebowski auf, der ihm den Teppich ersetzen soll. Der weigert sich. Wenig später allerdings beauftragt er The Dude – angeblich als Möglichkeit der Entschädigung –, seine vermeintlich gekidnappte Frau per Übergabe von Lösegeld zu befreien. The Dude stimmt zu, Walter entwirft einen Schlachtplan und Donny hat wie immer die Klappe zu halten. Allerdings ist die Angelegenheit, in die Lebowski No. 1 nun involviert ist, etwas verwickelter, als er annimmt. Zudem hat die Tochter von Lebowski No. 2 aus einer früheren Ehe, Maude (Julianne Moore), etwas dagegen, dass das Lösegeld, das The Dude zu allem Überfluss auch noch gestohlen wird, in die Hände ihres Vaters zurückwandert. Und drei seltsame Gestalten, die sich Nihilisten nennen, machen The Dude das Leben äußerst schwer.

    Schließlich kommen Zweifel auf, ob Bunny wirklich entführt wurde ...

    Letztlich drehen die Coen-Brüder in „The Big Lebowski“ den berühmten Spieß um. The Dude, der Ex-Hippie, der Noch-Hippie, der ewige Hippie, erscheint normaler als fast alle skurrilen oder extravaganten anderen Gestalten. Ihn verbindet eine Freundschaft, die außergewöhnliche Freundschaft mit einem kampfbereiten Vietnam-Veteranen und einem schweigenden Donny, die letztlich wertvoller erscheint als das ganze Drumherum aus Pornoindustrie, Geld- und Machtinteressen, Intrigen, Verbrechen und Gewalt.

    Das fängt schon auf der Bowlingbahn an, auf der sich ein Latino-Bowler namens Jesus (John Turturro) herumtreibt, der sich verhält wie eine aggressive Mischung aus Stierkämpfer, Großmaul und Schmierlappen. Die drei Freunde müssen sich mehrfach die Anfeindungen Jesus anhören – und reagieren gelassen, kopfschüttelnd, meist mit Bemerkungen wie: „Jetzt dreht er völlig durch.“ Oder Maude, eine Mixtur aus Hardcover-Feministin und abgefahrener Künstlerin, die sich im Lederoutfit, bewaffnet mit Farbe durch die Lüfte schwingt. Oder die drei Nihilisten (Peter Stormare, Flea, Torsten Voges), eine absurdes deutsches Trio, das sich in Stärke übt, doch wahrlich schwach ist. Schließlich Philip Seymour Hoffmans Brandt, der Lakai von Lebowski No. 2, äußerlich auf Vornehmheit bedacht, verschafft er The Dude hinter dem Rücken seines Herrn einen Ersatz-Teppich.

    Die Coens verpacken ihren Film zwischen Drama, Crime und Komödie in viel Sarkasmus und Skurrilität. Das Absurde, Außergewöhnliche erscheint normal, das Normale absurd. The Dude ist anfangs ein exotisches Exemplar aus vergangenen Zeiten. Zum Schluss erscheint er normaler und vernünftiger als alle anderen. The Dude versucht, sich im Kuddelmuddel, das andere angerichtet haben, zurecht zu finden, es richtig zu machen, und scheitert. Er stolpert von einer missglückten Handlung in die nächste. Die Verrückten, in ihrem eigenen Leben zwischen Machtstreben und Geldsucht Gestrandeten, benutzen ihn. Und trotzdem kommt er mit einigermaßen heiler Haut wieder raus.

    Die Auswahl der Schauspieler gelang den Coens wieder einmal hervorragend. Das gilt vor allem für Jeff Bridges.

    „The Big Lebowski“ dreht sich im Kreis. Der Film erzählt weniger eine Geschichte, als dass er in gewohnter Coen-Manier einen Zustand beschreibt und eine Atmosphäre vermittelt. The Dude, so einen ähnlich skurrilen Typen kennt wahrscheinlich fast jeder, und das macht den Film zusätzlich zu einem Hochgenuss. Denn mit The Dude, wenn er an seinem White Russian schlürft oder die Bowling-Kugel in Bewegung setzt, kann man sich anfreunden – so schwierig das auch manchmal sein mag.

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