“Your family is the void you emerge from, and the place you return to when you die.“
Ang Lee hat ohne Zweifel ein paar kuriose Filme gedreht, die nicht so ganz das Publikum begeistern konnten (siehe „Hulk“ oder „Gemini Man“). Doch Lee hat in den 90ern und 2000ern einige der besten Filme der Jahre rausgehauen. „Brokeback Mountain“ oder auch „Tiger and Dragon“ prägten die Kinolandschaft. Ein Film von ihm blieb mir aber immer wieder besonders im Kopf: „Der Eissturm“ von 1997. Damals habe ich das Werk im Fernsehen gesehen, vor fast 20 Jahren. Jetzt endlich konnte ich dieses Schmuckstück wieder schauen und bin begeistert. Ähnlich wie „American Beauty“, behandelt „Der Eissturm“ die Abgründe in einem kleinen Vorort von Amerika auf beeindruckende Art und Weise. Und kurioserweise wurde dieser Film bei den Oscars 1998 überhaupt nicht beachtet. Klar, gegen „Titanic“ konnte kaum jemand anstinken, dennoch schade, da dies mit „Good Will Hunting“ für mich einer der besten Filme des Jahres ist.
1973, Connecticut: Wir sehen das Leben der Familie Hood und ihren Nachbarn/ Freunden. Während der Vater, Ben Hood, seine Frau betrügt, erleben die Kids die „Freuden“ der Pubertät und wollen diese auch gern ausleben. Dabei fällt es niemandem einfach zu sagen, was er oder sie wirklich will oder denkt. Alles kommt zusammen als ein gefährlicher Eissturm durch die Gegend tobt…
Zuerst fällt einem bei diesem Film der gewaltige Cast auf: Neben den Hauptdarstellern Kevin Kline, Sigourney Weaver und Joan Allen, sehen wir vor allem viele Jungstars, die später große Karrieren starten sollten. Elijah Wood, Katie Holmes, Christina Ricci und Tobey Maguire sind mit dabei. Und wirklich jeder gibt eine tolle Performance ab. Bis in die kleinste Rolle ist dieser Film stark besetzt und vor allem stark gespielt. Ja, auch die Kinderdarsteller sind authentisch und wirklich berührend. Eine durchweg schauspielerisch großartige Leistung!
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Rick Moody und Ang Lee ist in diesen Literaturverfilmungen einfach begnadet (siehe „Brokeback Mountain“). Auch wenn ich das Buch nicht gelesen habe, so ist das Endergebnis doch beeindruckend. „Der Eissturm“ zeigt eine faszinierende und echte Welt in dieser Kleinstadt. Unterdrückte Sexualität und Gelüste paaren sich mit einer kühlen Distanz, die wunderbar symbolisch durch den Eissturm dargestellt wird.
Ich liebe vor allem die Blicke und nonverbalen Gesten der Figuren. Ein perfektes Beispiel dafür, dass man so viel mehr erzählen kann, wenn man gar nichts sagt. Dementsprechend muss man auch das Drehbuch von James Schamus loben. Denn wenn was gesagt wird, ist es trotzdem spannend, man hängt förmlich an den Lippen der Figuren. Denn nur selten stimmt das, was die Charaktere sagen auch mit deren Handlungen überein. Vielen fällt es schwer das zu sagen, was sie wirklich wollen und das ist so nachvollziehbar. Genau das macht den Film so real, so intim und gut.
„Der Eissturm“ schafft zudem einen grandiosen Spagat zwischen Humor und Drama. Entweder lacht man verschämt mit, wenn der Vater seinen Sohn über Masturbation aufklären will, im nächsten Moment leidet man mit den Figuren mit, wenn sie in einer ehelichen Krise stecken. Und das alles macht die Figuren so lebendig, charmant und vor allem nachvollziehbar in ihren Entscheidungen. Es gibt keine plakative Schwarz-Weiß-Darstellung, sondern komplexe Figuren. Figuren, die auch mal Dinge machen, die auf den ersten Blick sinnlos oder dumm wirken. Aber wir alle kennen diese Momente und „Der Eissturm“ schafft es die auch glaubhaft rüber zu bringen.
Technisch bietet der Film eine wunderbare Kamera von Frederick Elmes (gerade der scheinbar echte Eissturm, den man filmen konnte, ist beeindruckend schön!) und einen sanften, passenden Score von Mychael Danna.
Fazit: „Der Eissturm“ ist einer von Ang Lees besten Filmen und einer der besten Filme des Jahres. Mitreißend, witzig und tragisch zugleich. Gepaart mit einem großartigem Cast haben wir hier ein absolutes Filmjuwel der 90er Jahre!