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    Kopfgeld
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Kopfgeld
    Von Andreas R. Becker

    Spannend bis zur letzten Minute und bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzt: Obwohl „Kopfgeld“ nur eine unter vielen Entführungsgeschichten ist, gehört sie auch ein Jahrzehnt nach ihrem Kinostart nach wie vor zu den besten. Frei nach bestem hollywoodschem Brauch ist der Thriller von The Da Vinci Code – Sakrileg- und A Beautiful Mind-Regissseur Ron Howard „inspiriert“ von betagterem Filmmaterial. Die 1954 erstmals ausgestrahlte Folge „Fearful Decision“ der Fernsehserie „The Unites States Steel Hour“ war so erfolgreich, dass daraus zwei Jahre nach der ersten Ausstrahlung der Spielfilm „Menschenraub“ mit Glenn Ford und Donna Reed entstand. Dessen US-amerikanischer Titel „Ransom!“, der eigentlich „Lösegeld“ bedeutet, blieb ebenso wie das Konzept auch dem aufpolierten Remake zum vierzigjährigen Jubiläum erhalten. Ohne „!“ im Titel, aber mit beeindruckendem Staraufgebot (in persona: Mel Gibson, Rene Russo, Gary Sinise, Delroy Lindo, Liev Schreiber und Lili Taylor) mauserte sich der Film, der in Deutschland als „Kopfgeld“ in die Kinos kam, zum echten Überraschungserfolg: Weltweit 300 Millionen Dollar Einspielergebnis bei 80 Millionen Dollar Produktionskosten – damit hatte keiner gerechnet. Die überaus erfolgreiche Video- und TV-Auswertung kam hinzu und belegt bis dato, dass die Jagd nach dem Kopf hinter dem Geld auch jenseits des Kinos bestens funktioniert.

    Tom Mullen (Mel Gibson) ist Besitzer einer Fluggesellschaft und unzählige Millionen Dollar schwer. Zusammen mit seiner Frau Kate (Rene Russo, „Get Shorty“, Outbreak) und seinem Sohn Sean (Brawley Nolte) lebt er in einem von der Außenwelt weitgehend abgeschotteten Luxuspalast. Als Sean einer Gruppe von Kidnappern zum Opfer fällt, bricht das Unheil über die vermeintlich perfekte Familie herein und die Fassade beginnt zu bröckeln. Tom und Kate ziehen ein Team des FBI zu Rate, das die Täter zur Strecke, oder wenn schon nicht dies, dann zumindest den Sprössling nach Hause bringen soll. Nachdem die Ermittler unter Anleitung von Agent Lonnie Hawkins (Delroy Lindo, Gottes Werk und Teufels Beitrag, Nur noch 60 Sekunden) ihre Zelte im Haus der Mullens aufgeschlagen haben, beginnt ein zermürbender Nervenkrieg. Schnell wird klar, dass Gut und Böse nicht so eindeutig voneinander zu trennen sind, wie es zu Beginn noch den Anschein hat und auch die Ehe von Kate und Tom wird an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geführt. Eine unvorgesehene Wendung des Geschehens sorgt schließlich dafür, dass Tom ausrastet und den Spieß umdreht: Vor laufenden Fernsehkameras verwandelt er die zwei Millionen Dollar Lösegeld in Kopfgeld, um eine landesweite Hetzjagd auf den Täter Jimmy Shaker (Gary Sinise, Apollo 13, The Green Mile, Forrest Gump) anzufachen.

    Aus der Sicht des Plots ist es natürlich vor allem diese gravierende Wendung der Ereignisse, die „Kopfgeld“ von anderen Entführungsfilmen abhebt. Während die emotionale Achterbahnfahrt des Films in der ersten Hälfte für den Zuschauer genregerecht aus Angst, Mitgefühl und Spannung besteht, rast sie nach dem Höhepunkt, Toms Auftritt im Fernsehen, mit euphorischer Wut und Rachelust dem Ende entgegen. Das funktioniert vor allem aufgrund des erstklassig spieltenden und besetzten Schauspiel-Ensembles. Zwar sehen wir von Gibson im Wesentlichen nur sein vielfach erprobtes Standardrepertoire: Sympath mit Kanten, vom Schicksal gepeinigt, schlägt wütend und unerbittlich zurück. Dazu die obligatorische Mimik und insbesondere die teils pathetische Gestik, die in „Payback“, Braveheart, Der Patriot und „Lethal Weapon“ mit marginalen Abweichungen ebenfalls zu sehen sind. Dass man das Rad aber nicht immer neu erfinden muss, damit es rollt, beweist Gibson mit seiner Performance in „Kopfgeld“, die hier einfach passt wie die Millionärsfaust auf Entführeraugen.

    Apropos Entführer: Natürlich gibt es keinen Helden ohne einen Schurken, an dem er sich profilieren kann. Toms Antagonist, der korrupte Detective Jimmy Shaker, hat sich seinen Rang in den Top-Listen der widerlichsten Hollywoodkriminellen der 90er redlich verdient. Die Rolle, die schon vom Drehbuch mit solch menschlicher Kälte und Berechenbarkeit beschrieben wurde, dass Howards Erstwahl Alec Baldwin (Departed: Unter Feinden, The Cooler) ablehnte, erhält durch die Darstellung Gary Sinise’ wahrhaft verachtenswerte Lebendigkeit. Durch den weitgehenden Verzicht auf explizite Gewaltdarstellung im gesamten Film sticht die wenige, psychische und physische Brutalität, die von Sinise’ Charakter ausgeht, umso deutlicher hervor und gießt zusätzliches Öl in die brennende Abscheu des Betrachters.

    Um diesen hervorstechenden Antagonismus zwischen Gibson und Sinise bilden die sicher nicht dem Klingelbeutel finanzierten Nebenrollen den Kitt des Geschehens. Zwar darf Rene Russo die weitgehend traditionskonforme Ehefrau mimen, doch auch die Figur von Kate hält einige Momente von Feuer, Verzweiflung und Widerstand parat, die Russo dankend aufgreift und ausfüllt. Delroy Lindo gibt überzeugend einen überzeugten Detective Lonnie Hawkins, der diejenige Kombination an Angespanntheit und Gelassenheit an den Tag legt, die man der Erfahrung eines professionellen Kidnapping-Betreuers zuschreibt. Auf der Seite der Gejagten sind noch Lili Taylor und Scream-Emporkömmling Liev Schreiber (der vor kurzem mit Alles ist erleuchtet sein Regiedebüt gab), die das Gesamtbild der Darsteller abrunden.

    Während und weil die Kameraarbeit in „Kopfgeld“ auf die Sache und nicht auf selbst-repräsentative Ästhetik aus ist, tritt die Score umso mehr hervor. Komponiert wurde die Musik von James Horner, der später mit „A Beautiful Mind“ erneut einen Film von Ron Howard untermalte und in „Kopfgeld“ den durch die Schauspieler vorgegebenen Spannungsverlauf noch einmal forciert.

    Natürlich bricht „Kopfgeld“ keine großartigen Lanzen, wenn es um die Vermeidung klischeehafter Darstellungen geht. Traditionelle Familienidylle und Ehebilder werden als Ideal ebenso kolportiert wie eine traditionelle „God bless America“-Erfolgsideologie. Im Gegenteil zu manch anderem Blockbuster lässt Regisseur Ron Howard diese allerdings nicht gänzlich unreflektiert stehen. Dies zeigt sich insbesondere in einer aus der übrigen Dynamik des Films herausgelösten Sequenz. In einem Gespräch, das Vater und Entführer über Funk führen, lässt Howard seinen Schurken aus H.G. Wells Die Zeitmaschine bzw. dessen Verfilmung zitieren. In der dortigen Zwei-Klassen-Gesellschaft leben die Eloi überirdisch in Reichtum und Wohlstand. Dieser Luxus wird produziert von den unterirdisch, unter widrigen Bedingungen schuftenden Morlocks, ein Gegensatzpaar, das auch Fritz Lang in Metropolis bemühte. So leben die einen auf Kosten der anderen – bis sich die anderen rächen und dann und wann ihren Tribut einfordern in Form von Leben, die von der Oberfläche gerissen werden. Und auch in „Kopfgeld“ wird kein Zweifel daran gelassen, dass die Weste des gepeinigten Multimillionärs nicht so weiß ist, wie er es selbst gern hätte. Zwar bleibt eine juristische Konsequenz dafür zumindest im Film selbst zunächst aus. Allerdings ließe sich das familiäre Fiasko, dem Tom und Kate durch die Entführung ausgesetzt sind, durchaus als „Strafe“ im Sinne der Morlocks lesen. Darüber hinaus deutet der geläuterte (Überraschung...) Tom zuvor die Bereitschaft an, für seine Fehltritte gerade zu stehen. Und letztlich versprüht auch das in schwarz-weiß gehaltene Ende keinen uneingeschränkten Optimismus, wie wir ihn von einem uneingeschränkten „Happy End“ eigentlich erwarten würden.

    Ron Howard hat mit „Kopfgeld“ also letztlich sicher nicht versucht, eine Hollywood-Revolution anzuzetteln, weshalb sich das Reflektionspotenzial in engen Grenzen hält. Es ist aber messbar vorhanden und jenseits aller ideologischen Analysen bleibt „Kopfgeld“ ein grandioser Thriller mit einem entscheidenden Plot-Twist, der auch nach wiederholtem Sehen noch mitreißt. Bis in die Fingerspitzen gut besetzt und gespielt, packt der Film seinen Zuschauer, der empathisch vor allem die Gefühlszustände eines Mel Gibson immer mehr am eigenen Leib durchmacht, je weiter die filmische Zeit voranschreitet. Kurz und gut: spannende Unterhaltung, wie sie sein sollte.

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