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    Mein Nachbar Totoro
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Mein Nachbar Totoro
    Von Ulf Lepelmeier

    Das Animationsstudio Ghibli ist aus der japanischen Filmlandschaft nicht mehr wegzudenken und die Werke von Regisseur Hayao Miyazaki („Chihiros Reise ins Zauberland") sind inzwischen auf den A-Festivals dieser Welt zuhause. Das Logo des vielgepriesenen Studios zeigt ein merkwürdiges Tier, das eine Mischung aus Katze, Eule und Marderhund darstellt und im nordostasiatischen Inselstaat jedem Kind als Totoro bekannt ist. Was für Disney das Mickey-Maus-Emblem, ist für Ghibli die Totorosilhouette. Das knuffige Fantasiewesen erfreut sich seit dem Erscheinen von „Mein Nachbar Totoro" im Jahre 1988 größter Beliebtheit und gilt immer noch als Ghibli-Merchandiseprodukt Nummer eins. Dabei wollte zuerst niemand das kindlich- verspielte Animationsprojekt von Regisseur Hayao Miyazaki finanzieren, da es mit seiner unaufgeregten Erzählweise und seinen sehr jungen Protagonistinnen als nicht vermarktbar galt. Doch dann lief der herzerweichende Kinderfilm als Double-Feature mit dem eigentlich an eine ältere Zielgruppe gerichteten Antikriegsfilm „Die letzten Glühwürmchen" in den japanischen Lichtspielhäusern an und eroberte alsbald die Herzen von Jung und Alt im Sturm.

    Die vierjährige Mei und ihre zehnjährige Schwester Satsuki ziehen in den 1950er Jahren zusammen mit ihrem Vater ins Umland von Tokio, um ihre in einem Hospital liegende Mutter öfter besuchen zu können. Schon beim Einzug in das an einem Wald gelegene Haus sind die beiden Schwestern von der Idee angetan, dass es in ihrem neuen Zuhause spuken könnte. Einige Tage später stürzt die kleine Mei in ein Loch im Wurzelwerk eines riesigen Kampferbaumes und landet dort auf dem Bauch eines großen, pelzigen Wesens, welches das Mädchen für einen Troll hält. Da die Vierjährige dieses Wort noch nicht richtig aussprechen kann, tauft sie den magisch begabten Waldgeist auf den Namen Totoro. Schon bald erscheinen auch Satsuki drei unterschiedlich große Totoros und ein zwölfbeiniger, breit grinsender Katzenbus. Als Mei sich bei dem Versuch, alleine zur Mutter zu gelangen, verläuft, versucht ihre besorgte große Schwester gemeinsam mit einem aus hilfsbereiten Nachbarn bestehenden Suchtrupp sie wiederzufinden. Als Mei auch bei Einbruch der Dunkelheit noch immer verschwunden ist, bittet die völlig verzweifelte Satsuki den größten der drei Totoros um Hilfe...

    Der vergleichsweise ereignisarme, sich nur langsam entfaltende Plot, der ganz ohne Actionszenen oder böse Gestalten auskommt, beschreibt in einer harmonischen Atmosphäre die alltäglichen Tagesabläufe zweier Schwestern und lässt den Zuschauer auf berührende Weise an ihren Wünschen, Ängsten, ihrer kindlichen Begeisterungsfähigkeit und ihrer überbrodelnden Fantasie teilhaben. Die erstaunliche Glaubwürdigkeit der einfühlsam gezeichneten Charaktere und die aufmerksame Beobachtung ihrer vom Entdeckungsdrang vorangetriebenen Entwicklung, lässt einen in die Perspektive der beiden Kinder eintauchen. Dabei beweist Hayao Miyazaki ein unglaubliches Fingerspitzengefühl bei der Darstellung der kindlich-naiven Erlebniswelt.

    Satsuki und Mai werden als zwei aufgeweckte und lebhafte Mädchen in unterschiedlichen Entwicklungsphasen präsentiert. Während Mei mit ihren vier Jahren ihrer älteren Schwester alles nachplappert und noch in dem Verständnis lebt, dass sich alles um ihre Bedürfnisse und Wünsche zu drehen hat, befindet sich Satsuki mit ihren zehn Jahren an der Schwelle zur Pubertät. Sie fühlt sich für die kleine Mei verantwortlich und macht sich große Sorgen um den Gesundheitszustand ihrer Mutter. Auch wenn sie bereits erwachsene Züge aufweist, verfügt sie noch über eine kindliche Begeisterungsgabe. Während Satsuki im Laufe des langsam erzählten Films lernt, mit ihrer Unsicherheit besser umzugehen und dass sie sich auch mal zurück in die Kinderrolle fallen lassen darf, die es ihr erlaubt, die nur für Kinderaugen sichtbaren Totoros wahrzunehmen, beginnt Mei ihre Schwester als eigenständige Persönlichkeit zu begreifen. Mit dem schwierigen Übertritt in die Erwachsenenwelt und den Widrigkeiten, welche die beginnende Pubertät mit sich bringt, sollte sich der Regisseur in „Kiki´s kleiner Lieferservice" einige Jahre später noch genauer auseinandersetzen.

    Durch die geschickte Vermischung von Realität und Imagination sowie die detailreichen, naturalistischen Hintergründe, macht Hayao Miyazaki die Magie des Alltäglichen erfahrbar und zelebriert zugleich die Schönheit der Natur. Dabei bleibt es dem Zuschauer überlassen, ob Totoro nur der kindlichen Fantasie entspringt, oder aber doch als Waldgeist existiert, der sich mit dem Sammeln, Pflanzen und Durchführen von Wachstumsritualen beschäftigt, um den Fortbestand des Waldes zu sichern. Auch wenn anders als in „Alice im Wunderland" die Fantasiewesen und - geschehnisse in „Mein Nachbar Totoro" nie ins absurd-bedrohliche kippen, sondern immer etwas überaus freundlich-beruhigendes an sich haben, finden sich in Miyazakis Kinderfilm doch einige klare Reminiszenzen an Lewis Carrols Erzählung. Aber während Alice sich beständig bewusst ist, dass es sich bei ihren Erlebnissen um Traumgebilde handeln muss und ihr Umfeld ihr die Träumereien ausreden möchte, dürfen die beiden japanischen Mädchen an die wirkliche Existenz der Totoros und des Katzenbusses glauben. Die Erwachsen erweisen sich dabei als verständnisvolle Zuhörer ihrer mit Begeisterung vorgetragenen Geschichten und bestärken die Schwestern darin, in ihrer kindlichen Fantasiewelt aufzugehen und diese nicht in Zweifel zu ziehen.

    Die Geschichte der beiden Protagonistinnen ist dabei an die eigene Kindheit des Regisseurs angelegt, der etwa im Alter der kleinen Mei war, als seine Mutter an Tuberkulose erkrankte und für längere Zeit im Krankenhaus behandelt werden musste. Die unberührte Natur, die der Film in all ihrer Schönheit zeigt, spiegelt dabei die Erinnerung an das Umland Tokios in den 50er Jahren wieder, bevor die wachsende Hauptstadt sich die idyllischen umliegenden Wälder Stück für Stück einverleibte. Die herrlich animierten Hintergründe sind stets voller Leben. So fliegen Schmetterlinge durch das Bild, tummeln sich Kaulquappen in einer Pfütze oder kriecht eine Schecke über den Waldboden. Dabei tauchen auch immer wieder kleine shintoistische Schreine in den Bildern auf, welche die Allgegenwärtigkeit der japanischen Naturreligion versinnbildlichen sollen, in deren Geisterglauben Miyazaki die Totorowesen gekonnt einbettet. So verfügen die Totoros über magische Begabungen, die nach altem japanischem Glauben den Tanukis (Marderhunden) zugeschrieben werden. Außerdem besitzen sie auch die Fähigkeit sich unsichtbar zu machen, die im Volksglauben den Katzen zugesprochen wird. Die schönen Animationen werden von dem zauberhaften Score von Joe Hisaishi hervorragend umspielt. Dabei erweist sich das musikalische Hauptthema als eine vergnügliche Kindermelodie, die lange im Ohr hängen bleibt und förmlich zum Nachsummen einlädt.

    Fazit: „Mein Nachbar Totoro" ist der japanische Kinderfilmklassiker schlechthin. Mit seiner geradlinigen Erzählweise, seiner gefühlvollen Schilderung der kindlichen Erlebniswelt und seinen herzerweichenden Figuren ist das Werk eine Ode an den Zauber der Natur und ein Hohe Lied auf die Fantasie. Ein Film, der mit seiner entwaffnenden Niedlichkeit generationsübergreifend zu begeistern versteht und die eigenen Kindheitstage wieder lebendig werden lässt.

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