Als Phantomschmerz bezeichnet die Medizin das Gefühl, das ein Mensch in amputierten Gliedmaßen verspürt und das mitunter in höllische Schmerzen ausartet. Auch Til Schweigers Charakter in dem Drama „Phantomschmerz“ leidet unter diesen Qualen – was storytechnisch aber nur am Rande eine Rolle spielt, stattdessen entsteht der Eindruck, der einzige Zweck des Symptoms sei die Rechtfertigung des griffigen Titels. Der in den USA lebende und dort als Independent-Produzent tätige Matthias Emcke verarbeitet in seinem Langfilm-Regiedebüt die Geschichte seines kanadischen Freundes Stephen Sumner, einem passionierten Radfahrer, der bei einem Unfall ein Bein verlor. Dem Film ist allerdings deutlich anzumerken, welche Perspektive der Autor und Regisseur eigentlich vertritt.
Marc (Til Schweiger) ist ein Lebemann, wie er im Buche steht und ständig pleite. Er macht sich nicht viele Gedanken, versammelt lauter gutaussehende Frauen um sich und zieht mit seinem beruflich erfolgreichen Freund Alex (Stipe Erceg) um die Häuser. Für seine Tochter Sarah (Luna Schweiger) ist er ein liebevoller Vater, auch wenn der Hallodri ihr zu wenig Zeit widmet. Marc ist ein Geschichtenerzähler, der mit seinen wilden Stories Familie, Freunde und Kollegen zu unterhalten weiß. Seine größte Leidenschaft ist aber das Radfahren. Mit dem Rad war er schon überall auf der Welt, wo es Berge gibt, nur den Tourmalet in Frankreich hat er noch nicht bezwungen. Als er Nika (Jana Pallaske, (Kopf oder Zahl, Was nützt die Liebe in Gedanken, Warten auf Angelina) kennen lernt, scheint er endlich die richtige Frau gefunden zu haben. Doch ein nächtlicher Unfall mit Fahrerflucht verändert alles. Um sein Leben zu retten, müssen die Ärzte Marcs linkes Bein amputieren…
Wie sich die Geschichte weiterentwickelt, ist bereits früh zu erahnen. Emcke erzählt die abgegriffene Story eines Mannes, der an einem Unfall zugrunde zu gehen droht, zu trinken anfängt, suizidale Tendenzen zeigt und dann doch wieder frischen Lebensmut fasst. Doch weder dem Regisseur noch seinem Hauptdarsteller Til Schweiger (Keinohrhasen, Barfuß, Far Cry) gelingt es, dem Zuschauer den Protagonisten näher zu bringen. Dieser trägt so viele Probleme mit sich herum, die einfach nur da sind und wie planlos in die Figur hineingestopft zu sein. Marc ist ein talentierter Autor, scheut sich aber davor, zu schreiben. Er liebt seine Tochter abgöttisch, vernachlässigt sie aber dennoch. Er – und hier versagt die Erzählung dann völlig – steigt mit lauter Frauen ins Bett, verliebt sich dann aber aus dem Nichts doch in die Eine. Warum aber ausgerechnet Nika so besonders sein soll, erschließt sich dem Zuschauer nicht.
Selbst Marcs Abgleiten in der depressiven Phase bleibt belanglos, wird quasi im Nebenher erzählt. Er fängt an zu trinken, erzählt keine Geschichten mehr, verliert seine Lebenslust - und nie zweifelt der Zuschauer auch nur für einen Moment dran, dass diese Phase bald wieder vorüber sein wird. Einen Bärendienst erweist sich Emcke auch mit einem überflüssigen Off-Kommentar, in dem Marc die schwierige Beziehung zu seinem Vater erläutert. Die kommende Wendung, dass Marc aus den Fehlern seines Vaters lernen wird, bekommt das Publikum so schon einmal vorab mit dem Holzhammer verpasst, was dem Film auch noch das letzte bisschen Spannung raubt. Emcke wollte eben – ohne Rücksicht auf Verluste – unbedingt die reale Beziehung zwischen Stephen Sumner und seinem Vater im Film unterbringen.
Im realen Leben hatte Emcke selbst de Rolle des guten Freundes inne, der ungemein hilfsbereit, aber eben auch hilflos danebensteht. Sumner meint dazu, dass manche seiner Freunde, wozu auf jeden Fall auch Emcke gehöre, nach dem Unfall traumatisierter als er selbst gewesen seien. Diese persönliche Verstrickung des Regisseurs ist „Phantomschmerz“ deutlich anzumerken, was einige der stärkeren Szenen zur Folge hat: Wenn Marcs bester Freund Alex am Krankenbett wacht und schließlich von den Ärzten quasi dazu gezwungen wird, seinem Kumpel die Zustimmung zur Amputation abzuringen, dann kommen zwischenzeitlich jene Gänsehaumomente auf, die ein solches Drama unbedingt braucht. Dabei überzeugt auch Stipe Ercegs (Die fetten Jahre sind vorbei, Der Baader Meinhof Komplex, Der Knochenmann) intensive Darstellung des hilflos Leidenden. Eine stärkere Fokussierung auf diesen Charakter wäre wohl deutlich interessanter ausgefallen. Dies zeigt auch der Qualitätsabfall in der zweiten Filmhälfte. Wenn Erceg endgültig nur noch als Statist am Rande steht, wird „Phantomscherz“ gänzlich belanglos und langweilig.
Fazit: „Phantomschmerz“ rutscht zu oft in rührseligen Kitsch ab. Zudem lässt das viel zu pathetisch und aufdringlich erzählte Schicksal von Protagonist Marc den Zuschauer meist kalt. Dafür punktet der Film mit der Figur des besten Freundes Alex. Leider wird diese mit dem Fortgang der Handlung immer mehr in den Hintergrund gerückt.