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    Bedingungslos
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Bedingungslos
    Von Stefan Ludwig

    Regisseur Ole Bornedal hat offenbar Humor. Mit „Just Another Love Story“ liefert er nämlich bewusst das Gegenteil von dem ab, was der Titel vermuten ließe. Zwar beinhaltet das in Deutschland „Bedingungslos“ getaufte Thriller-Drama im Kern eine Liebesgeschichte, wie sie auch in den Seifenopern im Vorabendprogramm der ARD erzählt werden könnte, aber Bornedal ergänzt diesen einfach gestrickten Kern äußerst geschickt mit Thriller- und Film-Noir-Elementen. Dank dieser Zutaten wäre „Bedingungslos“ beinahe ein ganz starker Film geworden, die allzu konstruiert wirkende Liebesgeschichte bleibt jedoch ein Wermutstropfen. Dafür entschädigen die gute Kameraführung, die atmosphärischen blaustichigen Bilder und die innovative, spannungsfördernde Dramaturgie.

    Julia (Rebecka Hemse) fällt nach einem schweren Autounfall, bei dem sie schwere Verletzungen erleidet und ihr Augenlicht verliert, ins Koma. Der am Unfall beteiligte Jonas (Anders W. Berthelsen) fühlt sich schuldig und besucht sie im Krankenhaus. Ihre Familie hält ihn fälschlicherweise für Julias Freund Sebastian (Nikolaj Lie Kaas). Jonas ist zunächst unfähig, das Missverständnis aufzuklären und nimmt so ungewollt die falsche Identität an. Mit der Zeit wird er immer tiefer in die Rolle hineingezogen, bis er schließlich seiner schönen Ehefrau Mette (Charlotte Fich) und seinen beiden Kindern den Rücken kehrt, um mit Julia zu leben, die langsam zumindest ihr Gehvermögen zurückgewinnt. Doch natürlich bleibt Jonas' wahre Identität nicht für immer unentdeckt.

    Eine Frau erblindet durch einen Unfall und verliebt sich anschließend in ihren „Retter“. Diesen simplen Plot, der aus der Feder eines beliebigen Schreibers von Endlos-Schnulzen stammen könnte, verwandelt Regisseur Ole Bornedal mittels einer puzzleartigen Erzählweise in einen spannenden Thriller mit dramatischen Obertönen. In den ersten paar Minuten präsentiert er dem Zuschauer drei Schlüsselszenen, deren Bedeutung sich erst ganz am Ende vollständig erschließt. Nach und nach gibt Bornedal den Blick auf die Einzelteile frei, bis sich das Puzzle zum Gesamtbild fügt. Mittels der Rückblenden, die Julias rückkehrende Erinnerungen zeigen, baut der Regisseur eine pulsierende Spannung auf, die er mit viel Gespür für Timing und Rhythmus ständig zu steigern weiß, zumal er sich auch bei der formalen Gestaltung gegen einen realistischen Ansatz entscheidet und seine Geschichte im Stil eines düsteren Film Noir filmt.

    Obgleich die Handlung im Ganzen sehr abstrus ist, kann man sich in den Charakteren doch wiederfinden. Ihre Motive sind meist klar herausgearbeitet und die guten Schauspieler verleihen ihnen Überzeugungskraft. Jonas bricht also nicht ohne Grund aus seinem scheinbar intakten Heile-Welt-Familienleben aus. Langeweile und ständig wiederkehrende Konflikte treiben ihn immer weiter in eine andere Welt, in die er zunächst zufällig hineingerät, die aber dann als attraktive Alternative erscheint. Charlotte Fich als Mette liefert dazu eine glaubwürdige Darstellung der entsetzten Ehefrau, die intuitiv dem Fremdgehen ihres Mannes auf die Schliche kommt. Die Verzweiflung angesichts der gescheiterten Ehe nimmt man ihr jederzeit ab. Dejan Cukic als Jonas' durchgeknallter Freund Frank, der es auf Mette abgesehen hat, spielt zudem wirkungsvoll den aktiven Gegenpart zum eher passiven Protagonisten und Nikolaj Lie Kaas, der erst im letzten Drittel stärker in Erscheinung tritt, legt als Sebastian eine Glanzleistung hin.

    Ole Bornedal zählt zu den bekanntesten dänischen Filmemachern. 1997 ging er mit mäßigem Erfolg nach Hollywood, um mit „Freeze – Alptraum Nachtwache“, in dem Ewan McGregor die Hauptrolle übernahm, ein Remake seines eigenen Films „Nightwatch“ zu drehen. Nach diversen TV-Produktionen widmet Bornedal sich heute verstärkt wieder dem Kino, hierzulande war zuletzt die Science-Fiction-Komödie Alien Teacher zu sehen. Neben den Filmen der abebbenden „Dogma“-Welle und ihrer Protagonisten schaffen es nur wenige dänische Produktionen in deutsche Kinos. Zwei der hier bekanntesten Filme aus dem nördlichen Nachbarland sind die schwarzen Komödien „In China essen sie Hunde“ und Dänische Delikatessen. Jedoch wäre es im Fall von „Bedingungslos“ ein Fehler wegen des Herkunftslandes vorschnell auf eine amüsante Komödie zu schließen. Zwar sorgt der immer wieder angeschlagene satirische Ton des Films für viele Lacher, doch in erster Linie präsentiert Bornedal dem Zuschauer einen Thriller, den er mit der Zeit zusehends in ein Drama verwandelt.

    Bornedal sorgt nicht nur durch die Stimmungswechsel für ein kurzweiliges Filmerlebnis, sondern auch durch die geschickt ausgewählten, sehr gegensätzlichen Schauplätze. In Kopenhagen drehte er neben einer hässlichen, auf Betonpfeiler gebaute Stadtautobahn. Später verlagert er die Handlung unvermittelt in eine Strandvilla und zeigt uns dabei etwas von der faszinierenden Naturlandschaft Dänemarks. Die im Ausland spielenden Traumsequenzen, in denen sich die wiederkehrenden Erinnerungen Julias widerspiegeln, überraschen und faszinieren dagegen durch ihre brutale Härte. Hier wird auch der schwarze Humor auf die Spitze getrieben. Beispielsweise findet im Hintergrund einer Szene eine Obduktion statt und anhand des entnommenen Gehirns werden dann die Hirnströme erklärt. Seit Hannibal hat wohl kein Filmregisseur mehr dieses menschliche Organ so direkt in den Fokus genommen – glücklicherweise ist allerdings diesmal der Ekelfaktor deutlich geringer.

    Regisseur und Autor Ole Bornedal hat beim Drehbuchschreiben ein wenig geschummelt. Seine überkonstruierte Geschichte weist bei genauerem Blick einige Logiklücken und Brüche auf. „Bedingungslos“ hätte ohne diese Einschränkungen durchaus das Zeug zum Genre-Meisterwerk. So ist Bornedal dank der geschickt eingesetzten Thriller-Elemente und Film-Noir-Anleihen sowie der beeindruckenden Schauwerte immerhin noch ein sehr beachtlicher Film gelungen, der dafür sorgen dürfte, dass einige kalte Schauer über die Rücken der Zuschauer laufen. Wer dazu etwas mit satirischem und tiefschwarzem Humor anfangen kann, ist mit „Bedingungslos“ gut beraten. Durch den gekonnt in Szene gesetzten Zynismus hat der Film sogar ein mit „In China essen sie Hunde“ vergleichbares Kultpotenzial.

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