Kino und Sterbehilfe ist eine Kombination, die nur selten fruchtbare Blüten trägt. In der Regel sind solche Filme entweder hoffnungslos naiv oder schwer wie Blei. In dieser Hinsicht ist Ben Verbongs „Ob ihr wollt oder nicht“ eine angenehme Ausnahme. Das Familien-Drama bezieht klar Stellung für die Sterbehilfe, arbeitet sich aber nicht mühselig an jeder einzelnen moralischen Implikation ab. Die Eltern lieben ihre Tochter, die Schwestern lieben ihre Schwester, deshalb wird ihr eben geholfen - eine erfrischend klare Aussage. Leider ist der Film abseits der Euthanasie-Thematik weit weniger gelungen. Viele Wendungen wirken konstruiert und gerade bei der Zeichnung der nicht krebskranken Schwestern reiht sich Klischee an Klischee.
Laura (Katharina Schubert, Shoppen) hat Krebs, ohne ernsthafte Aussicht auf Heilung. Sie bricht die Chemotherapie ab und steht plötzlich bei ihren Eltern Dorothea (Senta Berger, „Bin ich schön?“) und Henning (Jan Declair, Kreuzzug in Jeans) vor der Tür. Laura möchte ihren Mann Peter (Jan-Gregor Kremp, Kammerflimmern, 23) nicht mehr sehen, weil sie verhindern will, dass auch er unter ihrer Krankheit leidet. Stattdessen bestellt sie ihre drei Schwestern in die norddeutsche Heimat: Susanne (Christiane Paul, Die Welle), die Älteste, lebt und arbeitet in Hamburg. Sie ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau und hat gerade eine Scheidung hinter sich. Corinna (Anna Böger, Herr Bello), eine Familienmutter, leidet unter ihrem faulen Ehemann und hatte noch nie einen Orgasmus. Toni (Julia-Maria Köhler) ist das Küken. Sie schlägt sich mehr schlecht als recht als Designerin durch und verbringt mit einem Typen aus Prinzip nie mehr als eine Nacht. Laura erkennt schnell, dass sie in Anbetracht solcher verkorksten Schwestern vor ihrem Tod noch einiges in Ordnung bringen muss…
Die Geschichte einer Sterbenden, die sich von ihrer Verwandtschaft Halt erhofft, letzten Endes aber selbst die Sache in die Hand nimmt und ihre Familie auf Vordermann bringt, ist eine herzliche Idee. Doch statt den Zuschauer zu berühren, bombardiert „Ob ihr wollt oder nicht“ sein Publikum mit Klischees. Gerade Lauras Schwestern fehlt etwas Eigenes, das ihnen Glaubwürdigkeit verleihen würde. Toni ist der typische Beziehungsunfähige, wie er in jeder Komödie vorkommt und der dann doch noch auf seine große Liebe stößt. Gut, Toni ist eine Frau, aber das reicht als Variation nicht aus. Zumindest agiert die Newcomerin Julia-Maria Köhler charmant und lebenslustig genug, um die abgegriffene Liebesgeschichte mit einem ehemaligen Schüler (Mark Waschke, Die Buddenbrooks) ihres Vaters am Laufen zu halten. Auch Anna Böger gelingt es als Mütterchen ohne Abitur und ohne Orgasmus nicht, ihrem Charakter Tiefe zu verleihen. Da hilft selbst der eingeschobene Ansatz eines Selbstmordversuchs nicht viel. Am schlimmsten trifft es jedoch Susanne. Ihre angedichtete Kaufsucht (jeder in der Familie muss ein Problem haben, das verlangt das Konzept) nimmt man keine Sekunde für voll. Die Szene, in der sie von der Homepage einer Uni-Klinik auf eine für Designer-Business-Mode zappt, ist so platt, wie es nur geht. Auch Christiane Paul konnte mit Susannes Verhalten offensichtlich nicht immer etwas anfangen – sie liefert eine der schwächsten Leistungen ihrer Karriere ab.
An einer Stelle trifft Ben Verbongs (Sams in Gefahr, Es ist ein Elch entsprungen) bitterer Humor voll ins Schwarze. Durch den Krebs hat Laura allerlei Allergien entwickelt. Dummerweise ist das Weihwasser, das der Priester ihr bei der Krankensalbung ins Gesicht spritzt, parfümiert. Laura reagiert mit heftigen Erstickungsanfällen, verlangt aber trotzdem, dass der Geistliche die Salbung vollendet. Dafür gibt es aber auch etliche Szenen, in denen das Bittersüße aufgesetzt und künstlich wirkt. Sowieso ist eines der Hauptprobleme des Drehbuchs, dass der Zuschauer in vielen Momenten zwar nachvollziehen kann, wohin die Autoren mit einer bestimmten Aktion wollen, diese jedoch innerhalb der Logik der Figuren keinen Sinn ergibt. Peter kämpft etwa die ganze Zeit darum, Laura wiedersehen zu dürfen. Als diese dann endlich zustimmt, antwortet er, er hätte ja auch seinen Stolz und müsse sowieso gerade zur Arbeit. Die Wandlung ist kaum glaubhaft, dafür springt in der direkten Konsequenz aber eine dramatische Rettungsaktion im Hafenbecken heraus. Der Effekt steht offensichtlich über der Glaubwürdigkeit der Charaktere - gerade bei einem Familien/Krebs-Drama ist diese Schwerpunktsetzung natürlich fatal.
Fazit: Der Ansatz, ernste Themen wie Krankheit und Euthanasie mit bittersüßem Humor anzugehen, ist löblich, läuft hier jedoch ins Leere. „Ob ihr wollt oder nicht“ ist zu schematisch und bedient sich zu vieler Klischees, um nachhaltig zu berühren.