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    Dead Man Walking - Sein letzter Gang
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Dead Man Walking - Sein letzter Gang
    Von Ulf Lepelmeier

    Mit „Dead Man Walking“ wagte sich das stark politisch engagierte Schauspielerehepaar Tim Robbins und Susan Sarandon im Jahre 1995 an das brisante Thema der Todesstrafe und verblüffte dabei mit einem Film, der es vollbrachte, sowohl den Befürwortern als auch den Gegnern der härtesten aller Strafen gerecht zu werden. Angelehnt an das auf authentischen Begebenheiten basierende Buch der Nonne Helen Prejean, zeigt das unter der Regie von Robbins entstandene Drama die unterschiedlichen Sichtweisen zur Todesstrafe auf und beschäftigt sich mit dem Tod auf Richterspruch auf feinfühlige aber trotzdem eindringliche Weise. Dabei weiß das Werk mit seinen Hauptdarstellern Susan Sarandon und Sean Penn aufzutrumpfen, welche mit ihrem großartigen Schauspiel die Zusammenkünfte von Nonne und Mörder im Todestrakt zu einer spannenden und glaubhaften Angelegenheit machen.

    Die eher unkonventionelle Nonne Schwester Helen Prejean (Susan Sarandon) erhält von dem zum Tode verurteilten Häftling Matthew Poncelet (Sean Penn), der bereits sechs Jahre lang auf die Urteilsvollstreckung wartet, einen Brief, in dem er die Nonne um Hilfe bittet. Die noch nie mit einem Schwerverbrecher in Kontakt getretene Schwester antwortet auf dieses Schreiben und besucht den Mann schließlich im Staatsgefängnis von New Orleans. Dort ist sie mit der von Bürokratie beherrschten Welt des Strafvollzugs konfrontiert und entschließt sich, dem Häftling trotz seiner ablehnenden Art und seines Zynismus zu helfen. Bei ihrem Versuch, den sicheren Tod Poncelets doch noch abzuwenden, muss sie erfahren, wie wenig ein Menschenleben für Politik, Behörden und Medien wert ist und sieht sich schließlich auch mit den Eltern der Opfern konfrontiert, die eine Vergeltung für den Mord an ihren Kindern einfordern. Schwester Prejean findet sich bald zwischen den Fronten wieder und wird von Selbstzweifeln geplagt. Kann sie es verantworten, für einen Mörder Partei zu ergreifen?

    In den Vereinigten Staaten ist die Todesstrafe Angelegenheit der Bundesstaaten, so dass die Grenze des jeweiligen Bundesstaates über lebenslange Gefängnisstrafe oder Tod entscheidet. Diese regionalen Strafmaßunterschiede sind schon seit dem 19. Jahrhundert gegeben und stellen auch einen Grund dafür da, dass in den USA sowohl Befürworter als auch Gegner der Todesstrafe stark organisiert sind. Während die Verfechter des Todes per Gericht Vergeltung für die Taten, Abschreckung für potenzielle Straftäter und eine Kostenersparnis gegenüber lebenslanger Gefängnishaft anführen, empfinden es die Gegner als Anmaßung, dass der Staat es sich herausnimmt, über Leben und Tod entscheiden zu dürfen. Die Todesstrafe widerspricht von ihrem Standpunkt aus christlichen Werten, Humanität und den Menschenrechten, die ein Recht auf Leben jedem Menschen auf Erden zusichern. Erschreckend ist die Tatsache, dass erst zum 1. März 2005 vom Obersten Gerichtshof die Todesstrafe für zur Tatzeit unter 18-Jährige, also noch minderjährige Täter, landesweit abgeschafft wurde.

    Zusammen mit Schwester Helen Prejean, die bisher als Sozialarbeiterin in einem Ghetto vor allem für Kinder und Jugendliche zuständig war, taucht der Zuschauer ein in die ritualisierte, klinische Welt des Straffolgzugs. Gemeinsam mit der unkonventionellen Nonne lernt man die Problematik der Todesstrafe kennen. Dabei wird der Zuschauer ernst genommen, ihm wird kein richtig oder falsch vorformuliert, er soll sich vielmehr mit den gesehenen Positionen auseinandersetzen und seine eigene Meinung zu dieser Problematik bilden. Dabei ist es hervorragend gelungen, die einzelnen Stellungnahmen nachvollziehbar zu machen und auch die Macht gewisser Medien darzustellen, die den Mörder als Monster darstellen, damit sie ihre Auflage steigern und zugleich versuchen, den Tod als gerechte Strafe zu rechtfertigen.

    Bei seiner zweiten Regiearbeit verzichtet Tim Robbins (Regie: Bob Roberts) bewusst auf dunkle Gefängnisoptik, unschuldige Häftlinge und einen dramatischen Showdown der den reuigen Gefängnisinsassen, von der prophetenhaften Nonne zum Glauben geführt, noch rettet. Das Gefängnis ist hier vielmehr eine sterile öffentliche Einrichtung, die ein Gefühl der Trostlosigkeit vermittelt, aber kein dunkles, abstoßendes Gemäuer. Auch die Schuld Poncelets wird nie wirklich angezweifelt. Der Täter, der zwei junge Leben auslöschte und zudem die junge Frau vor ihrem grausamen Tod noch vergewaltigte, versucht sich zwar bis zum Schluss aus seiner Schuld zu winden, indem er auf Unzurechenbarkeit auf Grund von Drogen plädiert oder angibt, nur die Tat betrachtender Mittäter gewesen zu sein, aber wirklich glauben kann man dem zynischen Mann, der gerne diskriminierende Äußerungen von sich gibt, nicht. Auch versucht er, sich durch seine miserable wirtschaftliche Lage und schlechte Familienverhältnisse zu rechtfertigen. Seine abscheuliche Tat wird bis zum Ende hin immer wieder in schwarz-weiß gehaltenen Bildern illustriert, wobei die Szenen unterschiedliche mögliche Tathergänge zeigen. Erst spät wird der wirkliche Tatverlauf in Farbe offenbart. Geschickt wird dabei der Vollzug der Todesstrafe, als erschreckender Abschlussmoment, mit dem grausamen Mord szenisch verbunden, so dass wieder die entscheidende Frage aufkommt, ob der schwere Schuld auf sich Geladene die Injektion der Todesspritze nicht doch letztlich verdient.

    Sean Penn schafft es, den Todestraktinsassen glaubhaft zu verkörpern, indem er ihn als schwierige, unsympathische Person anlegt, die von sechsjähriger Einzelhaft in einer 2 mal 2,5 Metern großen Zelle mit der Gewissheit des Todes vor Augen innerlich zermürbt ist, dies aber durch einen Panzer aus Zynismus, Rachsucht und Rücksichtslosigkeit verbirgt. Trotz seiner Taten und trotz der rassistischen, feindlichen Äußerungen bleibt Poncelet durch das differenzierte, oscarnominierte Spiel Penns ein menschliches Wesen. So kann man auch die anfängliche Angst der Schwester nach dem ersten Besuch im Gefängnis vor diesem Verbrecher, zugleich aber ihren Willen diesen Menschen nicht einfach fallen zu lassen, verstehen. Auch Susan Sarandon weiß mit ihren schauspielerischen Fähigkeiten in der Rolle der Nonne aufzutrumpfen und durfte für ihre Darstellung den Oscar als Beste Hauptdarstellerin entgegennehmen. Die Gefühle und Gedanken der immer wieder von Selbstzweifeln gepeinigten, couragierten Schwester meint man förmlich direkt aus ihrem Gesicht ablesen zu können. So sind ihre Betroffenheit, ihr Mitgefühl oder ihre Angst stets wie aus einem Buch ihren Gesichtsausdrücken zu entnehmen.

    Trotz ruhigen Stils und der objektiven Herangehensweise an das Thema sowie die über einen längeren Zeitraum nicht vorhandene Melodramatik schafft es der zeitweise semidokumentarische Film, das Interesse des Publikums zu halten, zu berühren und gerade aus den Begegnungen von Nonne und Mörder eine gewisse Grundspannung zu erzeugen. Doch einem Hauch übertriebener Rührseligkeit kann sich der Film zum Ende hin dann doch nicht erwehren, auch wenn das Werk durch die gelungene und überaus sinnige Parallelmontage von Todesstrafe und Mord wieder glänzend abschließt.

    Fazit: „Dead Man Walking“ ist eine sehenswerte, schauspielerisch äußerst überzeugende Abhandlung über die Todesstrafe, die es schafft, sich dem schwierigen Thema auf objektive Weise zu nähern und es somit dem Zuschauer ermöglicht, seine eigene Position zum vom Staat verhängten Tod zu finden, zu überdenken oder zu festigen. Zudem regt das feinfühlige Drama zur Diskussion über Schuld, Humanität und Glauben an.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2016. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 66. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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