In den vergangenen vier Jahren rockte das Saw-Franchise die amerikanischen Halloween-Kinocharts – die Teile zwei bis vier eroberten sogar die Spitzenposition. In diesem Herbst hat es sich für die Todesspiele von Jigsaw jedoch ausgepuzzelt. Der für lächerliche 15.000 Dollar produzierte Gruselfilm „Paranormal Activity“ pulverisiert derzeit alle Erwartungen, kämpfte sich von vollbesetzen Mitternachtsvorstellungen in 13 Collegestädten zu einer amerikaweiten Kinoauswertung und befindet sich nun auf dem direkten Weg, zum profitabelsten Film aller Zeiten zu avancieren. Ein derartig gewaltiger Hype in Übersee macht natürlich stutzig – trotz minimaler Schönheitsfehler wird der Regiedebütant Oren Peli aber auch seinen schärfsten Kritikern gerecht. Glänzend setzt er das ihm zur Verfügung stehende Budget ein und lässt unbehagliche Schauer über den Rücken des Zuschauers laufen, wenn er im Pseudo-Dokumentarstil die Geschichte eines dämonischen Fluchs erzählt.
Als das glückliche Pärchen Micah (Micah Sloat) und Katie (Katie Featherston) zusammen in ein beschauliches Vororthäuschen zieht, steht ihrer Beziehung eine harte Probe bevor. Ihre Nachtruhe wird immer wieder von komischen Geräuschen gestört, so dass Micah beschließt, ihren Schlaf mit einer Videokamera zu überwachen. Am nächsten Morgen offenbaren die Aufzeichnungen Schreckliches: Ohne menschliche Einwirkung bewegt sich die Schlafzimmertür und gutturale Laute sind leise aus dem Wohnzimmer zu vernehmen. Ein zu Rate gezogener Parapsychologe (Mark Fredrichs) klärt das Paar darüber auf, dass Katie von einem Dämon verfolgt wird. Ausgerechnet den überlebenswichtigen Ratschlag, mit dem Dämon nicht in Kontakt zu treten, „überhört“ Micah und setzt damit den nächtlichen Terror endgültig in Gang…
Standfestigkeit wird häufig belohnt. Nachdem Oren Pelis „Paranormal Activity“ auf dem Screamfest 2007 vorgeführt wurde, suchte er händeringend nach einem finanzkräftigen Vertreiber für die Kinoauswertung. Jason Blum von Miramax biss an und empfahl dem Branchenneuling vereinzelte Veränderungen. Einen wirklichen Fortschritt machten Pelis Bemühungen allerdings erst, als Steven Spielberg eine DVD des Films zugespielt bekam. Der Legende nach haben sich die Türen seines Zimmers, wenige Minuten nachdem er den Silberling in den Player einlegt, wie von Geisterhand verschlossen. Erst ein Schlüsseldienst soll den Meisterregisseur befreit haben. Doch Spielberg war nicht verärgert. Zwar habe er die DVD in einem Müllbeutel verpackt zurückgebracht und sei der festen Überzeugung, diese wäre verflucht. Zugleich war er aber auch von dem enormen Potential angetan und strebte fortan ein kostenintensiveres Remake unter der erneuten Regieführung Pelis an.
Interview
Filmstarts trifft...
Gespräch mit „Paranormal Activity“-Regisseur Oren Peli
Ein Großteil der Nachwuchs-Filmemacher hätte in dieser Situation wahrscheinlich einen Luftsprung gemacht und bereitwillig alle Verträge unterzeichnet. Der israelischstämmige Regisseur pokerte aber weiter und forderte, dass seine aktuelle Schnittfassung wenigstens einmal einem Kinopublikum vorgeführt wird. Die Entscheidungsträger von Paramount und DreamWorks ließen sich auf den Deal ein und sahen sich während der Kinoaufführung zunächst bestätigt. Mehrere Zuschauer verließen vorzeitig den Saal. Jedoch war nicht die mangelnde Qualität ausschlaggebend für die Flucht - vielmehr empfanden sie „Paranormal Activity“ als zu gruselig. Diese Reaktionen überzeugten die Verantwortlichen endgültig, sich die Kosten für ein Remake zu sparen und den Film unbefleckt zu veröffentlichen. Zwar sorgte der Bruch zwischen DreamWorks und Paramount noch einmal für eine weitere Verzögerung. Doch in diesem September konnte der Gruselfilm endlich einem größeren Publikum präsentiert werden. Oren Peli legte hierzu sein Werk völlig in die Hände der Kinogänger und präsentierte es diesen zunächst nur in ausgewählten College-Städten. Im Internet konnte sodann darüber abgestimmt werden, welche Stadt als nächstes eine Filmrolle erhalten sollte. Dank phantastischer Mund-zu-Mund-Propaganda erwies sich diese Vermarktungsstrategie als sensationeller Erfolg. Innerhalb weniger Wochen forderten mehr als eine Million Internetnutzer eine Aufführung von „Paranormal Activity“ in ihrer Heimatstadt – und legten so den Grundstein für den unvergleichlichen finanziellen Erfolg des Films.
Dabei nutzt Oren Peli für seinen Debütfilm eigentlich nur die klassischen Genreregeln aus. Nach einer kurzen Einführung der Charaktere werden die Spannungsmomente kontinuierlich gesteigert, bis sich die nächtlichen Übergriffe im großen Finale entladen. Für „Paranormal Activity“ spricht allerdings die völlig Unverbrauchtheit, mit der Peli diese klischeehafte Handlung umsetzt. Ohne direkte Dialogvorgaben lässt er die (nahezu) unerfahrenen Hauptdarsteller agieren. Micah Sloath und Katie Featherston harmonieren hierbei erstaunlich gut und wirken bei ihren Unterhaltungen wirklich wie ein Pärchen, das sich gegenseitig mit wackeliger Kameraführung aufnimmt.
Erfahrungsgemäß sind gesprächige Zwischensequenzen im Gruselgenre nur überflüssiges Beiwerk, um das Publikum langsam auf die nächtlichen Dämonenattacken vorzubereiten. Und hier spielt Peli schließlich ein erstaunliches Inszenierungsgeschick aus. Um das Bild einer Zusammenstellung dokumentarischer Filmschnipsel zu wahren, wird auf den Einsatz von spannungssteigender Musik völlig verzichtet. Ebenso wichtig für die knisternde Atmosphäre ist, dass das Regietalent - ohne in unnötige Hetze zu verfallen - die ersten übernatürlichen Ereignisse äußerst spärlich einsetzt. Eine Tür bewegt sich, außerhalb des Schlafzimmers sind undefinierbare Geräusche zu vernehmen - alles Effekte, die nicht von übermäßiger Kreativität zeugen. Je weiter die Handlung aber fortschreitet, desto ausgeklügelter werden die visuellen Spielereien. Mehl wird auf dem Boden verteilt, so dass körperlose Fußabdrücke sichtbar werden. Ein unsichtbares Wesen krabbelt unter die Bettdecke. Selbst eine Person wird über mehrere Meter durch die Luft gezogen. Vermutlich griff Peli bei diesen hervorragenden Augenwischereien auf seine Erfahrung als Programmierer für Computerspiele zurück, wobei er geschickt die beschränkte Qualität der Nachtbilder ausnutzte – unzweifelhaft ist jedoch, dass die verwendeten Tricks niemals auch nur erahnen lassen, dass Peli lediglich 15.000 Dollar zur Verfügung standen.
Nahezu über die gesamte Laufzeit erinnert der Stil von „Paranormal Activity“ an Robert Wises „Bis das Blut gefriert“ oder Alejandro Amenábars The Others. Ähnlich wie diese klassischen Gruselfilme verzichtet Oren Peli auf protzige Schockmomente und entfaltet die schaurige Wirkung einzig mittels einer beängstigenden Atmosphäre – auch wenn der Regisseur die Phantasie des Zuschauers beiläufig mit Dämonenbildern aus einem alten Buch speist. Jedoch werden sich die Nackenhärchen nur aufstellen, wenn man sich auf die Handlung einlässt und seiner Vorstellungskraft freien Lauf lässt. Auf Anraten Steven Spielbergs verlässt Peli den Pfad des imaginativen Schauers im Finale dann doch noch kurz, was die faszinierende Einfachheit des Films etwas madig macht.
„Don’t see it alone.“
Spielberg irrt nicht, wenn er voller Enthusiasmus Oren Pelis Debüt anpreist. Nahezu in Alleinregie schuf der Filmneuling eine pseudodokumentarische Gruselerzählung ohne rumpelnde Gruseleffekte à la „Poltergeist“. Vermutlich werden sich einige den Spaß an „Paranormal Activity“ aufgrund des überdimensionierten Hypes in den USA nehmen lassen – wer aber bereit ist, in die Handlung einzutauchen, wird feststellen, dass Oren Peli sein Minimalbudget exzellent eingesetzt und einen Schauerfilm inszeniert hat, der die Spannungsschraube langsam bis zur Unerträglichkeit anzieht.