Basierend auf dem prämierten niederländischen Jugendroman von Tonke Dragt verfilmte Pieter Verhoeff mit „Der Brief für den König“ die Geschichte des jungen Schildknappen Tiuri, der mit all seiner Kraft einen Brief beschützt, um ihn dem Herrscher von Unauwen zu überbringen. Mut, Freundschaft, aber auch Intrigen und Hinterlist sind die Themen des wunderbaren Buchs und der gelungenen Verfilmung.
„Dies ist eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten, aus Zeiten, in denen es noch Ritter gab.“ In der Nacht, bevor er zum Ritter geschlagen werden soll, muss der junge Schildknappe Tiuri (Yannick van de Velde) eine letzte Prüfung bestehen. Zusammen mit anderen Anwärtern soll er eine Nacht in absolutem Schweigen in der Kapelle von Dagonaut verbringen. Doch die Nachtwache verläuft anders als geplant. Irgendwann klopft es an der Tür und eine verzweifelte Stimme bittet um Hilfe. Ist dies eine List, um die angehenden Ritter zu prüfen, oder befindet sich dort draußen tatsächlich jemand in Gefahr?
„Im Namen Gottes – mach die Tür auf…“
Dies ist der Auftakt zu einer spannenden Abenteuergeschichte. Bereits in den ersten Minuten wird das Grundthema von Buch und Film etabliert. Tiuri muss eine Entscheidung treffen. Soll er zur Tür gehen und nach dem Rechten sehen? Oder soll er - wie seine Freunde - in der Kapelle hocken bleiben und das Klopfen ignorieren, um seinen Ritterschlag nicht zu gefährden? Es ist natürlich nicht zu viel verraten, dass Tiuri schließlich die Tür öffnen und nachsehen wird. Vor der Kapelle findet er einen offensichtlich verwundeten Mann, der ihn anfleht, seinem Herrn, Ritter Edwinem (Gijs Scholten van Aschat), einen Brief von höchster Bedeutung zu überbringen. Tiuri entschließt sich, dem Fremden zu glauben und ihm zu helfen. Aber dies ist nur einer von vielen inneren Konflikten, die der junge Schildknappe im Verlauf des Films überwinden muss.
Im Folgenden unternimmt Tiuri eine lange Reise, die ihn oftmals an den Rand seiner Kräfte bringt. Viele Gefahren sind zu meistern, aber der Junge findet auf seinem gefährlichen Weg durch das Königreich Dagonaut und darüber hinaus auch neue Freunde.
Der 1930 in Indonesien geborenen, niederländischen Schriftstellerin Antonia Johanna „Tonke“ Dragt ist 1962 mit „Der Brief für den König“ ein außergewöhnlicher Jugendroman gelungen. Im Jahr 2004 wurde Dragts Werk mit dem „Griffel der Griffels“ ausgezeichnet, dem holländischen Staatspreis für Literatur – den Preis gab es für das beste Jugendbuch der vergangenen 50 Jahre. Auch in Deutschland wanderte es mehr als 400.000 Mal über die Ladentische. Daher war es an der Zeit, dass sich jemand der Verfilmung des Stoffes annimmt.
In diesem Fall gebührt der Dank dem Niederländer Pieter Verhoeff („De Dream“, „Nynke“). Der erfahrene Regisseur und Drehbuchautor hat sich mit der Romanadaption nämlich nicht gerade einen leichten Job geangelt. Immerhin bilden den Schwerpunkt des Buches vor allem Tiuris innere Konflikte. Kämpfe oder gar Schlachten kommen in der Vorlage so gut wie gar nicht vor. Und wenn doch mal das Schwert gezogen wird, dann lediglich, um sich in letzter Konsequenz zu verteidigen. Es ist klar, dass Verhoeff den Roman nicht eins zu eins auf die Leinwand bringen konnte, sondern die fast 500 Seiten starke Geschichte etwas straffen und darüber hinaus genug fürs Auge bieten musste. Für das Ergebnis seiner Arbeit kann man ihn trotzdem nur beglückwünschen. Er schafft es, sich nah an der Vorlage zu orientieren und der Versuchung zu widerstehen, Tiuris Abenteuer durch zusätzliche Actionszenen künstlich aufzupeppen. „Der Brief für den König“ erzählt weder eine besonders komplexe noch originelle Geschichte. Trotzdem ist es Verhoeff gelungen, die Abenteuer Tiuris mit genügend Tempo und Spannung zu erzählen, so dass nur wirklich abgebrühte Jugendliche mit Langweile zu kämpfen haben werden.
„Man muss kein Schwert tragen, um ein Ritter zu sein.“
Im Falle von Literaturverfilmungen ist die Gefahr, durch die Auswahl der Schauspieler nicht den Erwartungen der Leser zu entsprechen und diese zu enttäuschen, besonders groß. Jeder Kenner der Vorlage wird sich sein ganz eigenes Bild von Tiuri gemacht haben. Es ist gut möglich, dass Yannick van de Velde („In Orange“) sich mit den Vorstellungen der Leser nicht deckt. Doch der junge Darsteller macht seine Sache gut. Es ist interessant mit anzusehen, wie sich sein anfangs noch weich gezeichneter Charakter während des Films entwickelt, wie sich seine moralische Urteilsfähigkeit schärft und sein Mut wächst. Die Charakterdichte des Buches erreicht der Film zwar nicht, Tiuris Entwicklung kommt aber dennoch in seiner Mimik sowie in seiner ganzen Körpersprache zum Ausdruck. Ob Tiuri am Ende nun doch noch den Ritterschlag erhält oder nicht, wird hier nicht verraten. Dass Tiuri aber innerlich bereits zum Ritter herangereift ist, steht außer Frage. Doch nicht nur van de Velde glänzt in seiner Rolle, auch die Nebendarsteller Uwe Ochsenknecht (Die Bluthochzeit, Das Boot) als Rafox, Quinten Schram (Pietje Bell und das Geheimnis der Schwarzen Hand) als Tiuris Freund Piak, Rüdiger Vogler (Bis ans Ende der Welt) in einer Doppelrolle sowie Lars Rudolph (Mein Führer, Baby) als Bösewicht Slupor machen eine gute, unaufdringliche Figur.
„Traue niemandem!“ – dieser Tipp wird Tiuri anfangs mit auf den Weg gegeben. So ist neben Tiuris Einsamkeit auch ein gewisses Misstrauen gegenüber allen Fremden und die permanente Bedrohung durch die roten Ritter von Eviellen zu jeder Zeit spürbar. Statt Konflikte mit dem Schwert auszufechten, hat Tiuri vor allem immer wieder mit sich selbst zu kämpfen, um ausreichend Mut zur Fortsetzung seiner Reise aufzubringen. Auch wenn „Der Brief für den König“ durch seine Motive gelegentlich an Herr der Ringe erinnert, ist Dragts Geschichte doch wesentlich erdnäher. Und intelligenter als die Geschichten aus Narnia allemal! Wer auf fantastische Wesen, große Schlachten und mächtige Zauberer hofft, wird enttäuscht. „Ein Brief für den König“ bietet nichts Derartiges. Ein zauberhafter Film ist Pieter Verhoeff dennoch gelungen. Optisch kann sich „Der Brief für den König“ weder mit großen amerikanischen Produktionen noch mit der jüngsten deutschen Jugendbuchverfilmung Krabat messen. Der Atmosphäre tut das aber keinen Abbruch. Im Gegensatz zur Ottried-Preußler-Adaption wirkt „Der Brief für den König“ viel dezenter (auch wenn der Film am Ende ein wenig dick aufträgt und von der Vorlage abweicht), dafür aber künstlerisch aus einem Guss.
Fazit: „Der Brief für den König“ ist eine sehenswerte Adaption des gleichnamigen Jugendromans. Der altersgerechte Film von Pieter Verhoeff beweist, dass eine spannende Fantasygeschichte auch ohne übermäßige Action und unnötige Gewalt auskommt. Bei einem Erfolg an den Kinokassen dürfen Tonke-Dragt-Fans sogar auf eine Fortsetzung hoffen. Dragt setzte die Geschichte um den mutigen Tiuri mit „Der wilde Wald“ 1965 fort.