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    Howl - Das Geheul
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Howl - Das Geheul
    Von Björn Becher

    I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked,

    dragging themselves through the negro streets at dawn looking for an angry fix,

    angelheaded hipsters burning for the ancient heavenly connection to the starry dynamo in the machinery of night,

    who poverty and tatters and hollow-eyed and high sat up smoking in the supernatural darkness of cold-water flats floating across the tops of cities contemplating jazz…

    Das sind die ersten Worte von Allan Ginsbergs großartigem Gedicht „Howl – For Carl Solomon“. Und mit diesen Worten leiten auch der für die Dokumentationen The Times Of Harvey Milk und „Common Threads: Stories from the Quilt“ bereits zwei Mal mit dem Oscar ausgezeichnete Rob Epstein und sein Co-Regisseur und -Autor Jeffrey Friedman ihren Film „Howl“ ein, der im Wettbewerb der 60. Berlinale läuft. Und das letzte Wort des obigen Zitats nehmen dann ganz genau: Sie schneiden das Gedicht vorerst ab und starten mit purem Jazz. Unverzüglich entfaltet das im übrigen von einer großartigen Performance des Hauptdarstellers James Franco getragene Werk eine unglaubliche Sogwirkung, die bis zum von „This Wheel's On Fire“ des Ginsberg-Kumpels Bob Dylan untermalten Abspann anhält. Die Regisseure machen nicht den Fehler, Ginsberg umfassend porträtieren zu wollen oder sein Gedicht zu interpretieren, und gerade so kommen sie seiner Kunst besonders nahe.

    „Howl“ entfaltet sich auf vier parallel laufenden Ebenen: Im Jahr 1955 trägt der bis dato recht unbekannte Dichter Allan Ginsberg (James Franco) sein neuestes Werk „Howl“ vor. Im Jahr 1957 steht der Verleger Lawrence Ferlinghetti (Andrew Rogers) vor Gericht. Er hat „Howl“ in einer Auflage von weniger als tausend Exemplaren publiziert und soll nun für die Verbreitung obszöner Schriften ins Gefängnis. Sätze wie „who let themselves be fucked in the ass by saintly motorcyclists, and screamed with joy” sind dem Staatsanwalt (David Strathairn) ein Dorn im Auge. Er und Verteidiger Jake Ehrlich (Jon Hamm) laden Literaturexperten wie den Professor David Kirk (Jeff Daniels), die über die literarische Bedeutung von Ginsbergs teilweise vulgären Worten befinden sollen. Der Prozess unter dem Vorsitz des konservativen Richters Clayton Horn (Bob Balaban) lenkt immer mehr Aufmerksamkeit auf Buch und Autor, so dass Ginsberg im gleichen Jahr einem Journalisten Rede und Antwort steht und dabei auch über wichtige Ereignisse und Begegnungen in seinem Leben spricht. Auf einer vierten Ebene werden Elemente aus Ginsbergs revolutionärem Gedicht als Animationsfilm visualisiert.

    Für einen Film über Allan Ginsberg und sein Gedicht „Howl“ zu machen, sind viele sehr unterschiedliche Herangehensweisen und Perspektiven vorstellbar. Es wäre denkbar, Ginsbergs bewegtes, „jazziges“ Leben zu porträtieren: Sein frühes homosexuelles Outing, seine unglücklichen Liebschaften zu oft heterosexuellen Männern, sein mehrmonatiger Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie, wo er Carl Solomon kennen lernte, dem er später „Howl“ widmete, seine Bekanntschaften mit einigen der einflussreichsten Autoren jener Zeit bis hin zur glücklichen und erfüllten Beziehung mit Peter Orlovsky (Aaron Tveit). Genauso könnte der Fokus auch auf jener aufsehenerregenden Gerichtsverhandlung liegen, bei der Ginsbergs Verleger einer Haftstrafe entgegen sah und die heute als ein Meilenstein für den Grundsatz der Freiheit des Wortes in den USA gilt. Die Dokumentarfilmer Epstein und Friedman, die ursprünglich von Ginsbergs Erben verpflichtet wurden, eine Dokumentation zum 50. Jubiläum des Gedichtes im Jahr 2007 zu drehen, wählten nach mehrjähriger Vorbereitungsarbeit einen ganz anderen Ansatz. Ihr Film basiert, wie sie gleich im Vorspann klarstellen, schlicht auf Interviewaufnahmen mit Ginsberg, auf den Gerichtsprotokollen und auf dem Gedicht selbst. Mehr als diese drei Quellen verwenden sie nicht. Mehr wollen sie nicht ins Bild setzen.

    Ein Prunkstück des Films ist James Francos Rezitation des Gedichtes. Bei seinem in stimmungsvollen schwarz-weißen Bildern gehaltenem Vortrag stellt sich jener Sog ein, den Ginsberg-Freunde von der eigenen Lektüre des Werks kennen dürften. Der oftmals unterschätzte Franco (Spider-Man-Trilogie, Ananas Express) kann hier sein ganzes Können aufbieten und zeigen wie sich der junge Ginsberg nach nervösem Beginn immer mehr in einen Rausch redet. Auch die kontrastierend in helle Farben getauchten Interviewszenen funktionieren hervorragend und Franco kann andere Töne anschlagen: Ein nun bärtiger Ginsberg erzählt hier von einzelnen Stationen aus seinem Leben, die in kurzen wiederum schwarz-weißen Rückblenden illustriert werden. Für diese Mixtur finden Epstein und Friedman das richtige Verhältnis: Der nicht mit der Biographie des Dichters vertraute Zuschauer bekommt aureichend Hintergrundinformationen, um die einzelnen Ebenen in einen sinnvollen Zusammenhang bringen zu können, aber „Howl“ verkommt dennoch nicht zu einem schnöden Biopic. Dagegen sind die Gerichtsszenen nicht ganz so gut gelungen. Trotz der starken Darbietungen von „Mad Men“-Star Jon Hamm und David Strathairn (Good-Night, And Good Luck), deren schiere Leinwandpräsenz allein schon Vergnügen bereitet, ist dieser Part ein wenig zu simpel gestrickt. Dessen schienen sich auch die Regisseure bewusst und halten diesen Erzählstrang über weite Strecken kurz und bündig. Nur die entscheidende Schlussetappe und der Urteilsspruch bekommen noch einmal mehr Raum.

    „Poesie kann man nicht in Prosa übersetzen“, sagt einer der vor Gericht geladenen Experten während der Verhandlung – aber wohl mit Bildern visualisieren, dachten sich die Regisseure und schufen den heikelsten Part ihrer Verfilmung: Animationsbilder zum Gedicht. Das kann eigentlich nur schiefgehen, schließlich borden allein die weit über 50 Relativsätze im ersten Teil von „Howl“ so über, dass jeder einzelne von ihnen gut und gerne ausreichend Stoff für einen eigenen Kurzfilm hergibt. Aber weit gefehlt. Die Regisseure greifen immer nur einzelne Worte oder Motive heraus, die als Aufhänger für einen famosen Bilderrausch irgendwo zwischen Across The Universe und Waltz With Bashir dienen. Und sie haben sich mit Eric Drooker sowie der Animationsschmiede „The Monks“ die richtige Unterstützung dafür geholt. Der Zeichenkünstler Drooker hat bereits mit Ginsberg zu dessen Lebzeiten persönlich zusammengearbeitet und dessen großartige Poesie visualisiert. Daraus entstand das gemeinsame Buch „Illuminated Poems“. Die vor allem durch ihre Kurzfilmarbeit bekannte Truppe „The Monks“ sorgt ihrerseits für die Bewegung zwischen den Bildern und vollendete die dystypisch-düsteren Animationen.

    „Carl Solomon, I’m with you in Rockland … where we are great writers on the same dreadful typewriter“

    Fazit: Als Produzent von „Howl“ ist Gus Van Sant mit an Bord, der 2008 das von einem famosen Sean Penn getragene Milk-Biopic in die Kinos brachte. In diese eher konventionelle Richtung hätte „Howl“ auch gehen können. Doch glücklicherweise hat das Regie- und Autorenduo einen anderen Weg gewählt. Ähnlich wie in David Cronenbergs Verfilmung von William S. Burroughs Naked Lunch – in dem Film gibt es übrigens eine wunderbare Hommage an Ginsberg und „Howl“ – verschwimmen Biographie und Werkadaption in einer durch und durch faszinierenden Mischung unterschiedlichster Elemente.

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