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    Über Wasser
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Über Wasser
    Von Björn Helbig

    Zwei Drittel der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt, 94 Prozent davon entfällt auf die Ozeane, 4 Prozent auf das Grundwasser, 1,7 Prozent auf die Eismassen am Nord- und Südpol. Nur ein sehr geringer Teil des Süßwasservorkommens ist für den Menschen zugänglich. Weltweit haben 2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. „Trotz Wasser, ohne Wasser, mit Wasser“ – so könnten die Überschriften zu den drei Episoden des Dokumentarfilms „Über Wasser“ lauten, in denen Regisseur Udo Maurer den Zuschauer mit Impressionen von Menschen in Extremsituationen konfrontiert.

    „Ich habe mir gedacht, es würde mich interessieren, etwas ganz Substantielles über Wasser zu machen.“ – Udo Maurer

    Das Leben ist im Wasser entstanden und Wasser spielt bei jeder Art von Organismus bei allen Stoffwechselvorgängen eine zentrale Rolle. So wie das Leben an sich, ist auch die menschliche Zivilisation, Wirtschaft und Kultur untrennbar mit Wasser, dieser chemischen Verbindung aus den Elementen Sauerstoff und Wasserstoff, verbunden. Doch Maurer versucht gar nicht erst, das komplexe Thema in seiner allumfassenden Größe zu bearbeiten, sondern konzentriert sich auf drei Einzelfälle, die jeweils unterschiedliche Aspekte der Wasserproblematik herausstellen.

    Die erste Episode zeigt dem Zuschauer die teilweise extremen Gegebenheiten in Südasien. Bangladesch, was soviel wie „Nasses Land“ bedeutet, ist mit 143 Millionen Einwohnern der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt. Die drei großen Flüsse Ganges, Brahmaputra und Meghna, die das größte Delta der Erde bilden, sowie der Monsunregen und orkanartige Stürme sorgen für einen Überfluss an Wasser, dem das Land aufgrund seiner einzigartigen geografischen Lage schutzlos ausgeliefert ist. Etwa ein Siebtel des Landes steht unter Wasser, ein noch viel größerer Teil wird regelmäßig überflutet. Temporäre Inseln in den verzweigten Flussarmen, sogenannte Chars, bieten für etwa 600.000 Menschen, die meist in einfachen, leicht zu transportierenden Wellblechhütten hausen, einen extrem gefährlichen Lebensraum. Maurer enthält sich in dieser und den zwei folgenden Episoden jedes Kommentars. Er will die Bilder für sich sprechen lassen. Doch die Interviews mit den Einheimischen vermitteln dem Zuschauer nur einen vagen Eindruck von den Zusammenhängen, einen emotionalen Zugang zur Lebenswelt der auf den Chars lebenden Menschen bekommt er auf diesem Wege nicht.

    Die zweite Episode ist ähnlich aufgebaut. Distanziert, ohne seine Bilder zu erläutern, zeigt Maurer die Landschaft rund um den austrocknenden Aralsee. Mit 2,7 Millionen Quadratkilometern ist Kasachstan das neuntgrößte Land der Erde. 14,7 Millionen Menschen leben dort. Das Land ist, vor allem im Norden, reich an Seen. Der Aralsee, nach dem Kaspischen Meer der zweitgrößte See des Landes, ist inzwischen vom Austrocknen bedroht. Misswirtschaft, Klimawandel und natürliche Verdunstung führten zu einem starken Rückgang der Wassermenge. In Maurers Dokumentation werden die Auswirkungen gezeigt: Ehemalige Hafenstädte und Uferorte liegen heute mitten in der Wüste, zum Teil mehr als 100 km von der aktuellen Uferlinie entfernt. Am eindrucksvollsten ist eine Szene, in der man Schiffe verloren in der Wüste stehen sieht, während ein alter Kasache wehmütig ihre Namen aufzählt.

    Die dritte Station ist Kiberia, der größte Slum im Südwesten von Nairobi, der Hauptstadt Kenias. Das Klima im Land ist nur an der Küste und am Viktoriasee tropisch feucht, die Nordhälfte des Landes ist karg und wüstenhaft. Vor allem in den nördlichen Regionen treten deshalb immer wieder Hungersnöte auf. Auch um die Zukunft der drei Millionen Einwohner von Nairobi, einst die „grüne Stadt in der Sonne“ genannt, steht es schlecht: Um Wasser zu erhalten, müssen viele der Bewohner immer wieder große Strecken zurücklegen. An speziellen Wasserausgabestellen können sich die Menschen mit dem lebensnotwendigen Wasser versorgen. Doch nur 40 solcher Stellen wurden von der Stadtverwaltung genehmigt. Bei dem Rest handelt es sich um zwielichtige Ausgabestellen, die das Wasser-Hauptnetz illegal anzapfen. Die Preise für das Wasser reichen je nach Verfügbarkeit von 3 Shilling bis zu 50 Shilling pro 20-Liter-Kanister. Diese letzte Episode, die sich mit dem Thema „Wasser als Ware“ auseinander setzt, ist die vermutlich eindrucksvollste der Dokumentation. Hier gelingt es Maurer durch gut gewählte Interviewpassagen, dem Zuschauer einen plastischen Eindruck von der komplexen Situation der in Kiberia lebenden Menschen zu vermitteln.

    Einiger guter Momente zum Trotz: Etwas Substanzielles über Wasser zu machen, ist Udo Maurer mit seiner Dokumentation nicht gelungen. Sicher, in jeder Episode spielt Wasser eine entscheidende Rolle, doch die Missstände, dieses Zuviel und Zuwenig, haben völlig unterschiedliche Ursachen. Der in jeder Episode vorkommende folkloristische Text, der idealisierte Zustände beschwört, die Interviewpassagen mit Frauen, die dem Film einen emanzipatorischen Touch geben, all das schafft nicht viel mehr als die Illusion von Zusammenhang. Maurer will die Bilder, von denen einige wie das Schiff in der kasachstanschen Ödnis zugegebenermaßen eindrucksvoll sind, für sich sprechen lassen. Doch letztendlich ist dies zu wenig. Die gewählten Beispiele wirken willkürlich. Jeder Teil von „Über Wasser“ liefert lediglich einige Impressionen, die wie Schnappschüsse nichts erklären, sondern bestenfalls das Potenzial haben, den Zuschauer zu eigenen Nachforschungen zu inspirieren.

    Fazit: Die lose zusammenhängenden Episoden in Udo Maurers Dokumentation liefern einige interessante Eindrücke. Ein tieferes Verständnis für das Thema Wasser und die damit verbundenen Problematiken wird beim Zuschauer ohne weiterführende Informationen aber wohl kaum erreicht.

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