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    Girlfriend Experience - Aus dem Leben eines Luxus-Callgirls
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Girlfriend Experience - Aus dem Leben eines Luxus-Callgirls
    Von Jan Hamm

    Als Regie-Chamäleon Steven Soderbergh (Traffic, Ocean´s Eleven, Der Informant) die Sex-Aktrice Sasha Grey für seine Beziehungsstudie „Girlfriend Experience - Aus dem Leben eines Luxus-Callgirls" vor die Kamera bat, schnalzten die Lästerzungen. Immerhin repräsentiert Grey das Selbstbewusstsein moderner Porno-Darstellerinnen, also einen der Branche willkommenen Typus Frau mit Vergnügen am horizontalen Filmgewerbe. Bereits vor der Volljährigkeit hatte die frühreife Dame sich für ihren Porno-Blitzstart in Stellung gebracht - ein feministischer Albtraum! Dass die PR über liebreizende Poster-Sprüche („See it with someone you fuck") nachlegte, ist wenig wunderlich, wohl aber gänzlich überflüssig. Denn mit „Girlfriend Experience" legt Soderbergh eine präzise Anatomie fragiler Zwischenmenschlichkeit vor. Der weibliche Körper dient ihm nicht als Lustobjekt, sondern als enigmatische Projektionsfläche, an der die eben noch provozierten Männerphantasien gleich wieder abprallen. So wirft Soderbergh geschickt auch jeden Vermerk über die Porn credibility der Darstellerin auf seine Spötter zurück.

    Mit Chelseas (Sasha Grey, 9 To 5: Days In Porn) Arbeit als Escort-Begleiterin hat ihr Freund, der Fitnesstrainer Chris (Chris Santos), seinen Frieden geschlossen. Die Vereinbarung des jungen Pärchens wird jedoch ständig neu auf die Probe gestellt: Chelsea darf sich nicht emotional involvieren, während sie sehnsüchtigen Männerträumen Körper und Antlitz leiht. 2.000 Dollar pro Stunde sind immerhin ein Einkommen, von dem Chris nur träumen kann. Wie er leiden auch Chelseas Kunden unter der anhaltenden Finanzkrise. Doch dann fordert ein schmieriger Escort-Kritiker sexuelle Gefälligkeiten gegen geschäftstaugliche Internet-Rezensionen ein - eine bedrückende Erfahrung, die Chelsea erstmals dazu motiviert, sich einem Kunden gegenüber zu öffnen. Ein wenig zu weit, findet Chris, als seine Freundin verkündet, gleich ein ganzes Wochenende mit dem Familienvater David (David Levien) verbringen zu wollen...

    Das Schauspiel-Debüt der zum Drehzeitpunkt 21-jährigen Sasha Grey ist bestechend authentisch ausgefallen - und das gerade in einer Rolle, über die Authentizität als Beziehungs-Charakteristikum schonungslos dekonstruiert wird. Wer dem lasziven PR-Lockruf folgt und „Girlfriend Experience" auf das Programm eines romantischen Abends setzt, wird eine unangenehme Überraschung erleben. Und das keineswegs, weil Soderbergh Beziehungen per se in Zweifel ziehen würde. Vielmehr feuert er ein Fragezeichen nach dem anderen ab und wirft sein Publikum auf die große Unsicherheit zwischenmenschlicher Verhältnisse zurück: Was geht tatsächlich hinter der Fassade des Gegenübers vor?

    Die Paradoxie der Escort-Branche, professionell intime Verhältnisse zu eröffnen - vielmehr: zu konstruieren - dient Soderbergh dabei bloß als Ansatzpunkt, von dem aus er sein Skalpell weiterführt. Denn Chelseas eigentliche Beziehung steht permanent im Gegenlicht ihrer beruflichen Verhältnisse. Insbesondere wenn sie einen Kunden vorzieht, um sich ihr verstörendes Stelldichein mit dem feisten Kritiker von der Seele zu sprechen. Wer therapiert hier wen? Chelsea passt sich den Bedürfnissen der als Kunde und Patient zugleich auftretenden Männer an, wechselt die Charakterentwürfe wie ihre Abendgarderobe und hat im Nexus der Identitäten die Freiheit, das weite Spektrum möglicher Beziehungsmodelle zu erproben. Nicht nur die Abendbekanntschaften, auch Chelsea selber macht per Date eine neue „Girlfriend Experience".

    Manchmal sogar eine, die ohne sexuelles Crescendo verläuft und endgültig verrätselt, wo noch klare Grenzen zwischen Innen und Außen, zwischen Privatleben und Profession möglich sind. So kommt es zum Escort-Sündenfall, dem kaum mehr professionellen Date mit Familienvater und Ehemann David, der sein knisterndes Doppelleben zunehmend als Belastung empfindet und Chelseas Aufbruchsmoment damit wiederum kontrastiert. In langen Theater-Einstellungen inszeniert Soderbergh Beziehungen als ständiges Scheitern transparenter Kommunikation. Während Chris im Streitgespräch um das fragwürdige Wochenend-Engagement bezweifelt, die Motivation seiner Freundin auch nur ansatzweise zu verstehen, versinkt Chelsea hinter einer Couch-Garnitur. Nur ihre verunsicherte Stimme zeugt noch von der Präsenz einer Frau, deren Identität längst zum Mysterium geworden ist.

    Vor dem Hintergrund durchgestylter Großstadt-Bilder belauscht Soderbergh intime Dialoge, deren Authentizität bis hin zur Namensgebung relativiert wird: Die Figuren tragen mit der Ausnahme Chelseas die Namen ihrer Darsteller - wobei sich hinter Chris' verunsichertem Nebenbuhler gleich noch Soderberghs Co-Autor David Levien (Ocean´s 13) verbirgt. Dieser postmoderne Wink in Richtung Charlie Kaufman (Adaptation) rundet „The Girlfriend Experience" zur Antithese einer Charakterstudie ab und kontextualisiert die Besetzung Sasha Greys als durchdachten Autoren-Schachzug. Ökonomisches Kalkül hatte Soderbergh hier schlicht nicht nötig: Mit 1,3 Millionen Dollar nämlich hat „The Girlfriend Experience" nach Hollywood-Maßstäben lediglich das Produktionsvolumen einer Portokasse.

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