Wie kaum eine andere Erscheinungsform der Liebe gilt sie als unantastbar und sakral: Die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind - ein Gefühl, das von Gesellschaft und Kultur als Selbstverständlichkeit eingefordert wird, gleich einem ungeschriebenen Gesetz. Dabei sind Startprobleme durchaus an der Tagesordnung. Die überwiegende Mehrheit aller Mütter erlebt nach der Geburt eine leicht depressive Phase. So schnell dieser sogenannte Baby-Blues normalerweise vorbeigeht, so bitter wird es für diejenigen, bei denen der Zustand andauert. Infolge kann es zu einem immer noch relativ unbekannten Krankheitsbild kommen - der postpartalen Depression. Die emotionale Bindung zum Neugeborenen bleibt aus und die Betroffenen zerbrechen zunehmend an der Erwartungshaltung, bis hin zur Psychose. Mit dem Drama „Das Fremde in mir“ nähert sich Autorin und Regisseurin Emily Atef dem sensiblen Thema und schildert den Leidensweg einer Frau, die nicht nur mit der Krankheit, sondern später auch um das zerstörte Vertrauen in ihre mütterlichen Fähigkeiten kämpfen muss. Das gelingt Atef dank offensichtlicher Empathie für die Figur ausgezeichnet. Genau damit schießt sie leider über ihr Ziel hinaus. Die Ambivalenz des Konfliktes zwischen ihrer Protagonistin und deren Umfeld bleibt dabei oft auf der Strecke, die Verteilung von Opfer- und Täterrolle gerät zu eindeutig.
Rebecca (Susanne Wolff, Bis zum Ellenbogen) und Julian (Johann von Bülow) sind Anfang Dreißig, glücklich verheiratet und fiebern euphorisch auf die Geburt ihres ersten Sprösslings hin. Ein familiengerechtes Haus ist bereits gefunden und mit Julians beruflichem Erfolg das junge Glück endgültig vollkommen! Doch dann kommt alles anders. Die Geburt verläuft reibungslos, das Baby aber bleibt Rebecca fremd. Zunehmend kapselt sie sich von der Außenwelt ab. Julian, der zu ihrer Entlastung ganztags arbeitet, sieht darin bloß Launen und verkennt ihre Depression. Seine Frau muss derweil erschreckt feststellen, langsam zu einer Gefahr für ihr Kind und sich selber zu werden. In einem Anfall von Verzweifelung reißt Rebecca aus, taumelt ziellos durch den nächtlichen Wald und bricht lebensmüde zusammen. Einige Tage später findet die aufgelöste Familie sie in einer Klinik auf. Doch Rebeccas Rückweg aus der Katatonie ist nur der erste Schritt in einem langen und schweren Heilungsprozess...
Für ihren zweiten Spielfilm hat sich Emily Atef viel vorgenommen. Vielleicht zu viel. „Das Fremde in mir“ erzählt von einer Krankheit, zeichnet das Porträt einer Frau in der Krise und versucht sich an einer Studie über Entfremdung und Versöhnung. Das hätte durchaus in einen anderthalbstündigen Film passen können, wäre Atef mit mehr Fingerspitzengefühl an ihre Themen herangegangen. Stattdessen legt sie den Fokus vollständig auf Rebecca und ihr Martyrium. Ihr Absturz wird mit so erdrückender Härte geschildert, dass Julians Perspektive zum Nebenschauplatz verkommt. Mehr noch – er wird geradezu als Gegenspieler inszeniert. So etwa, wenn er mit seiner apathischen Frau schlafen will und ihre Zurückweisung kaum hinnehmen kann. Oder wenn er später ihre vorsichtig aufkeimenden Muttergefühle geradezu manisch überwacht und permanent bewertet.
„Das Fremde in mir“ wirkt in solchen Sequenzen eher wie ein feministischer Vergeltungsschlag gegen die verständnislose Männerwelt, als eine sensible Aufarbeitung des eigentlich sehr ambivalenten Konfliktes. Das liegt auch daran, dass die Frauenrollen (etwa Rebeccas liebevolle Übermutter oder eine fürsorgliche Krankenschwester) durchweg positiv belegt werden, im Gegensatz zu den männlichen Gegenparts. Dabei ist Julians reservierte Haltung eigentlich nachvollziehbar. Erst arbeitet er sich trotz der Kälte, die er zuhause erfährt, ganztags für das Familienauskommen ab, dann muss er plötzlich die ganze Verantwortung alleine tragen. Nur scheint sich Atef nicht dafür zu interessieren. Stattdessen banalisiert sie seine Motive und stellt einen autoritären Vater hinter ihm auf, der seinen Sohn von der vermeintlichen Rabenmutter fernhalten will.
So wenig die verschiedenen Facetten des Konfliktes auserzählt werden, so bleischwer wird Rebeccas Weg in die Krise nachvollzogen. Die erste Hälfte des Films befasst sich nach einer kurzen Exposition ausschließlich mit ihrer zunehmenden Entfremdung von Kind und Umfeld. Dabei geht oft jeglicher Sinn für Dramaturgie verloren, da Rebeccas Zustand bereits nach wenigen Szenen offensichtlich ist. Was folgt, sind Episoden einer Depression, die zwar sehr intensiv geschildert werden, die Handlung aber stagnieren lassen. Andererseits stand Atef hier vor einem nahezu unlösbaren Problem. Wie kann ein langfristiger Krankheitsverlauf so ausgebreitet werden, dass er weder überhastet, noch zu zähflüssig wirkt? Mit der langsamen Erzählstruktur bleibt sie immerhin ihrer Idee treu, möglichst nah an der Figur zu bleiben, Mitleid zu forcieren und damit Sympathien für die gebeutelte Frau zu wecken.
Ist der erste Akt einmal überstanden, nimmt der Film Fahrt auf und lässt endlich ein Ziel durchschimmern: die Versöhnung der zersplitterten Familie. Die Wiederannäherung und vor allem die verspätet erwachende Mutterliebe werden fein nuanciert und in glaubwürdigem Tempo aufgebaut. Vor allem aber gewinnt der zweite Akt enorm durch Susanne Wolffs tolles Schauspiel, für das sie zurecht den „Förderpreis Deutscher Film 2008“ als beste Hauptdarstellerin entgegennehmen durfte. Nachdem Rebecca ihre Apathie überwunden hat, tastet sie sich vorsichtig, neugierig und ebenso ängstlich an ihr altes Leben und die neue Mutterrolle heran. Das wirkt so natürlich, als hätte Wolff das Schicksal ihrer Figur geteilt. So gelingen dann glücklicherweise auch abseits der einseitigen Erzählperspektive noch emotionale Augenblicke, wie etwa Rebeccas Besuch in Julians Babyschwimmgruppe, in deren Verlauf sie am Beckenrand ein Wechselbad der Gefühle durchlebt.
„Das Fremde in mir“ ist ein mal zäher, mal intensiver Blick auf ein filmisch bislang nahezu unerforschtes Thema geworden. Als Porträt funktioniert der Film ausgezeichnet, da Atefs Empathie für Rebecca und Susanne Wolffs feinfühliges Spiel eine beeindruckende Symbiose eingehen. Eine intelligente Konfliktstudie wird durch die arg feministische Perspektive allerdings meilenweit verfehlt. So wird „Das Fremde in mir“ sicher auch einem Teil des Publikums fremd bleiben. Immerhin – Atefs Feldzug gegen die vorherrschende Mutterikonographie ist ausgesprochen selbstbewusst.