Die nicht enden wollende Misere von Guantanamo hält vor allem eines im Bewusstsein: Theorie und Praxis können mitunter weit auseinander liegen. Die Achtung der Menschenwürde ist in Gesetzen und Verfassungen festgeschrieben, aber gerade beim Umgang mit mutmaßlichen Verbrechern ist ein entsprechendes Verhalten keinesfalls sichergestellt. Der Konflikt zwischen individuellen Rechten und kollektivem Sicherheitsbedürfnis wirft so immer wieder grundsätzliche Fragen auf. Ein solches ethisches Dilemma wird in Pablo Traperos Drama „Löwenkäfig“ aufgezeigt: Was ist die angemessene Strafe für schwangere Frauen und junge Mütter, die sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht haben? Darf das ungeborene Kind mitbestraft werden? Antworten gibt der Film aber nur indirekt. Trapero konzentriert sich in seiner Erzählung über die schwangere Julia, die des Totschlags bezichtigt wird, auf die sachliche Schilderung des Gefängnisalltags und stimmt dann recht unvermittelt ein pathetisches Loblied auf die Mutterschaft als ununterdrückbare, menschliche Konstante an.
Julia (Martina Gusman) erwacht völlig verstört und blutverschmiert. Sie ist kaum in der Lage, ihre Umgebung richtig wahrzunehmen. Dennoch versucht sie zunächst, in den Alltag zurückzufinden und geht zum Studium in die Bibliothek. Auf einmal fallen ihr jedoch Blutergüsse und Wunden an ihrem Körper auf, es muss etwas mit ihr geschehen sein. Als sie zu ihrer Wohnung zurückkehrt, ist die Polizei bereits vor Ort. Julia und ihr Mitbewohner Ramiro (Rodrigo Santoro) werden unter dem Verdacht, einen gemeinsamen Freund ermordet zu haben, festgenommen. Beide schieben die Schuld auf den jeweils anderen und kommen in Untersuchungshaft. Nun stellt sich heraus, dass Julia schwanger ist. Sie wird in eine gesonderte Abteilung des Gefängnisses verlegt, in der nur Schwangere und Mütter mit ihren Kindern untergebracht sind. Hier bringt Julia ihren Sohn Tomas zur Welt. Die Jahre verstreichen, ohne dass sich im Prozess eine Wende abzeichnet. Als Ramiro von Tomas erfährt, überlegt er, sich für die kleine Familie zu opfern…
Die Gefängniswelt mit ihrer Architektur von Beobachten und Strafen sowie den zahllosen, undurchschaubaren Regeln und Ritualen wird von Co-Autor und Regisseur Trapero (Familia Rodante) mit viel Gespür für Realismus und angenehm frei von Wertungen eingefangen. Das Drehen an Originalschauplätzen zahlt sich ebenso aus wie der Einsatz von echten Gefängnisinsassen und -wärtern als Darsteller. Trapero schwelgt geradezu in diesen alltäglichen Aspekten des Strafvollzugs. Das vermeintliche thematische Anliegen gerät in den Hintergrund, da der Regisseur sich den komplexen moralischen Implikationen der Geschichte auf sehr eigenwillige Weise nähert. Zwar speisen sich viele Konflikte des Films aus der besonderen Situation einer Schwangeren im Gefängnis, trotzdem wirkt ihre Behandlung seltsam unmotiviert. Erst nach gut zwei Dritteln Spieldauer wird Fahrt aufgenommen und Trapero kommt zu seinem eigentlichen Thema: Mutterglück trotz widriger Umstände. Julia kämpft jetzt mit allen Mitteln darum, mit ihrem Sohn Tomas leben zu können.
Nach der glänzenden Exposition, dem Höhepunkt des ganzen Films, wird auch der Rest von „Löwenkäfig“ mit einer einzigen unnötigen Ausnahme aus der Perspektive von Julia erzählt. Sie hat ihre Erinnerung an die Tat verloren, dennoch werden weder die Geschehnisse des verhängnisvollen Abends rekonstruiert noch scheint Julia durch diese Umstände besonders bekümmert zu sein. Nicht einmal von der Kunde ihrer Schwangerschaft ist sie anfänglich auch nur im Geringsten beeindruckt. Die allumfassende Leere und Gleichgültigkeit Julias spiegelt auf Figurenebene den tristen Gefängnisalltag wider. Auch die Geburt löst nichts Entscheidendes aus. Erst als die Zwangstrennung von Tomas näher rückt, wird der Mutterinstinkt in Julia geweckt. Wie in dichten Nebel gehüllt stellt Martina Gusman ihre Julia dar, was durchaus seinen Reiz hat. Diese Konzentration auf die Geschichte einer Amnesie bringt allerdings eine gewisse Monotonie mit sich.
Fazit: Pablo Trapero erschwert den Zuschauern durch seine inszenatorischen und dramaturgischen Entscheidungen den Zugang zu seinem Film. Wie beim Blick durch die Gitterstäbe einer Gefängnisbastion gewährt dieser „Löwenkäfig“ lediglich eine eingeschränkte Sicht auf sein bizarres, menschenfeindliches Inneres. Mit spärlichen Mitteln und gewollter Eintönigkeit folgt der Regisseur konsequent dem Schema „Form ist gleich Inhalt“.