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    Liverpool
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Liverpool
    Von Robin Eichelsheimer

    Während der in Buenos Aires geborene Filmemacher Lisandro Alonso auf internationalen Festivals als Star des Weltkinos gefeiert wird (bereits elf Hauptpreise konnte er für sich verbuchen), ist er dem deutschen Publikum noch weitestgehend unbekannt, da sich bisher noch kein Verleih für seine bisherigen Produktionen „La Libertad“ (2001), „Los Muertos“ (2004) und „Fantasma“ (2006) gefunden hat. Damit sich dies künftig ändert, hat sich der hauseigene Verleih des Arsenal-Kinos in Berlin dazu entschlossen, Alonsos Drama „Liverpool“ kurzentschlossen selbst rauszubringen. Freunde des konsequent-minimalistischen, anti-dramatischen Erzählens mögen den Gang ins Kino wagen. Wer jedoch die früheren Werke des Regisseurs kennt, der kommt nicht um den Gedanken herum, dass Alonso mit „Liverpool“ nichts Neues, sondern lediglich eine leichte Variante seiner vorherigen Arbeiten geschaffen hat.

    Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Farrel (Juan Fernandez) als Matrose auf einem Containerschiff. Genauso lange war er nicht mehr Zuhause. In Ushuaia, dem südlichsten Hafen der Welt, bittet er den Kapitän um Urlaub. Farrel möchte noch einmal seine Mutter besuchen, von der er nicht weiß, ob sie überhaupt noch am Leben ist. Wortkarg und in sich gekehrt reist er zurück an den Ort seiner Kindheit, tief im Herzen von Feuerland, wo das Klima und die Lebensbedingungen kaum härter sein könnten. Bei seiner Ankunft erwartet ihn jedoch eine Überraschung…

    „Ich mag Worte nicht.” – Lisandro Alonso

    Nein, ein Mann der vielen - geschweige denn großen - Worte ist auch Alonsos Protagonist Farrel nicht. Überhaupt wird in „Liverpool“ nicht viel Wert auf das gesprochene Wort gelegt. Wenn dann doch mal etwas gesagt wird, ist es meist nicht von Bedeutung. Der Zuschauer folgt dem Matrosen, der nur mit einer kleinen Tasche ins Herz der argentinischen Provinz reist. Farrel raucht, schläft, säuft. Er macht Halt in einer Bar und genehmigt sich hin und wieder einen Schluck aus einer Flasche mit Hochprozentigem. Mehr ist es nicht, das in der ersten Hälfte des Films passiert, und trotzdem werden in kleinen Gesten immer wieder Dinge erzählt, die uns die Figur des Matrosen näher bringt, der sich offensichtlich nicht verankert fühlt an dem Ort, den er früher sein Zuhause nannte. Genau das ist es, was an Alonsos Filmen fasziniert. Er erzählt fragmentarisch, klein und gezielt anti-dramatisch. Elementares wie ein Plot sind ihm nicht wichtig. Viel mehr konzentriert er sich auf die minutiöse Beobachtung seiner Protagonisten. Diese Herangehensweise gekoppelt mit dem Ausblenden jeglicher Dramatik machen den Film so auf eine interessante Weise doch wieder dramatisch, weil sich unter dem tiefbehangenen Wolkenhimmel des argentinischen Hinterlandes unweigerlich existenzielle Fragen auftun. Bei Farrels langer Reise bietet sich dem Zuschauer genau wie dem Protagonisten viel Zeit, über das eigene Dasein zu nachzudenken.

    Was Alonso inhaltlich erzählt, erzählt er konsequent auch auf der visuellen Ebene. Die Kamera übernimmt die Lakonie der Geschichte. Szenen bestehen meist nur aus einer Einstellung. Die einzigen Bewegungen sind leichte Schwenks, die auch ab und an von der eigentlichen Szenerie abschweifen. Musik gibt es nur aus dem Radio oder Fernseher. Wenn die Kamera in fast jeder Szene noch etliche Momente verharrt, nachdem Farrel den Raum längst verlassen hat, dann doppelt dieses Stilmittel die ohnehin authentisch erzählte Leere noch einmal. Böse Zungen könnten behaupten, dass Alonso das Einfangen dieser Leere leider ein wenig zu gut gelungen ist, denn mit der Zeit überträgt sich das Gefühl der Monotonie auch auf den Zuschauer. Was im Presseheft als „Spürbarkeit des Vergehens von Zeit“ angepriesen wird, lässt sich auch schlicht mit Langeweile übersetzen. Denn genau das ist es, was sich im zweiten Teil der Geschichte nach und nach einstellt. Wenn Farrel endlich in dem Dorf angekommen ist, wirken die Figuren plötzlich auf eine Art gestellt, die das vorher Gesehene schnell verblassen lässt. Hier bekommt der Zuschauer plötzlich nicht mehr das Gefühl, echte Menschen beim echten Leben zu beobachten. Alonso hat hier schlichtweg zu viel gewollt, womit er dem Film in letzter Konsequenz seiner angestrebten Wirkung beraubt.

    Einsamkeit und Heimat sind die Leitmotive, von denen Alonso in seinen Filmen immer wieder erzählt. Dennoch ist es schade, dass der Filmemacher mit „Liverpool“ keine neuen Facetten seines Schaffens offenbart. Viel zu sehr erinnert der Film an seine vorherigen Werke „La Libertad“ und „Los Muertos“. Bei Letzterem könnte man sogar so weit gehen, zu behaupten, dass der Argentinier nichts anderes getan hat, als den Schauplatz zu wechseln. In „Los Muertos“ wird ein Mann nach langer Haft aus dem Gefängnis entlassen und streift auf der Suche nach seiner Tochter wortkarg und verschlossen durch immer entlegenere Gebiete des argentinischen Dschungels. Die Unterschiede zwischen diesem Mann und Farrel sind marginal. Wenn man ehrlich ist, erzählt „Liverpool“ also nichts, was Alonso nicht auch schon zuvor erzählt hätte.

    Fazit: „Liverpool“ erzählt auf undramatische Weise von der Dramatik der menschlichen Existenz. Nicht die Handlung selbst, sondern die stille Beobachtung von einfachen Handgriffen und alltäglichen Situationen steht im Mittelpunkt des Films. Wo die Authentizität des Gezeigten über weite Strecken spürbar ist, verliert sich dieses Gefühl jedoch gegen Ende aufgrund der künstlich wirkenden Figuren immer mehr. Fernab von Hoffnung und Veränderung erzählt Lisandro Alonso von der Tristesse und Eintönigkeit im harten Leben der Bewohner von Feuerland und zitiert sich und seine früheren Werke dabei allzu offensichtlich selbst.

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