Zwischen September 2003 und Juli 2004 wurde Seoul von einer beispiellosen Mordserie erschüttert. Innerhalb von neun Monaten brachte der ehemalige Häftling Yoo Young-cheol 21 Menschen - vornehmlich Prostituierte und Senioren - um, zerstückelte die Leichen und verspeiste Teile von diesen. Dieser erschütternde Fall dient nun lose als Grundlage für Na Hong-jins Regiedebüt „The Chaser“ - was dem Zuschauer aber dankenswerterweise nicht direkt mit einer „Basierend auf einer wahren Begebenheit“-Texttafel unter die Nase gerieben wird. Der ungewöhnliche Thriller, der dieses Jahr auch als Abschlussfilm auf dem Fantasy Filmfest zu sehen war, steht dabei ganz in der Tradition solch unbequemer südkoreanischer Filme wie Oldboy oder Memories Of Murder.
Der misanthropische Ex-Cop Joong-ho (Kim Yun-seok), der nach einer Korruptionsaffäre vom Dienst suspendiert wurde, verdient sein Geld inzwischen als Zuhälter. Als nach und nach seine Callgirls verschwinden, vermutet er erst, dass diese sich einfach aus dem Staub gemacht haben. Dann jedoch fällt ihm ein Muster auf: Bei jedem Mädchen ist die gleiche Telefonnummer als letzter Kunde eingetragen. Da seine ehemaligen Kollegen bei der Polizei der Spur nicht nachgehen wollen, stellt Juong-ho auf eigene Faust Ermittlungen an. Doch die Zeit drängt, denn auch sein letztes noch verbleibendes Callgirl, die junge, alleinerziehende Mutter Mi-jin (Seo Yeong-hie), ist inzwischen in die Fänge des Killers (Ha Jung-woo) geraten…
Auch wenn diese Inhaltsangabe nur die erste Viertelstunde der etwas mehr als zwei Stunden Spielzeit umschreibt, wäre es fatal, mehr zu verraten, denn „The Chaser“ lebt in erster Linie von dem Spiel mit den Konventionen des Serienmördergenres. Am deutlichsten zeigt sich das bei der Figur des Killers. Endlich ist dieser einmal kein krankes Genie, der seine Verfolger gegeneinander ausspielt, kein Moralist, der mit seinen Taten die Gesellschaft wachrütteln, kein hochgebildeter Intellektueller, der sich seine eigene Überlegenheit beweisen will. Ganz im Gegenteil: Der von Ha Jung-woo wundervoll zurückhaltend gespielte Young-min ist einfach eine gestörte, von krankhaften Tötungsdrang besessene Seele, die ohne großen Plan vorgeht und der dabei auch einige Fehler unterlaufen. Der Film nimmt sich dabei viel Zeit für die Charakterisierung der beiden Protagonisten. So ist neben dem Killer auch der Zuhälter Joang-ho eine spannende Figur, bei der die Ereignisse der Nacht (die gesamte Filmhandlung umspannt nur knappe 24 Stunden) eine interessante Wandlung in Gang setzen. Zunächst ein menschenverachtendes Ekel, das sich lediglich um sein Geld Sorgen macht, beginnt er erst nach einer Begegnung mit Mi-jins kleiner Tochter, den Ernst der Lage zu durchschauen und sich echte Sorgen um sein Mädchen zu machen.
Die Erwartungen des Zuschauers werden gleich mehrfach ad absurdum geführt. Vor allem die schnelle Enttarnung und Festnahme des Killers überrascht, bildet aber eben erst den Auftakt für die folgende Odyssee. Regisseur Na Hong-jin nutzt die Situation, ähnlich wie Kollege Bong Joon-ho im ebenfalls auf einer wahren Begebenheit basierenden „Memories Of Murder“, für umfassende Kritik an der als komplett unfähig dargestellten Polizei – auch im Fall Yoo Young-cheol wurde eine Anklage wegen Verfahrensmängeln fallengelassen. Neben den individuellen Fehlern aller Beteiligten weiß der schnell geständige Killer Young-min offenbar noch einen weiteren Helfer an seiner Seite: den Zufall. Dieser sorgt für eine schockierende, den hochspannenden Schlussakt einläutende Wendung. In einem auf Spannung ausgelegten Thriller – und diese Szene treibt einem wahrlich den Puls in die Höhe! – ist das Zurückgreifen auf den Zufall aber durchaus legitim, sagte doch bereits Suspense-Großmeister Alfred Hitchcock: „Von einem Mann, der Geschichten erzählt, zu verlangen, dass er der Wahrscheinlichkeit Rechnung trägt, das ist ebenso lächerlich, wie von einem gegenständlichen Maler zu verlangen, dass er die Dinge ganz genau abbildet. [...] Die Wahrscheinlichkeit interessiert mich nicht!“ [1]
Wer sich auf diese Szene einlässt, wird dafür mit einem schweißtreibenden Finale belohnt, das in einem genial-brachialen Schlusskampf mündet: Weit entfernt von den durchchoreographierten und überstilisierten Faustkämpfen Hollywoods, wird hier mit realistischer Härte aufeinander eingeprügelt. Die rohe Gewalt der Schlägerei reicht dabei sogar an die jetzt schon legendäre Badehaus-Szene aus David Cronenbergs Tödliche Versprechen heran. Sicherlich wird die inszenatorische Klasse dieser Sequenz nicht in jeder Szene des Films erreicht und im Mittelteil gibt es sogar ein paar zu verschmerzende Anflüge von Längen, doch insgesamt ist die technische Umsetzung – gerade für ein Erstlingswerk – mehr als beachtlich.
Von der hohen Qualität des asiatischen Thrillerkinos hat inzwischen auch Hollywood Wind bekommen, 2007 gingen insgesamt vier Oscars - darunter auch der für den „Besten Film“ - an das Infernal Affairs-Remake The Departed. Nun macht sich das Team von „The Departed“ auch an ein Remake von „The Chaser" - bereits drei Wochen nach dessen Kinostart in Südkorea sicherte sich Leonardo DiCaprio die Rechte an dem Film und beauftragte „The Departed“-Autor William Monahan mit einer US-Neufassung. Eine interessante Konstellation, stand doch Scorseses Remake qualitativ mit „Infernal Affairs“ auf einer Augenhöhe. Allerdings stellt sich schon jetzt die Frage, ob Monahan, der bereits bei „The Departed“ das Originalende strich und dem Film einen Hollywood-tauglicheren Schluss verpasste, dieses Mal das Ende übernimmt. Denn den Mut, einen Film so konsequent bösartig wie „The Chaser“ enden zu lassen, muss man erst einmal aufbringen...
[1] François Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht? Heyne Verlag, München, S. 89