Maria Callas ist eine Legende. Kein anderer Interpret klassischer Musik wird heute noch von seinen Anhängern vergleichbar geliebt und fast religiös verehrt. Der exzentrische kanadische Pianist Glenn Gould etwa mag eine schillernde Figur mit der Aura eines Genies sein, der Kult um die zur Göttlichen stilisierte Diva übertrifft 30 Jahre nach ihrem Tod weiterhin alles Vergleichbare. Dem Phänomen Callas wurden Theaterstücke und Ballette gewidmet, in Helmut Kraussers Roman „Der große Bagarozy“, der mit Til Schweiger auch verfilmt wurde, tritt sie gar als gleichsam übernatürliche Instanz in Erscheinung. Über 30 Biographien sind über die griechisch-amerikanische Sängerin schon veröffentlicht worden und auch Film und Fernsehen widmen sich immer wieder ihrer Lebensgeschichte. Nun versucht der Schweizer Regisseur Philippe Kohly in seiner Dokumentation „Callas assoluta“ auf seine Art, die besondere Faszination dieser Frau zu ergründen. Ihn interessiert in erster Linie der Gegensatz zwischen dem von der Öffentlichkeit vereinnahmten Star und dem Menschen hinter den Schlagzeilen. Dieser Dualismus wird in dem weitgehend konventionell gestalteten Porträtfilm mit spekulativen psychologischen Kurzschlüssen manchmal überstrapaziert, dafür kann Kohly mit einigen seltenen Archivaufnahmen punkten. Mit großem Materialreichtum wird besonders den Zuschauern, die noch nicht mit Leben und Werk der Callas vertraut sind, eine herausragende Künstler-Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts nahe gebracht. Ihr Geheimnis aber bleibt ungelüftet.
„Callas assoluta“ beginnt mit dem Blick in den leeren Zuschauerraum der Mailänder Scala. Hier war das Reich der Maria Callas, in dem sie in den 50er Jahren zahlreiche Triumphe feierte. Im Off-Kommentar wird besonders ihr Vermögen betont, die Sehnsucht nach sakralen Erlebnissen zu erfüllen, die Opernhäuser in Tempel zu verwandeln. Der Lebensfaden wird 1958 aufgenommen, als der live im Fernsehen übertragene erste Auftritt der Callas an der Pariser Oper mit einem persönlichen Wendepunkt zusammentraf. Beim exklusiven Bankett nach dem Konzert lernte sie den Tanker-Milliardär Aristoteles Onassis kennen, den Mann, den sie lieben sollte und der ihr Leben nachhaltig prägte. Mit der angenommenen Einladung auf die Yacht des Reeders endet der Prolog und von da an fächert Kohly die Lebensstationen der Callas chronologisch auf.
Über weite Strecken wechselt Kohly zwischen den eingangs etablierten Mustern. Die Beschwörung eines Phantoms, einer unfassbaren Faszination in aktuell gefilmten Orten, Sälen, Hotelzimmern und Kostümen der Callas zu denen ihre Stimme aus alten Aufnahmen erklingt, wechselt mit Archivmaterial von Auftritten, Interviews und sogar Urlaubsfilmen. Zusammenhänge werden von einer unbestimmten Erzählerstimme geliefert oder konstruiert. Dabei wird eine hohe Identifikation mit der Sängerin angestrebt - immer wieder kommt ihre Seelenlage zur Sprache. Da ist zu den Bildern leerer Hotelflure schon einmal die Rede von tiefer Einsamkeit. Die Erzählerin weiß auch, wann und warum Maria eines Nachts zu Onassis in die Kabine ging und mit ihm schlief. In solchen Passagen ist die Nähe zur Schlüssellochperspektive der aufdringlichen Klatschreporter, die die Callas auf Schritt und Tritt verfolgten, unübersehbar.
Eindeutig stärker ist der Film, wenn Kohly sich auf Archivmaterial stützt. Einige Male gelingt es ihm durch eine sinnfällige Montage mehr als bloße Chronik oder prätentiös angehauchtes Raunen zu produzieren. Die verheerenden Langzeitfolgen des berühmten Abbruchs der „Norma“ in Rom für das öffentliche Image der Sängerin verdeutlicht Kohly etwa durch eine Schnittfolge von Interviews, in denen sie immer wieder auf den Vorfall angesprochen wird. Da eine nennenswerte analytische Außenperspektive fehlt – historische Interviews mit der Gesangslehrerin Elvira de Hidalgo und Regisseur Luchino Visconti (Der Leopard, Ludwig II.) geben immerhin Auskunft über die Disziplin und den Perfektionismus der Primadonna - , sind die instruktivsten Momente Aussagen der Hauptfigur selbst. Ihre Reaktion auf das Kündigungstelegramm der New Yorker Met ist ein Zeugnis künstlerischer Kompromisslosigkeit und selbstbewusster Selbststilisierung. Ihre Ausführungen zum Rollenverständnis zentraler Partien aus ihrem Repertoire belegen die tiefe interpretatorische Durchdringung des Materials und offenbaren nebenbei den kleinbürgerlichen Charakter der Privatperson Maria Callas.
Zwar wird von der Verwandlung des Pummelchen in die 35 Kilo leichtere Stil-Ikone innerhalb von nur 16 Monaten bis zum Zerwürfnis mit der Mutter kaum eine wichtige Lebensstation ausgelassen, dennoch bleibt ein wesentlicher Aspekt unterbelichtet: die Kunst der Callas. Es sind viele, meist viel zu kurze Ausschnitte zu hören, die zudem in aller Regel unidentifiziert bleiben. Es gibt unstreitig schönere Stimmen, aber die Callas hat uns, selbst dann, wenn manche Töne etwas wackeln, unvergleichliche Darbietungen beispielsweise in „Norma“, „Tosca“ und „Traviata“ beschert. Von diesem Ausdruckswunder ist in „Callas assoluta“ allzu wenig zu spüren. Wer die Wirkung nachvollziehen möchte, die entstehen kann, wenn eine Opernrolle als darstellerische und sängerische Herausforderung zugleich verstanden und bewältigt wird, muss sich aus der umfangreichen Discographie bedienen, die an Höhepunkten reich ist. Ein Ahnung vom „Callas-Effekt“ gibt auch schon eine Szene in Jonathan Demmes „Philadelphia“, wenn Tom Hanks „La mamma morta“ aus „Andrea Chénier“ hört. Die Callas erfasst den inneren Sinn der Musik, was schon Stendhal als Wesensmerkmal des besten Gesangs ausmachte. Philippe Kohly zeigt uns, dass die göttliche Callas auch nur ein Mensch war. Das macht ihre Kunst umso größer.