Jede Stadt hat zwei Seiten, doch in kaum einer Metropole sind diese Gegensätze so extrem ausgeprägt wie in Rio de Janeiro: Der Zuckerhut, wunderschöne Strände, heiße Samba-Rhythmen und der Karneval stehen Armut, Slums und brutaler Bandenkriminalität gegenüber. Auf Rios Straßen herrscht Krieg und der tägliche Überlebenskampf wird – besonders in den Favelas – von Tag zu Tag erbarmungsloser. Doch ausgerechnet aus diesen Armenvierteln stammen einige der weltbesten Fußballer – oftmals ist das runde Leder die einzige Chance für die Jugendlichen, um dem Elend zu entkommen. In diesem Milieu wächst auch Tiago, der junge Held aus Alexander Pickls Regiedebüt „Streets Of Rio“, auf. Und auch er hegt die Hoffnung, mit Hilfe seines fußballerischen Talents irgendwann ein besseres Leben führen zu können.
Die harte Realität Rios bekommt der Zuschauer bereits in den ersten Minuten aufgetischt: Der kleine Tiago (Thiago Martins) muss nach einem Fußballspiel hilflos mit ansehen, wie sein Vater von skrupellosen Gangstern erstochen wird. Geprägt durch dieses traumatische Ereignis, setzt Tiago seitdem alles daran, seinem Traum, Fußballprofi zu werden, näher zu kommen, um so dem allgegenwärtigen Elend zu entfliehen. Eisern rackert er sich jeden Tag für sein Ziel ab. Während sein älterer Bruder Marcos (Gabriel Mattar) mit ehrlicher Arbeit auf den Docks die Familie ernährt, schwänzt Tiago zu Gunsten seines Trainings sogar die Schule. Schließlich zahlt sich der ganze Aufwand aus und Tiago erhält eine Einladung zu einem Nachwuchstraining, bei dem auch einflussreiche Talentscouts anwesend sind. Aber auch Tubaro (Lui Mendes), dem Boss der mächtigsten Bande in den Favelas, ist Tiagos Talent nicht verborgen geblieben. Er bietet seine Unterstützung in Form von Lebensmitteln und Medikamenten für Tiagos totkranke Mutter an. Doch der stolze Nachwuchskicker möchte seinen Weg lieber alleine gehen. Als seine Mutter jedoch unbedingt einen Arzt benötigt, wendet er sich in seiner Not doch noch an Tubaro. Es dauert nicht lange, bis Tiago gemeinsam mit seinem besten Freund Sabia (Luis Otávio Fernandes) in einen gefährlichen Strudel aus Gewalt, Drogen und Mord gerät…
Grundsätzlich hätte aus dem Stoff ein spannender Film im Stile des vierfach Oscar-prämierten Gangsterdramas City Of God werden können, doch Alexander Pickl ist mit „Streets Of Rio“ leider alles andere als ein sehenswertes Werk gelungen. Während Fernando Meirelles 2002 mit „City Of God“ einen halbdokumentarischen und sehr authentischen Film abgeliefert hat, ist Pickls Regiedebüt ein einziger Krampf. Dass Pickl – wie auch Meirelles – jahrelange Erfahrung als Werbefilmer mitbringt, ist besonders den minutenlangen, mit hipper Musik unterlegten Sequenzen von Tiagos Training oder einer ausschweifenden Drogen- und Sexparty anzumerken. Nur wirkt sich diese Tatsache bei „Streets Of Rio“ leider negativ auf den Film aus. Pickl verwendet völlig unmotiviert eine unpassende Werbefilmästhetik und opfert jeglichen Spannungsaufbau seinen Videoclip-ähnlichen Einstellungen. Was eigentlich authentisch aussehen soll – etwa die Ermordung eines Geschäftsmanns, der sich an Tubagos kleine Schwester rangemacht hat – wirkt in dieser Form aufgesetzt und geradezu lächerlich.
Alexander Pickl begann seine Ausbildung an der U5, dem Institut für Mediendesign in München, und arbeitete seit der Gründung seiner eigenen Produktionsfirmen 1991 hauptsächlich als Werbefilmer. In dieser Zeit drehte er unter anderem Spots für Diesel, Cartier und L’Oréal Paris. 1995 begann er mit der Produktion von Dokumentationen und Fernsehformaten, etwa der sechsteiligen Musikdoku „Members Only“ und mehreren Folgen der Fernsehserien „City Vibes“ und „Totally Cooked“. Seit rund sechs Jahren widmet sich Pickl nun ganz der Realisierung von Drehbüchern und Spielfilmen. Sein zweiter Langfilm „Vale Tudo“, der von illegalen Untergrundkämpfen in Miami handelt, befindet sich derzeit in der Post-Produktion. Vor seinem Debüt „Streets Of Rio“ recherchierte Pickl in Brasilien, traf dabei junge Fußballer und stellte erste Kontakte zu Jugendlichen aus den Favelas her. Dabei stieß er auch auf jene Schauspielschule, die auch schon die Laiendarsteller für „City Of God“ ausgebildet hatte. Diese setzt sich seit Langem dafür ein, die Kinder mit der Hilfe von Filmprojekten von der Straße zu holen – und auch im Cast von „Streets Of Rio“ finden sich nun einige Jugendliche wieder, die bereits an Projekten der Schule teilgenommen hatten.
Die endgültige Umsetzung des Filmprojekts gestaltete sich trotz dieser Vorarbeit dennoch alles andere als einfach. Es wäre wahrscheinlich der bessere Film herausgesprungen, wenn Pickl einfach die komplexen Drehbedingungen in den Favelas als Dokumentarfilm festgehalten hätte. Als Spielfilm gibt die Geschichte des jugendlichen Fußballtalents Tiago nämlich nicht annähernd die gespannte Stimmung des harten und brutalen Alltags auf Rios Straßen wieder. Auch die zahlreichen filmischen Mittel wie die Handkamera und schnelle Bildfolgen, derer sich „Streets Of Rio“ bedient, machen den Film nicht sehenswerter. Vielmehr entsteht der Eindruck, Pickl hätte sich ganz bewusst am erfolgreichen Werk seines Kollegen Meirelles orientiert und dessen stilistischen Mittel einfach nur plump kopiert. Die Story dümpelt vor sich hin, die schauspielerischen Leistungen lassen zu wünschen übrig (dass es auch mit Laiendarstellern besser geht, hat ja „City Of God“ eindrucksvoll bewiesen) und am Ende stellt sich die Frage: „Um was ging es hier eigentlich?“ Da können dann leider auch der stellenweise hörenswerte Soundtrack und die wunderschöne Schlusssequenz, die mit atemberaubenden Bildern von Rio aufwartet, nicht mehr allzuviel retten.