Die Brüder Ben und Dominik Reding sorgten 2001 mit dem unkonventionellen Skinhead-Drama „Oi! Warning“ für Aufsehen. Mit der gleichen Unbeirrbarkeit begleiten sie in ihrem Drama „Für einen unbekannten Hund“ nun eine andere Gruppe, die in der bürgerlichen Gesellschaft nicht so recht zu Hause ist: Handwerker auf der Walz. Ästhetisch entwickelt die Geschichte um Schuld, Loyalität und Verantwortung eine ebenso große Sogwirkung wie der Vorgänger, allerdings auf eine komplett andere Weise. Über den Erlebnissen des jungen Betonbauers Bastian liegt eine Magie, die zwischen Traum und Albtraum oszilliert und ihn wie den Zuschauer in Bann schlägt.
Eigentlich will Bastian (Lukas Steltner) nur weg: Auf der Flucht vor seiner eigenen Vergangenheit, die den Halbstarken aus Unbedachtheit und diffuser Langeweile zum Mörder werden ließ, findet der Betonbauer-Geselle ebenso unerwartete wie gewöhnungsbedürftige Begleitung. Eher widerwillig lässt der auf der Walz erfahrene Festus (Sascha Reimann) es zu, den Jungen auf die traditionelle Wanderschaft der Handwerker zu schicken – auf Probezeit zunächst. Obwohl Bastian mit seiner desinteressierten Haltung zunächst nicht gerade Pluspunkte sammelt, weckt er in Festus ein brüderliches Interesse und beginnt seinerseits, das Handfeste und das Wundersame im Leben kennen und lieben zu lernen. Mit jedem Meter der Reise wird ihm mehr und mehr bewusst, dass Freiheit vor allem Verantwortung bedeutet, die man für sich und andere übernehmen muss. Unweigerlich kommt der Moment, in dem Bastian zu sich und dem, was er getan hat, stehen muss.
Der zweite Film der Zwillinge Benjamin und Dominik Reding ist ein Road Movie geworden, das einerseits ganz klassisch den Weg zu sich selbst durch eine äußere Reise beschreibt. Andererseits entwickelt die sorgsam komponierte Bildsprache des Films eine selten gesehene Intensität. Das gezwungener Maßen besinnliche Tempo des auf der Walz Unmotorisierten, dessen Route durch Zufälle und die Gunst der ihm begegnenden Menschen bestimmt wird, spiegelt die Intensität wieder, mit der sich der Film seinen Protagonisten nähert und sich ihnen regelrecht an die Fersen heftet. An vielen Stationen macht Bastian mit seinem Weggefährten Festus Rast, hält inne und sieht seinen eigenen Dämonen dabei zu, wie sie Gestalt annehmen. Immer wieder scheint er sich auf Abzweigungen zu begeben, doch sein Weg führt unweigerlich zum Kern zurück, der ihn überhaupt erst losgehen ließ. Schuld und Selbstbehauptung konkurrieren miteinander in symbolisch aufgeladenen Bildern, die sich mächtig und doch geschmeidig in das Geschehen einfügen. Die unbewältigte Vergangenheit dringt durch albtraumhafte Wahrnehmungsüberlagerungen in die Realität der Handwerksgesellen ein und bedroht die noch frische Freundschaft.
Auch Festus, der Dauerwalzende, muss erst noch zu sich kommen und lernen, der Realität ins Auge zu blicken. Die Ursachen für die innere Unruhe des als Lebenskünstler offenbar sehr patenten jungen Mannes enthüllen sich erst nach und nach, geben zunächst mehr Rätsel auf als sie erklären. Die nur erahnbaren Zusammenhänge, die Festus und Bastian unbewusst aneinander binden, geben der Geschichte ums Erwachsenwerden eine hintergründige Spannung. Vordergründig ist es eine Frau, die für beide Gesellen einen Hauch des Mysteriösen und Geborgenheit ausstrahlt und doch mit beiden Beinen fest genug im Leben steht, um ihren Platz, den sie gefunden hat, nicht mehr zu verlassen. Zarah Löwenthal gibt der selbstbewussten und lebenshungrigen Rockerbraut die nötige Tiefe, um ihr auch die Momente zarter Einfühlsamkeit zu glauben. Für das, was zwischen und mit den Personen geschieht, nimmt sich der Film genügend Zeit, um es wirken zu lassen, ohne dabei in Langatmigkeit zu verfallen.
Virtuos spielen die Redings mit Farben und Montage, um den durchweg beeindruckenden Schauspielern eine imposante Bühne zu schaffen. Der junge Lukas Steltner spiegelt in seinem markanten Gesicht die Unsicherheit des Orientierungslosen, die selbst in den Momenten vermeintlicher Stärke nicht verschwindet, während Sascha Reimann seinem Festus die unumstößliche Gutmütigkeit des im besten Sinne Naiven in jede Bewegung einschreibt.
In den etwa vier Jahren Produktionszeit haben sich die Brüder Reding Zeit genommen, einen zugleich märchenhaften wie realistischen Filmstil zu kreieren und die Entwicklung der Charaktere in einem glaubwürdigen Tempo zu erzählen. Der Rhythmus von spannendem Beziehungsdrama und befreiendem Road Movie nimmt den Zuschauer mit in eine fantastische Welt voller Bilder und Eindrücke, die scheinbar jenseits der Realität liegen und doch mitten darin verankert sind. In dieser Hinsicht bleibt das Brüderpaar, das seine Filme mit der eigenen Firma EYEWARNING produziert und vertreibt, seinem Erstling „Oi! Warning“ treu. Und immer noch ist es ihnen ein großes Anliegen, mit ihren nicht unbedingt angenehmen Sujets die Menschen zu erreichen, eine Kommunikation in Gang zu setzen und sich nicht als die großen Visionäre zu inszenieren. Wie so oft sind es gerade die stillen Wasser, die eine besondere Tiefe haben. Wenn kommende Projekte ebenso ausgereift sind wie das, was die beiden bisher auf die Leinwand gezaubert haben, dann nimmt man auch die langen Phasen der Kreativität im Stillen hin.