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    Der schmale Grat
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Der schmale Grat
    Von René Schumacher

    „Es gibt nichts, wodurch man es wieder vergisst;

    jedes Mal beginnt man wieder ganz von vorne...

    durch den Krieg werden die Menschen nicht edler;

    er macht sie zu Hunden; vergiftet die Seele."

    (Private Witt, „Der schmale Grat")

    Kaum ein Genre ist so anfällig für Übertretungen wie das Genre des Anti-Kriegsfilms. Schon viele Regisseure, die mit dem lobenswerten Ziel antraten, den Wahnsinn und die Unmenschlichkeit des Krieges auf die Leinwand zu bringen, erlagen selbst der Faszination dieses Schreckens und realisierten am Ende lediglich Kriegsfilme, die nicht aufgrund ihrer humanen Botschaft in Erinnerung bleiben, sondern wegen ihrer mal mehr oder weniger spektakulären Gewaltorgien. Im schlimmsten Fall glorifizierten sie den Krieg und seine Teilnehmer sogar und konterkarierten damit ihre eigenen Absichten. Regisseur Terrence Malick hat in seinem Klassiker „Der schmale Grat" diesen Fehler vermieden und einen Meilenstein des Anti-Kriegsfilms geschaffen, der in einem Atemzug mit Meisterwerken wie Bernhard Wickis „Die Brücke" oder Stanley Kubricks Wege zum Ruhm genannt werden darf.

    Als Hintergrund für seine Geschichte über menschliche Schicksale in einer US-Armee-Einheit benutzt Malick die historische Schlacht um Guadalcanal, die im Zweiten Weltkrieg einen Wendepunkt im Pazifikkrieg der USA gegen das Kaiserreich Japan darstellte. Sein Film bereichert das Genre um eine neue, philosophische Betrachtungsweise des Krieges und der Menschen, die ihm ausgeliefert sind. Im Spannungsfeld der unberührten Schönheit der Natur und der zerstörerischen Natur des Menschen ist ihm ein Film wie ein Gemälde gelungen, dessen Facettenreichtum auch beim mehrmaligen Betrachten immer wieder neue Interpretationsmöglichkeiten zulässt.

    Im Mittelpunkt der Geschichte steht die C-Kompanie einer US-Division, welche 1942 auf der pazifischen Solomoneninsel Guadalcanal landet, um die dortigen Marines bei der Eroberung der Insel zu unterstützen. Die Japaner bauen auf der Insel einen Flugplatz, der ihren Langstreckenbombern die Möglichkeit geben würde, die Seewege zwischen den USA und Australien anzugreifen. Die Kompanie selber ist ein Sammelbecken der unterschiedlichsten Individuen. Private Witt (James Caviezel) hat sich schon mehrmals unerlaubt von der Truppe entfernt, weil es ihn immer wieder zu dem einfachen Naturvolk zieht, das die Inseln schon immer bewohnt hat. Hier ist er Zeuge einer Welt und einer Gesellschaft, die weitestgehend unberührt vom Einfluss der westlichen Zivilisation harmonisch im Einklang mit sich selbst und der Natur lebt. An die Existenz einer solchen Welt kann der desillusionierte First Sergeant Edward Welsh (Sean Penn), die „Mutter der Kompanie", gar nicht mehr glauben. Doch hält er immer wieder seine schützende Hand über Witt, weil dieser für ihn die Personifizierung der Hoffnung auf das Gute im Menschen ist. Private Jack Bell (Ben Chaplin) hingegen treibt vor allem die Hoffnung an, so schnell wie möglich wieder zurück bei seiner geliebten Frau zu sein. Ihr gemeinsamer Kompanieführer, Captain James Staros (Elias Koteas), sieht die ganze Kompanie als Familie an, die er auf keinen Fall unnötig opfern will. Und sein Vorgesetzter Lieutenant Colonel Gordon Tall (Nick Nolte) hat seine Familie den eigenen beruflichen Zielen schon längst untergeordnet. Er will unbedingt endlich in „seinem ersten Krieg" die militärische Karriere machen, die ihm bis jetzt versagt wurde. Zwischen ihm und seinem ehrgeizigen Ziel liegt eine Hügelkette, welche die C-Kompanie erstürmen soll. Aber der hartnäckige japanische Widerstand lässt den ersten Frontalangriff blutig scheitern. Tall verlangt von Staros, die Kompanie ein zweites Mal angreifen zu lassen...

    Das Drehbuch basiert auf einer 1962 veröffentlichten Romanvorlage von James Jones, der mit seinem Romandebüt „Verdammt in alle Ewigkeit" (verfilmt unter gleichnamigen Titel) 1951 für Furore sorgte. In seinem zweiten Buch „Der schmale Grat" verarbeitete Jones wie in seinem Erstlingswerk erneut eigene Erfahrungen, die er als Soldat im Zweiten Weltkrieg gemacht hatte, wobei der Name der Insel real ist, aber Geographie und Armeeeinheiten fiktiv sind. Malick selbst änderte wenige Namen aus der Buchvorlage, so hieß zum Beispiel die Figur des Staros im Roman „Stein".

    „Dieses Böse, woher kommt es? Wie stiehlt es sich in die Welt? Aus welchem Samen, aus welcher Wurzel ist es erwachsen? Wer tut das, wer tötet uns, beraubt uns des Lebens und des Lichts, verhöhnt uns mit dem Anblick dessen, was wir hätten wissen können? Kommt unser Untergang der Erde zu Gute, hilft er dem Gras beim wachsen, der Sonne beim scheinen? Ist diese Dunkelheit auch in Dir, hast Du diese Nacht durchschritten?"

    (Private Witt, „Der schmale Grat")

    Regisseur und Drehbuchautor Malick geht es nicht um die historisch korrekte Schilderung der Schlacht um Guadalcanal, sondern in erster Linie um eine intime Sicht auf dessen Opfer und die Frage, woher das Phänomen Krieg überhaupt kommt. Die eigentlichen Kriegshandlungen sind nach rund 105 Minuten des Films abgeschlossen, in der letzten Stunde konzentriert sich die Handlung nur noch auf das Innenleben ihrer Protagonisten. Es gibt als dramaturgischen Höhepunkt keine groß angelegte Endschlacht, die alles zuvor Gesehene noch übertrifft und in der die Helden mit jeder Menge Pathos abtreten. In dieser Hinsicht trotzt Malick mutig dem Mainstream-Kino à la Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan. Sein Schwerpunkt gilt nicht dem Kriegsgeschehen, sondern er beleuchtet die Menschen, die sich in ihm bewegen. Dies gelingt ihm meisterhaft, denn alle Charaktere wirken zutiefst menschlich und auf ihre Art nachvollziehbar. Malick lässt bei jeder Figur Platz für Interpretationen des Zuschauers, er gibt keine Stereotypen vor. Es wird dem Auge des einzelnen Betrachters überlassen, ob er Staros' (Elias Koteas) Verhalten als höchst moralisch oder feige deutet. Genauso kann man seinen Gegenspieler Tall (Nick Nolte) als reinen Karrieristen sehen, oder aber als mutigen Pragmatiker, der weiß, wie ein Kampf gewonnen wird. Die Wahrheit liegt wie immer dazwischen, jeder Mensch hat gute und schlechte Seiten und Regisseur Malick ruft den Zuschauer auf, sich seine eigene Wahrheit zu erschließen. Er verzichtet auch im Gegensatz zu Spielberg vollkommen auf Stereotype wie den „bösen Japaner". Die Feinde entpuppen sich als bedauernswerte menschliche Individuen, die genauso durch den Krieg leiden, die um Freunde weinen, der Wut oder dem Wahnsinn verfallen. Es gibt keine Unterschiede zwischen Siegern und Besiegten, alle verlieren bei diesem Krieg, der von Leuten befohlen wird, die in einem fernen Land an einem Schreibtisch sitzen. Oder wie es Welsh (Sean Penn) formuliert: „Bei dieser Scheiße geht es nur um Besitz!"

    „Wir waren eine Familie, wir mussten uns trennen und zu Feinden werden. Nun stehen wir einander unversöhnlich gegenüber und rauben uns gegenseitig das Licht. Wie kam es, das wir das Gute verloren das uns gegeben war; das wir es uns entgleiten ließen; es unachtsam verstreuten? Was hält uns davon ab, die Hand nach dieser Herrlichkeit auszustrecken?"

    (Private Edward P. Train, „Der schmale Grat")

    Wie kaum ein anderer Regisseur bekommen bei Malick auch die Bild- und Tonebene eine immense Bedeutung. Auf der Bildebene stellt er immer wieder dem kriegerischen Treiben des Menschen Bilder einer reinen, unberührten Natur mit Tieren und Pflanzen gegenüber, die den Wahnsinn des Krieges umso deutlicher werden lassen. Die Harmonie, die unter den Ureinwohnern der Insel herrscht, und welche Private Witt (James Caviezel) immer wieder sucht, zeigt eindrucksvoll, wie friedlich die Menschheit eigentlich leben könnte, aber später auch, wie der Mensch diesen Frieden zerstören kann. In einer grandiosen Einstellung sieht man die Kompanie durch den Urwald streifen und dabei auf einen Ureinwohner treffen. Im Gegensatz zu diesem sind die Männer mit ihren Waffen und Helmen Fremdkörper in einer Welt, in die sie nicht gehören. Später werden sie ein Krokodil fangen und in ihrem Lager zur Schau stellen. Das gefesselte Tier, eines der ältesten und gefährlichsten Jäger der Weltgeschichte, ist machtlos gegenüber einer Spezies, deren Kriege sich längst schon nicht mehr mit dem natürlichen Kampf um Selbsterhaltung begründen lassen, sondern eine widernatürliche Dimension des Schreckens angenommen haben. Die Aufzählung solcher symbolischen Bilder könnte noch lange weitergehen, denn die grandiose Kameraarbeit von John Toll bietet dem Betrachter eine unendliche Fülle von sehenswerten Bildern, die alleine schon genug Aussagekraft hätten, sich so aber ganz in den Dienst des Gesamtkunstwerks stellen.

    Dies tut auf der Tonebene auch die vom in Hollywood erfolgreichen Komponisten Hans Zimmer (Der König der Löwen) geschriebene Musik des Films. Sie dient nicht nur der Spannungssteigerung, Zimmer drückt mit seiner musikalischen Untermalung auch Gefühle der Protagonisten aus. Wenn Private Peale (Mark Boone Junior) beim Sturm auf einen Bunker plötzlich psychisch ausklinkt und selbstmörderisch direkt auf die MG-Stellung zustürmt, dann kündigt schon die Musik bei seiner Nahaufnahme an, dass gerade in seinem Kopf rationale Überlegungen einem Wahnsinn weichen, der später gerne als Todesmut bezeichnet wird. Dazu arbeitet Malick immer wieder mit Off-Stimmen der Protagonisten. Diese geben Einblicke in das Innere der Charaktere und unterstützen mit der Poesie ihrer Sprache die Bilder. Oft werden dabei Fragen gestellt, aber wenig Antworten gegeben. Malick plädiert auf einen mündigen Zuschauer, dem er es überlässt, sich Antworten selber zu erschließen.

    Die Besetzungsliste liest sich, als ob Hollywoods gesamte Darstellerriege bei Malick für diesen Film Schlange gestanden hätte. Oscarpreisträger wie Sean Penn, Adrien Brody, George Clooney, dazu namhafte Oldster und Youngster wie Nick Nolte, John Travolta, Jared Leto, John Cusack, Woody Harrelson, Elias Koteas, John C. Reilly und in der größten Frauenrolle, was nicht schwer ist, weil kaum Frauen mitspielen, noch Miranda Otto, die manchem noch als Eowyn aus „Herr der Ringe" bekannt sein dürfte. Kleinste Nebenrollen werden von solch namhaften Schauspielern wie Clooney oder Travolta besetzt, die sich gerne als im Grunde genommen reine Marketing-Zugpferde vor diesen Film spannen ließen. Und dabei hat sich der eigenwillige Terrence Malick sogar noch den Luxus erlaubt, Szenen mit Schauspielern wie Gary Oldman, Viggo Mortensen, Bill Pullman und Mickey Rourke komplett aus dem Film herauszuschneiden, was sich aber auch nicht verhindern ließ, denn die Ursprungsfassung des jetzt 170 Minuten langen Films hatte eine Länge von sechs Stunden! Dabei verzichteten einige Schauspieler auch noch auf ihre Gagen, um den Film erst möglich zu machen, ein deutliches Zeichen dafür, dass es diesen nicht um Geld, sondern vor allem um ein gutes Drehbuch geht. Malick gelingt es dann auch, alles aus seinen Stars herauszukitzeln. Die darstellerischen Leistungen sind allesamt großartig, es fällt schwer, jemanden besonders hervorzuheben.

    Der Regisseur Terrence Malick („In der Glut des Südens", The New World) ist ein Phänomen. Der Texaner, Jahrgang 1943, hat in seiner Funktion als Regisseur erst sechs (!) Spielfilme inszeniert und kann damit beileibe nicht als Fließbandarbeiter bezeichnet werden, wobei dazu gesagt werden muss, dass er öfter als Drehbuchautor tätig war. Alleine zwischen „In der Glut des Südens" und „Der schmale Grat" hat er sich als Regisseur eine 20-jährige Schaffenspause verordnet. Sein Comeback ist ihm aber vollends gelungen. Ohne Frage ist „Der schmale Grat" nicht einfach konsumierbar. Eine ungewöhnliche Erzählweise und eine überbordende Bilderflut erschweren dem Zuschauer beim ersten Sehen den Zugang. Wer sich aber intensiv mit dem Film beschäftigt, der wird realisieren, dass hier ein Kunstwerk entstanden ist, an dessen Vielschichtigkeit und Wahrheitsgehalt sich noch einige nachfolgende Filmemacher messen werden lassen müssen, die mit dem vollmundigen Ziel antreten, einen Anti-Kriegsfilm zu realisieren.

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