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    Two Lovers
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Two Lovers
    Von Andreas Staben

    Als Joaquin Phoenix Anfang 2009 zum US-Kinostart von James Grays romantischem Drama „Two Lovers“ in der Talkshow von David Letterman zu Gast war, schlug sein Auftritt hohe Wellen: Mit wild wucherndem Vollbart und einer ungezähmten Frisur, mit dunkler Brille und Kaugummi im Mund verweigerte der abwesend wirkende Mime den üblichen Smalltalk und murmelte stattdessen etwas davon, dass er nicht mehr schauspielern werde, sondern sein künstlerisches Glück fortan als Hip-Hopper versuchen wolle. Im Anschluss gab es lebhafte Diskussionen darüber, ob Phoenix womöglich unter Drogen stand oder ob alles nur ein Spaß gewesen sei. Der Auftritt wurde von Ben Stiller einige Wochen später bei der Oscar-Verleihung wenig schmeichelhaft parodiert und als nächstes tauchten bei YouTube Videos auf, die einen mehr schlecht als recht rappenden Phoenix in einem Club in Miami zeigen, wie er seine Darbietung unvermittelt unterbricht und sich auf einen Zuhörer stürzt, der despektierliche Kommentare von sich gegeben hat. Bedauerlicherweise haben die Eskapaden des Stars „Two Lovers“ in den Hintergrund gedrängt. Dabei ist der nicht nur das reife Werk eines der interessantesten amerikanischen Filmemacher der vergangenen Jahre, sondern auch ein eindrucksvoller Beleg für Phoenix' herausragendes Schauspieltalent.

    Der labile Mittdreißiger Leonard (Joaquin Phoenix, Gladiator, Walk The Line) unternimmt einen halbherzigen Selbstmordversuch und wird von Passanten aus dem Wasser gefischt. Der Hobbyfotograf, der seit einigen Monaten wieder bei seinen Eltern Reuben (Moni Moshonov, Shnat Effes) und Ruth (Isabella Rossellini, Blue Velvet, Zufällig verheiratet) in Brighton Beach wohnt und im Familienbetrieb aushilft, stellt es ihnen gegenüber als Unfall hin. Sanft ermutigen die Eltern ihn, sich auf eine Beziehung zu Sandra (Vinessa Shaw, Eyes Wide Shut, Todeszug nach Yuma) einzulassen. Sie stammt aus einer befreundeten, ebenfalls jüdischen Familie. Leonard mag sie, weiß aber nicht, was er wirklich will. Als er die neue Nachbarin Michelle (Gwyneth Paltrow, Shakespeare In Love, Iron Man) kennenlernt, die eine unglückliche Affäre mit dem reichen Anwalt Ronald (Elias Koteas, Gattaca, Der schmale Grat, Zodiac) hat, fühlt sich Leonard rasch zu ihr hingezogen. Bald ist er zwischen Sandra und Michelle hin- und hergerissen…

    „Two Lovers“ wurde bereits im Mai 2008 in Cannes uraufgeführt und nicht einmal der Wirbel um Phoenix konnte einen deutschen Verleiher dazu bewegen, den an der Croisette sehr positiv aufgenommenen Film regulär in die hiesigen Kinos zu bringen. Das Potential an der Kinokasse schien offenbar einfach zu gering, denn „Two Lovers“ steht quer zu fast allem, was in der heutigen Filmlandschaft als populär und vermarktbar gilt. Was vom Grundgerüst der Handlung her wie der Stoff einer x-beliebigen romantischen Komödie erscheinen könnte, erweist sich als ein ernsthaftes und nicht unbedingt leicht zugängliches, aber einfühlsames Werk über Liebe, Einsamkeit, Isolation und die Flüchtigkeit des Glücks, in dem selbst eine Rap-Einlage von Phoenix weniger an die nachfilmischen Aktivitäten des Darstellers denken lässt als subtil zur Vertiefung der Charakterzeichnung beiträgt.

    James Gray schrieb seinen lose auf Dostojewskijs Erzählung „Weiße Nächte“ basierenden vierten Film mit seinen beiden Stars im Kopf, mit Phoenix hatte der Regisseur bereits bei Helden der Nacht und „The Yards“ erfolgreich zusammengearbeitet. Gemeinsam gelingt es dem Filmemacher und seinem Hauptdarsteller, den vermeintlichen Loser Leonard zu einer voll entwickelten, widersprüchlichen und komplexen Figur zu formen. Phoenix nuancierte, mit Improvisationen und faszinierenden Details angereicherte Arbeit ergänzt sich einmal mehr ideal mit Grays sensibler Inszenierung, die uns geschickt und fast unmerklich die subjektive Perspektive Leonards nahebringt.

    Der selbst aus Brooklyn stammende Regisseur zeigt ein besonderes Gespür für das spezifische jüdische Familienmilieu und vermeidet naheliegende Klischees, was sich nicht nur in der Arbeit mit den Schauspielern (vor allem Isabella Rossellini als besorgte Mutter zeigt eine berührende und wahrhaftige Darstellung), sondern auch in der geschickten Auswahl der Originalschauplätze positiv bemerkbar macht. Als Leonard sieht, wie selbstverständlich sich Michelle in der ganz anderen Sphäre des nur wenige Kilometer entfernten Manhattan mit seinen hippen Clubs und schicken Restaurants bewegt, dann muss ihm dies als überaus glamouröse Alternative zu seiner eigenen kleinen Welt erscheinen. Vom Fenster seines Zimmers aus kann Leonard in Michelles Wohnung auf der anderen Seite des Hofes sehen. Dass er sich duckt, als sie ihn zu bemerken droht, ist zunächst natürlich der Reflex eines ertappten Voyeurs, aber in den Blicken dieses verlorenen Mannes liegt viel mehr. In seinen Augen spiegelt sich eine unaussprechliche und unstillbare Sehnsucht, denn was er sieht, ist die Verheißung eines anderen Lebens.

    Anders als bei vielen Hollywood-Liebesgeschichten, in der die Sympathien und die Rollen klar verteilt sind, wird Leonards Dilemma nicht einfach in Wohlgefallen aufgelöst. So erscheint die bodenständige und verständnisvolle Sandra keinesfalls als langweiligere Wahl gegenüber der flatterhaften und bedürftigen Michelle. Das liegt natürlich zum großen Teil an den Schauspielern: Vinessa Shaw zeigt in der undankbareren Rolle eine anziehende Mischung aus erstaunlicher Klarsicht und sanftem Pragmatismus, aber auch Gwyneth Paltrow packt die seltene Gelegenheit einer echten Charakterrolle beim Schopfe und beweist, dass sie weit mehr kann als nur hübsch sein. In diesem Dreieck sind Vernunft und Leidenschaft, Stabilität und Ausbruchsphantasie keine einfachen Gegensätze, sondern ergeben eine komplexe Gemengelage von widerstreitenden Impulsen und Gefühlen. Auf wundersame Weise hält James Gray diese Balance über den ganzen Film, der nicht nur durch seine emotionale, sondern auch durch seine formale Reife besticht. Die Grenze zwischen echten Gefühlen und falscher Sentimentalität wird nie überschritten.

    Mit fortlaufender Dauer wird die Atmosphäre des Films immer traumähnlicher, gipfelnd in einer emotional aufgeladenen Sequenz mit Phoenix und Paltrow auf dem Dach des Wohnhauses. Der ruhige Erzählrhythmus mit seinen teils sehr langen Einstellungen lässt dem Betrachter die Freiheit, die versteckten Feinheiten selbst zu entdecken, die Blicke und Gesten selbst zu deuten. Und auch mit seinem Ende, das sehr unterschiedlich wahrgenommen werden kann, folgt Gray konsequent dieser Linie, die von ironischer Distanzierung genauso weit entfernt ist wie von verklärender Vereinfachung: James Gray und sein „Two Lovers“ passen weder in die Independent- noch in die Mainstream-Schublade.

    Wer „Two Lovers“ sieht, kann nur hoffen, dass er die nächsten James-Gray-Filme wieder im Kino entdecken und dass der Regisseur seinen Bruder im Geiste demnächst wieder vor die Kamera locken kann. Joaquin Phoenix‘ Rückkehr scheint immerhin durchaus in der Luft zu liegen: Seit kurzem ist der Waldschrat-Bart ab und Casey Affleck (Gone Baby Gone, Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford), Freund und Schwager des vermeintlichen Ex-Schauspielers, gab bekannt, dass er eine „Dokumentation“ über dessen „Hip-Hop-Karriere“ gedreht habe. Vielleicht war also doch alles nur eine Show…

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