Vom amerikanischen Traum zum Albtraum: In ihrer ersten Zusammenarbeit Das Streben nach Glück widmeten sich Regisseur Gabriele Muccino und sein Superstar Will Smith mit einem sehr kräftigen Druck auf die Tränendrüse dem märchenhaften Aufstieg eines Obdachlosen zum Großverdiener – brutaler Friss-oder-stirb-Kapitalismus in Reinkultur, der allerdings so süß serviert wurde, dass er Smith-Fans nicht sauer aufstieß. In dem intensiven, aber plakativen Drama „Sieben Leben“ geht das Duo Muccino/Smith nun den entgegengesetzten Weg. Hauptfigur Ben Thomas startet ganz oben, sein Ziel ist jedoch vorgezeichnet: der Tod. Ton und Thema sind düster, aber der omnipotente Publikumsliebling Smith sorgt dafür, dass selbst diese Reise ins Herz der Finsternis mit Unterhaltungswert aufwartet.
Ben Thomas (Will Smith) hockt völlig verzweifelt in einem Motelzimmer in Los Angeles. Der ehemalige Luftfahrt-Ingenieur steht kurz davor, seinem Leben ein Ende zu setzen. Mit einem Anruf bei der Notrufzentrale kündigt er seinen unmittelbar bevorstehenden Selbstmord an… Rückblick: Wie es zu dieser Situation kam, verrät die Vorgeschichte. Ben hat sich vorgenommen, das Leben von sieben Menschen fundamental zu verändern. Er schleicht sich als Finanzbeamter in deren Umfeld ein und schnüffelt herum. Seine Deckung gibt er nicht auf, das Geheimnis, das seine Person umgibt, behütet er sorgsam. Besonders die hübsche Grußkartendruckerin Emily Posa (Rosario Dawson) weckt sein Interesse. Über seine Kompetenzen hinaus gewährt er ihr einen großzügigen Aufschub für ihre Steuerschulden. Eine Herzkrankheit hindert sie an der Ausübung ihres Berufes. Aber die Chance auf ein Spenderherz ist gering. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zaghafte Beziehung...
Mit seinem Hollywood-Debüt „Das Streben nach Glück“ bewies der Italiener Gabriele Muccino (Ein letzter Kuss) gleich im ersten Anlauf Blockbuster-Qualitäten. Manchmal sind ausländische Regisseure, wenn sie in die Traumfabrik kommen, amerikanischer als es sich ein Amerikaner selbst trauen würde. Denken wir nur an den Hurra-Patriotismus von Roland Emmerich in Independence Day oder den von Wolfgang Petersen in „Air Force One“. Und auch Muccino feiert den amerikanischen Traum in seinem Feel-Good-Drama „Das Streben nach Glück“ im Überschwang. Davon rückt er in „Sieben Leben“ ab, um an anderer Stelle ebenso manipulativ zuzulegen. Er etabliert seinen Helden/Antihelden Ben Thomas als äußerst fragwürdige moralische Über-Instanz, der nach eigenem Gusto über Leben und Tod richtet.
Am stärksten ist „Sieben Leben“ in der ersten halben Stunde. Hier ist der Film noch ein Mysterium. Muccino lässt sein Publikum konsequent im Unklaren darüber, was Ben eigentlich im Schilde führt. Was soll mit den sieben Menschen auf seiner Liste geschehen? Ist er eine gute Fee oder ein Todesengel in Lauerstellung? Die Stimmung, die Muccino verbreitet, ist pessimistisch und düster. Getragen von Philippe Le Sourds eleganten Bildern entwickelt das Drama eine intensive Atmosphäre. Leider lässt der Regisseur die Katze zu früh aus dem Sack. Nicht mit einem Paukenschlag, aber nach und nach schwant dem Betrachter, was Ben Thomas wirklich vorhat. Das raubt dem Film Spannung, die trotz des gemächlichen Tempos zumindest zu Beginn noch präsent ist. Fortan dreht sich alles „nur“ noch um das Warum und das Wie. Und dabei weicht der Film zunehmend auf Klischees aus.
Will Smith, der derzeit größte Box-Office-Star des Erdballs, ist ein Phänomen. Egal, was er seiner riesigen Fangemeinde vorsetzt, sie reißen es ihm aus den Händen. Hancock, Das Streben nach Glück, I Am Legend, Hitch, I, Robot oder Bad Boys II: Alles keine überragenden Filme, aber dank Smiths Präsenz avancierte jedes dieser Werke dennoch zum Kassenknüller. Ein Schlüssel zu dieser Erfolgsserie ist sicherlich Smiths sympathisches Auftreten, das viele Schwächen zumeist mühelos überdeckt. Im Fall von „Sieben Leben“ ist das sowohl größter Trumpf und Kernproblem zugleich: Smith macht dem Zuschauer selbst einen fragwürdigen Charakter wie Ben Thomas noch so schmackhaft, dass viele ihm auf seiner Reise bereitwillig folgen werden, ohne unangenehme moralische Fragen zu stellen. Smith war noch nie ein Mann des Dramas, selbst wenn er in Michael Manns Biopic Ali seine beste Karriereleistung zeigte. Er verließ sich schon immer voll und ganz auf sein Charisma und kaschierte so fehlende schauspielerische Tiefe. Trotz Verzichts auf allzu viele große Gesten ist Smith auch in „Sieben Leben“ von überlebensgroßer Statur, die den Fokus auf ihn zieht. Bens Handeln in letzter Konsequenz plausibel zu machen, gelingt dem Star jedoch nicht. Das ist zu guten Teilen aber auch dem überkonstruierten Drehbuch von Grant Nieporte anzurechnen.
Co-Star Rosario Dawson (Sin City, Death Proof, Eagle Eye) harmoniert recht stimmig mit Smith. Ihr Verhältnis zueinander ändert sich von Minute zu Minute. Der Betrachter kann sich nie sicher sein, ob der jeweilige Aggregatzustand ihrer Beziehung Bestand hat oder sich plötzlich in Nichts auflöst. Der Nachteil eines üblichen Will-Smith-Vehikels wird in „Sieben Leben“ offensichtlich: Der Star und sein Ego nehmen soviel Raum ein, dass für die Nebendarsteller nur Krumen abzugreifen bleiben. Diese schnappt sich zum Beispiel Barry Pepper (25 Stunden, Der Soldat James Ryan), der in seinen wenigen Szenen mit ausdrucksstarkem Spiel berührt. Wer aufpasst, bekommt von Pepper schon einen Vorgriff auf das Ende geboten. Daneben erhascht noch Woody Harrelson (No Country For Old Men, Wag The Dog) als blinder Call-Center-Telefonist etwas Aufmerksamkeit. Ansonsten gehört die Leinwand voll und ganz Will Smith.
Eindringliche dramatische Tiefe erreicht „Sieben Leben“ nie. Dafür ist das Storygerüst zu grobschlächtig gezimmert. Beispielhaft dafür ist die völlig überladene Symbolik, die Regisseur Muccino im Laufe des Films um die absolut tödliche Würfelqualle („The deadliest animal in the world“) heraufbeschwört. Das ist über die Maßen selbstgefällig inszeniert und schießt weit übers Ziel hinaus, weil die Theatralik das Thema überstrahlt. Und wenn Ben in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Emilys marode Antikdruckmaschine repariert, schwingt gar unfreiwillige Komik mit: Im Gegensatz zu Hancock ist er diesmal zwar kein Superheld, aber doch zumindest ein Superhandwerker, der über ein scheinbar unerschöpfliches Reservoir an Schraubenschlüsseln verfügt.
Fazit: „Sieben Leben“ ist ein klassischer Zwitter. Eigentlich ist die Story für ein sensibles, kleines Drama ausgelegt, aber durch die Superstar-Komponente Will Smith wird daraus plötzlich ein großes Mainstream-Event. Dem trägt Regisseur Gabriele Muccino Rechnung und hält seinen Film von intensiver Radikalität frei, die dem Werk gut zu Gesicht gestanden hätte, um ernsthaft zu berühren. So mischt er hier und da ein wenig Humor hinein, damit das Publikum nicht gleich in Depressionen verfällt – schließlich soll „Sieben Leben“ trotz düsterer Klangfarbe im Grunde doch vor allem unterhalten. Nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht gut, nicht schlecht. Wer Will Smiths Scharfrichtertum ertragen kann, wird sich in „Sieben Leben“ zumindest nicht langweilen.