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    Frei:Gespielt - Mehmet Scholl: Über das Spiel hinaus
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Frei:Gespielt - Mehmet Scholl: Über das Spiel hinaus
    Von Björn Becher

    „Der Scholl ist ein klasse Typ. Wer den nicht toll findet, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Wenn der in Cottbus mit dem FC Bayern aufgelaufen ist, dann haben alle geklatscht und sich gefreut, dass der Scholl da ist, und das musst Du ja erst mal schaffen als Bayern-Spieler, dass sie Dir in Cottbus applaudieren.“ (Ex-Fußballprofi Ansgar Brinkmann in einem offenen Abschiedsbrief an Mehmet Scholl in der Süddeutschen Zeitung vom 14.

    August 2007).

    Es gibt viele große deutsche Fußballspieler und Mehmet Scholl ist sicher ein Großer, aber nicht der Allergrößte. Er hat nie an einer Weltmeisterschaft teilgenommen und es nicht einmal auf 40 Länderspiele geschafft. Den Durchbruch zum absoluten Weltstar, ja selbst zum nationalen Leader, schaffte er nie. Man kann sich also fragen, warum wird gerade über das Karriereende von Mehmet Scholl eine rund hundert Minuten lange Dokumentation gedreht, die nicht nur auf DVD veröffentlicht wird, sondern sogar im Münchner Raum in die Kinos kommt. Doch Scholl war immer mehr als ein hoch talentierter Fußballer (eigenes Motto: „Lieber ewiges Talent als gar kein Talent“). Er war die erste moderne Pop-Ikone des deutschen Fußballs (also weit über das hinaus, was Günter Netzer zu seiner aktiven Zeit war), ein Teenie-Idol, welches das Bravo-Cover zierte und damit der Vorläufer der Schweinis und Poldis von heute. Doch dann kam es zum Bruch. Scholl verschwand fast völlig aus den Medien und gab nur noch hin und wieder der Süddeutschen Zeitung ein (immer hochklassiges und interessantes) Interview. Doch gerade dies sowie seine ehrliche Art, ließen seine Sympathiewerte in ungeahnte Höhen schnellen. Kein aktiver Fußballer wurde in den letzten Jahren auch in fremden Stadien ähnlich bejubelt wie Scholl. Dies rechtfertig einen ganzen Film über den talentierten Fußballer, den intelligenten und nachdenklichen Gesprächspartner sowie den interessanten Menschen Mehmet Scholl. Zumal das Werk der beiden Sportjournalisten und Filmemacher Ferdinand Neumayr und Eduard Augustin nicht nur inhaltlich, sondern auch filmisch erstklassig ist. Ritt Sönke Wortmann mit seinem Fußball-Doku-Superhit Deutschland. Ein Sommermärchen auf der Welle der Begeisterung, welche es schaffte, die Schwächen des Films zu überdecken, liefern Neumayr und Augustin mit „Frei:Gespielt - Mehmet Scholl: Über das Spiel hinaus“ wirklich einen Blick auf den Menschen und das Fußballgeschäft.

    Als Aufhänger dient das letzte Bundesligaspiel von Mehmet Scholl, der 5:2-Sieg von Bayern München gegen den FSV Mainz 05 am 19. Mai 2007. Die beiden Filmemacher begleiten den Fußballstar in den Tagen vor dem Spiel, seiner finalen Pressekonferenz bei Bayern München, dem letzten Trainingslager und zeigen schließlich als krönenden und melancholischen Abschluss Szenen aus dem Spiel, bei dem Scholl noch einmal auftrumpfte wie in seinen besten Tagen. Dazwischen geschnitten sind zahlreiche Interviews, vor allem mit Mehmet Scholl. Aber auch Freunde und Bewunderer des Technikers kommen zu Wort. Die Herkunft ist dabei breit gefächert. Sie kommen aus der Politik (Edmund Stoiber, Joschka Fischer), dem Showbiz (Herbert Grönemeyer, Harald Schmidt, Peter Brugger von der Band Sportfreunde Stiller, MTV-Moderator Markus Kavka, Comedian Markus Mittermeier), der berichterstattenden Presse (die Reporter Günther Koch und Waldemar Hartmann sowie die Sportjournalisten der Süddeutschen Zeitung, Phillipp Selldorf und Ludger Schulze) oder direkt aus dem Fußballgeschäft (Uli Hoeneß, Oliver Kahn, Thorsten Fink, Lukas Podolski). Durch die Vielfalt von Personen, auf der einen Seite welche, die Scholl teilweise als Freunde oder (ehemalige) Mitspieler sehr nahe kennen oder auf andere Weise ihm sehr nahe stehen (wie zum Beispiel die Ehefrau von Uli Hoeneß), und auf der anderen Seite, einige, die einfach auch nur Fans des Fußballers sind, gewährleisten Neumayr und Augustin ein sehr umfassendes Porträt, aus vielen Blickwinkeln.

    Gekonnt schneiden sie dabei Aktualität (das näher rückende „letzte Spiel“) und Rückblick ineinander. Über Bilder des kleinen Scholl mit viel zu großer Brille bei ersten fußballerischen Gehversuchen, der Erinnerung an das erste Profi-Training beim Karlsruher SC, bei dem Trainer Winnie Schäfer den jungen Schützling ausdauernd Ahmed nannte, über seine größten Erfolge, „tiefsten Tiefen“, sowohl sportlich als auch privat, und seine schönsten Tore (bevorzugt geschossen in den Derbys gegen 1860 München) kann der Zuschauer nicht nur noch einmal die gesamte Karriere von „Scholli“ in komprimierter Form nachverfolgen, sondern lernt schnell auch den Menschen zu verstehen und dessen Beweggründe für die Art, wie er seine Karriere betrieben hat.

    Die wichtigsten Stationen dürfen dabei natürlich nicht fehlen. Allen voran Scholls Aufreger „Hängt die Grünen solange, es noch Bäume gibt“, der in den Neunzigern für einen mittelschweren Skandal sorgte und selbst heute noch, wie die Aussagen einiger Gesprächspartner belegen, völlig falsch verstanden wird. Natürlich spielen der EM-Gewinn 1996 und der Champions-League-Sieg 2001, seine beiden größten Titel, eine gewichtige Rolle. Beide Male zeigt das Endspiel die Höhen und Tiefen der Karriere von Scholl fast sinnbildlich. Beim Sieg der Bayern 2001 drohte er aufgrund eines verschossenen Elfmeters früh zur tragischen Figur zu werden. Im EM-Finale 1996 wirbelte er mit exzellenten Dribblings die tschechische Abwehr durcheinander, war vielleicht bester Mann auf den Platz und wurde überraschend und zum Unverständnis aller Beobachter beim Stand von 0:1 für Oliver Bierhoff ausgewechselt. Die restliche Geschichte ist genauso legendär, wie der anschließende Ausspruch seines Trainers Berti Vogts. Bierhoff schoss mit zwei Treffern Deutschland zum Titel und Vogts kommentierte: „Der Scholl soll froh sein, dass ich ihn ausgewechselt habe, sonst wären wir heute nicht Europameister.“

    Neumayr und Augustin banden Mehmet Scholl sehr eng in den Film ein. Er machte Vorschläge für die Gesprächspartner, sorgte für die Musikauswahl und die (übrigens hervorragende) musikalische Untermalung der einzelnen Szenen und wahrscheinlich hatte er auch beim Endschnitt ein wenig mitzureden. Eine solche Kooperation sorgt bei einem Biopic natürlich für die Offenheit des zu Porträtierenden und bietet damit Möglichkeiten, die man auf anderem Weg nicht hat. Es birgt aber eine große Gefahr: Man muss aufpassen, nicht unkritisch zu werden. Mit Bravour kann dieser Vorwurf abgeschmettert werden. Die unterschiedlichen Sichtweisen der Gesprächspartner liefern auch Raum für kritischere Momente, gerade zu Scholls Nahezu-Medien-Verweigerung in den letzten Jahre der Karriere. Drei exzellent zusammen geschnittene Aussagen von Scholl, Oliver Kahn und Lukas Podolski zu ihrer persönlichen Einstellung bezüglich Fotoshootings und Ähnlichem gewähren dabei zudem einen nachdrücklicheren Blick hinter die Kulissen des Fußballgeschäftes als es zum Beispiel Deutschland. Ein Sommermärchen in den besten Momenten geschafft hat.

    Durch die Mitarbeit des Fußballers kam auch dessen Schwiegervater Igor Luther mit an Bord des Projekts und der bürgt für die exzellente technische Qualität des fertigen Films. Luther ist einer der besten deutschen Kameramänner (unter anderem Die Blechtrommel, War´n Sie schon mal in mich verliebt) und hier federführend bei der Kameraarbeit tätig. Gelistet wird er in den Credits als Bildgestalter und der Begriff passt viel besser als Kameramann. Luther zeigt, wie eine Dokumentation über Fußball auszusehen hat. Packende Spielszenen aus der Retorte gemischt mit stark in Szene gesetzten (von der Lokalität und der Ausleuchtung sehr bewusst inszenierten) Interviews sowie Eindrücken aus den letzten Profi-Stunden des Fußballers. Dank des perfekt getimten Schnitts erreicht die Dokumentation über die nahezu gesamte Laufzeit eine unerwartete formale Perfektion, an der sich Sönke Wortmann ein Beispiel nehmen sollte.

    Dank dem glänzenden Zusammenspiel aus interessanter Figur, erstklassiger Aufbereitung und gut ausgewählten Gesprächspartner ist „Frei:Gespielt - Mehmet Scholl: Über das Spiel hinaus“ ein Film, der nur Leute nicht begeistern dürfte, die mit Fußball überhaupt nichts anfangen können oder Mehmet Scholl nicht toll finden. Und letztere gibt es ja nicht, wie Ansgar Brinkmann richtig bemerkte.

    „Der Mehmet ist ganz schön heiß im Moment!“ – „Mehmet ist nicht heiß, Mehmet glüht!“ (Zitat aus Christian Züberts Kultfilm Lammbock, in dem Mehmet Scholl ohne eigenen Auftritt seine erste Kinohauptrolle spielte)

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