Als der Autor John Patrick Shanley vor einigen Jahren die Arbeit an einem neuen Theaterstück begann, hatte er zunächst nur einen Titel: „Doubt“. In der Folge ersann er dazu eine Geschichte, die er auch Guilt‘, Innocence‘ oder Certainty‘ hätte nennen können, die Shanley also mit sehr viel ausdrucksstärkeren, gewichtigen Worten hätte kennzeichnen können, die eine klarere Position bezogen hätten. Doch um klare Positionen ging es dem Oscar-prämierten Dramaturgen nicht, Shanley wollte eine Geschichte, fußend auf vermeintlich schwachen Positionen, geschaffen von Vorurteilen, Beeinflussbarkeit, Misstrauen und eben Zweifel (Doubt). Gewicht verlieh Shanley diesen Regungen einzig durch die Charaktere und ihre‘ Positionen und natürlich anhand der Geschichte selbst, bei der sich der Zuschauer nicht nur mit den genannten Begriffen konfrontiert sieht, sondern selbst zu einer ganz persönlichen Auseinandersetzung mit ihnen gedrängt wird und eine, um den bereits überstrapazierten Begriff ein letztes Mal zu verwenden, Position beziehen muss.
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New York, 1964: Der 12jährige Donald Miller ist der erste dunkelhäutige Schüler an der renomierten katholischen Privatschule St. Nicholas und dieser Umstand wird von der drakonischen Rektorin Aloysius Beauvier ebenso verfolgt, wie die Schritte des unkonventionellen Pater Brendan Flynn. Sie setzt die junge Schwester James auf den Priester an und als diese einen wenig konkreten Verdacht äußert, beginnt die auf ihre altgedienten Werte versessene Aloysius ihren Feldzug gegen Flynn...
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Das letztlich „Doubt: A Parable“ genannte Theaterstück wurde zum Publikums- und Kritikererfolg, erhielt den Drama Desk- und Tony-Award in mehreren Kategorien, sowie den Pulitzer Preis. Die Umsetzung ins Medium Film übernahm Shanley höchstselbst, arbeitete sein reduziertes 4-Personen-Stück zu einem etwas breitgefächerteren Drehbuch um und übernahm, im Übrigen zum ersten Mal seit der recht formschwachen Tom Hanks/Meg Ryan-Anbandelei „Joe gegen den Vulkan“ (1990), auch die Regie. Die zentralen Themen sind dem Stoff während des Transfers natürlich nicht abhanden gekommen. Im Schatten der Ermordung von Präsident John F. Kennedy hält Pater Flynn zu Beginn eine Predigt über Zweifel und Gewissheit, ihren Gegensatz und ihre Gemeinsamkeit. Der Zusatztitel der Theatervorlage passt sofort auch zum Film. Parabelhaft sind Flynns Worte und nicht nur für den Moment, in dem er sie zu seiner Gemeinde spricht, sondern für ihn und den schwarzgewandeten Schatten, der sich ihm in Person von Schwester Aloysius nähert, die durch die Reihen schreitet und die Schüler von St. Nicholas zur Aufmerksamkeit ermahnt. Die Geschichte des verunglückten Seefahrers, der sich an der Unveränderbarkeit der Sterne orientiert, bis sich der Himmel bewölkt, er sie nicht mehr sehen kann und ihm Zweifel ob des eingeschlagenen Kurses kommen, überträgt sich auf die strenge Aloysius, deren Regiment an der Schule auf absoluter Regeltreue und disziplinarischer Härte basiert. Pater Flynn hingegen praktiziert das Prinzip der Nächstenliebe ungleich direkter, verschafft sich seinen Respekt nicht, indem er den Schülern Furcht einflösst, sondern indem er für sie da ist, besonders für den ausgesonderten Donald Miller. Mit seinem zugewandten Umgang und liberalen Art ist er der herrischen Direktorin schnell ein Dorn im Auge.
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„Glaubensfrage“ (einer jener deutschen Titel, die zwar irgendwie passen, am Kern der Sache aber zielgenau vorbei schießen) entpuppt sich schnell als ein Film, der den Sprung von der Bühne auf die Leinwand nicht zu vollstem Profit zu nutzen weiß, wie dies etwa, als aktuelles Beispiel, Ron Howard und Peter Morgan mit „Frost/Nixon“ gelang. Während dieser sich auf die volle Breite des Mediums streckte, bleibt Shanley seiner Aufführung als solches um einiges treuer. Dies geht jedoch keinesfalls auf Kosten der Qualität des Films, denn den Nutzen, den der Regisseur einerseits nicht aus den Möglichkeiten zieht, kommt andererseits der Geschichte und den Figuren durchaus entgegen. Viele Passagen inszeniert Shanley tatsächlich sehr bühnenhaft, raubt dem Geschehen damit sicherlich einiges an Schub, aber nichts an thematischer Kraft. Nach der längeren Einführung, in der die Tagesabläufe an der Schule geschildert werden und die Hauptfiguren in all ihrer Gegenteiligkeit dargestellt werden, ergibt sich der schreckliche Verdacht der Schwester Aloysius fast beiläufig, ohne gezielt dramatisches Aufbauschen. Wenn aber dann die Direktorin und der Pater im Beisein der von Aloysius zwischen alle Stühle gerückten Schwester James aufeinandertreffen und sich ihr Gespräch langsam auf den entscheidenen Punkt zubewegt, dann zeigt „Glaubensfrage“, warum er zum Wirken keine Breite in der Form benötigt. Es genügt die Dichte des Stoffes.
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Shanley geht seine Charaktere sicher alles andere als subtil oder vielschichtig an, die Verteilung ihrer Eigenschaften findet deutlichst statt, womit er das Interesse an ihnen als Personen, als Menschen, ebenfalls gering hält. Der Konflikt des Erzkonservativen gegen das Freidenkende ist nicht neu und nicht originell, was den Film antreibt ist der Zweifel. Dargestellt wird dieser am simpelsten von der an Worten und Werten zweifelnden Amy Adams als Schwester James, deren Sympathie für Pater Flynn im Konflikt steht mit der Ergebenheit zu Schwester Aloysius. An einigen Stellen trägt Adams dabei die Naivität etwas zu dick auf und manchmal gibt Shanley dem Zuschauer anhand ihrer Person zu offensichtlich zu verstehen, woran man gerade zu zweifeln hat. Als wankelmütige Bindung zwischen Beschuldigung und Rechtfertigung, zwischen dem was sicher ist und dem was vermutet wird, ist sie dennoch unerlässlich. Eben durch ihre gutgläubige Naivität und Wankelmütigkeit zwischen Verdacht und Erklärung mag man ihre Meinung nicht zur eigenen machen und bleibt am, genau, zweifeln.
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Beim Einstreuen von Hinweisen geht Shanley so geschickt wie manipulativ vor; wie gern möchte man dem charismatischen Flynn glauben und die engstirnig-verbohrte Aloysius zum Teufel jagen, doch das lässt der Film nicht zu. Die spannendste Komponente wird mit Donalds Mutter hinzugefügt, die einen völlig neuen Blickwinkel eröffnet und jedwede Absichten des Paters zu dulden bereit ist, solange sie nur weiß, dass da jemand ist, der ihren Sohn schützt. Diesen Moment einer überraschenden und, bedenkt man die Umstände, tief tragischen Offenbarung versieht Schauspielerin Viola Davis mit solcher Hingabe, Verzweiflung und Liebe, dass plötzlich beide Seiten, jene der Anklage und jene der Verteidigung, mit einer noch höheren Dichte versehen werden. Wiederum ohne, dass „Glaubensfrage“ in die Breite gehen muss, denn was Donalds Mutter zum Thema macht, sein gewalttätiger Vater, die Ablehnung der Mitschüler, seine möglichen homosexuellen Neigungen, werden außerhalb des Gesprächs kaum zum Bestandteil des Films.
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Neben den erwähnten Adams und Davis sind es selbstverständlich Meryl Streep und Philip Seymour Hoffman, die mühelos in der Lage sind, die moralische Last der Geschichte auf ihren Rücken zu laden und daraus hervorragendes Schauspiel zu machen. Die Nonnengewänder und –hauben beschränken die Trägerinnen auf ihre Gesichter, was Streep mit ihrer mimischen Ausdruckskraft voll entgegen kommt und wieviel sie allein mit zuckenden Mundwinkeln und wandernden Augen macht, ist absolut beachtlich. In vielen Momenten kommt ihre Schwester Aloysius einem typischen larger-than-life‘-Bösewicht sehr nahe, was dank Streeps Akkuratesse in der Anlegung ihres Spiels besonders in den entscheidenden Szenen aber nie so weit führt, dass man sie nicht mehr ernst nehmen kann. Die beiden längeren Gespräche mit Seymour Hoffman sind so mitreißend wie eine aufwendige Actioneinlage, denn dessen Spiel ist nicht minder minuziös in jeder Regung ausgeführt. Ein imponierendes Aufeinandertreffen zweier Ausnahmekönner.
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„Glaubensfrage“ spinnt den Faden einer einfachen, aber substantiellen Story rund um seine Charaktere, aus deren betont parabelhaft eingefangenen Darstellungen der Film seine Fragestellungen destiliert. Das geht in seiner Umsetzung über weiteste Strecken nicht gerade einen Schulterschluss mit dem Medium Film ein und bleibt seiner Theaterherkunft unumwunden treu, ist aber vor allem dank ausgezeichneten Schauspiels auch auf Leinwand und im Fernsehen mehr als nur einen flüchtigen Blick wert. Das Ende lässt einiges offen und bietet genügend Anlass, sich einmal eingehender mit den moralischen Standpunkten auseinanderzusetzen, denn ein apodiktisches Urteil fällt der Film nicht. Damit bleibt am Schluss etwas stehen, wozu nicht viele Produktionen, besonders nicht jene mit heiklen Themen, den Mut aufbringen: Zweifel...
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