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    Der Mann, der niemals lebte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Mann, der niemals lebte
    Von Carsten Baumgardt

    Politisch ambitioniertes Kino hat es seit jeher schwer, ein Massenpublikum anzusprechen. Diese harte Lektion musste schon so mancher Topregisseur lernen. In diese Phalanx reiht sich nun auch Ridley Scott ein. Der virtuose Filmemacher überzeugt mit seinem exzellent inszenierten Polit-Actionthriller „Der Mann, der niemals lebte“ zwar, scheiterte in den USA aber an den Kinokassen trotz grandioser Besetzung.

    CIA-Agent Roger Ferris (Leonardo DiCaprio) ist mit allen Wassern gewaschen. Er agiert im Nahen Osten undercover, um seinem Land wichtige Informationen im Kampf gegen den Terrorismus zu verschaffen. Während Ferris vor Ort bei nahezu jeder Aktion Kopf und Kragen riskiert, steuert ihn sein Verbindungsoffizier Ed Hoffman (Russell Crowe) von Langley aus. Mit dem Mobiltelefon am Ohr und den Augen auf dem Satellitenschirm, der jede Bewegungen von Ferris erfasst, ist er stets live mit dabei. Als Europa von mehreren schweren Bombenanschlägen erschüttert wird, soll Ferris die Urheber aufspüren. Er versucht, das Netzwerk des Terrorchefs Al-Saleem (Alon Aboutboul) zu infiltrieren, jedoch ohne einen entscheidenden Schritt voranzukommen. In Jordanien sucht er deswegen die Zusammenarbeit mit Hani Salaam (Mark Strong), dem zwielichtigen Chef des jordanischen Geheimdienstes. Ferris muss Salaam vertrauen, um an Ergebnisse zu kommen. Doch sein Vorgesetzter Hoffman hat andere Pläne für die Operation. Verkompliziert wird die Mission zusätzlich, als Ferris sich in die Krankenschwester Aisha (Golshifteh Farahani) verliebt...

    „Ain’t nobody likes the Middle East, buddy. There’s nothing here to like.” – Ed Hoffman

    Die Welt ist im Wandel. Dieser Prozess, der mit den verheerenden Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 begann, ist immer noch nicht abgeschlossen – selbst wenn sich beide Seiten, die westliche Welt und Al-Kaida, mittlerweile in ihre Rollen eingefunden haben. Die Terrororganisation bildet weiterhin fleißig für den Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen aus, während die Amerikaner und ihr Gefolge die Netzwerke neben den offenen kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan und dem Irak mit Agenten und modernster Technik zu zerschlagen versuchen. Und genau davon erzählt Ridley Scott (Blade Runner, Alien, American Gangster) in seiner Verfilmung von David Ignatius‘ Roman „Der Mann, der niemals lebte“. Der Film beleuchtet den Alltag eines CIA-Undercover-Agenten - natürlich gerafft und überspitzt, aber dennoch mit einem realistischen Hintergrund. Wie wenig zimperlich die Geheimdienste rund um den Erdball vorgehen, lässt sich allein durch die Berichterstattung der öffentlichen Medien kaum nachvollziehen, weil die Aktionen, bei den denen ein Menschenleben nicht viel wert ist, meist im Verborgenen ablaufen. Agent Ferris, der fließend Arabisch spricht und sich so ein gewisses Maß an Vertrauen erwirbt, zögert in einer Szene zu Beginn keine Sekunde, einen potenziellen Informanten, der in die falschen Hände gerät, zu liquidieren. Damit setzen Scott und sein Drehbuchautor William Monahan (The Departed, Königreich der Himmel) gleich ein Zeichen: Hier wird nicht die Mär vom edlen Amerikaner erzählt, der die Welt wieder in die Fugen bringt. Es geht bis zu einem bestimmten Grad komplex und ambitioniert zu.

    Scotts Filme sehen immer exzellent aus. Das ist kein Geheimnis und trifft auch auf „Der Mann, der niemals lebte“ zu. Der Brite ist ein derart versierter filmischer Handwerker, dass er jedes Material in die perfekte äußere Form gießen kann. Nach actionlastigem Beginn nimmt Scott im Mittelteil einiges an Dampf raus, um Ferris‘ Arbeit und die angestrebte Infiltration so detailgetreu wie möglich zu schildern. Für zarte Gemüter ist das nichts. Die Folterszenen weisen eine schmerzlich hohe Intensität auf. Technische Gimmicks wie die fiebernden Bilder der Überwachungssatelliten, die Ferris‘ Aktionen bis in die CIA-Zentrale nach Langley tragen, sind bei Scott genau in den richtigen Händen, auch wenn diese Motive für das Genre nichts wirklich Neues mehr sind. Die Geschichte selbst bleibt dabei fiktiv, orientiert sich aber an der Realität und zeigt, wie sehr die USA trotz aller Bemühungen doch oft im Dunkeln tappen, weil sie fremde Kulturen einfach nicht verstehen (wollen).

    Kann sich ein Regisseur eine bessere Besetzung als Leonardo DiCaprio (Catch Me If You Can, Gangs Of New York, Aviator) und Russell Crowe (Todeszug nach Yuma, American Gangster, L.A. Confidential) wünschen? Kaum. Deswegen ist es umso ärgerlicher, dass nur einer der beiden Superstars die hohen Erwartungen erfüllt. DiCaprio, teils mit wildem Zauselbart, ist als harter, aber im Kern anständiger CIA-Hund in seinem Element und absolut perfekt besetzt. Zwar reicht er nicht an seine Karrierebestleistung in Blood Diamond oder seinen Auftritt in The Departed heran, trotzdem verpasst er seinem Roger Ferris, der sich im Kampf für sein Land zwischen alle Stühle setzt, das passende Profil. Obwohl er in Notsituationen nicht zögert, Menschen zu töten, ist Ferris‘ Gewissen noch halbwegs intakt. Er ist ein Agent der alten Schule, für den Partner noch etwas zählen und ein Wortbruch von Bedeutung ist. Er denkt sich in die Kultur seiner Gegenüber und respektiert sie.

    Crowe hinkt da mit seiner Leistung deutlich hinterher. Allerdings nicht, weil er sein riesiges schauspielerisches Potenzial nicht ausnutzt, sondern ihm ganz einfach keine Gelegenheit dazu gegeben wird. In den meisten Szenen ist er am Telefon zu sehen, wie er von den USA aus die Einsätze plant und begleitet. Das schränkt seinen Spielraum brutal ein. Ähnlich wie in Insider hat sich Crowe für die Rolle des zynischen CIA-Offiziers eine heftige Plauze angefuttert – allerdings ohne dass dies diesmal groß ins Gewicht fallen würde. Die Wortduelle der Stars haben trotzdem immer noch Qualität, weil Monahans Dialoge scharf und präzise sind und die Mimik sitzt. Dennoch spielt Crowe in seiner vierten Zusammenarbeit mit Ridley Scott mit gebremstem Schaum. Sein CIA-Hardliner der Bush-Ära führt den Krieg nach New-School-Methoden, ist völlig rücksichtlos, wenn es darum geht, Menschenleben auszulöschen. Außerdem pfeift er auf Verbündete, wenn sie seinem eigenen Erfolg nicht förderlich sind.

    Crowes zurückhaltende Darstellung wird jedoch von Mark Strong (Rock N Rolla, Babylon A.D., Sunshine) wieder wett gemacht. Der Engländer mit italienischem Vater und einer österreichischen Mutter glänzt als jordanischer Geheimdienstchef mit unterkühltem Charisma und klaut sich einige Szenen. Der zweite Co-Star Golshifteh Farahani (Half Moon) führt zum zweiten Schwachpunkt des Films. Die Iranerin wird als Love Interest von DiCaprio in die Geschichte eingebunden, was dessen Charakterzeichnung aber leider schwächt. Dass Ferris, für den es jeden Tag um Leben oder Tod geht, ohne Rücksicht auf Konsequenzen versucht, eine Affäre mit einer Araberin zu beginnen, ist schlicht unglaubwürdig und muss im dritten Akt dann auch noch als öde Plotkrücke herhalten.

    Fazit: „Der Mann der niemals lebte“ ist ein packender, düsterer Polit-Actionthriller, der seine eigenen Ambitionen zwar nicht ganz einlösen kann, aber einen interessanten Einblick in die Arbeit eines Post-9/11-Undercover-Agenten gibt.

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