„Ponyo, Ponyo, Ponyo sakana no ko“ tönte es im Juli 2008 fröhlich aus den japanischen Radios. Das vergnügliche Kinderlied aus dem Abspann des neuesten Animationswerkes aus dem Hause Ghibli hatte sich zum Hit gemausert und die erst achtjährige Nozomi Ohashi zur jüngsten Chartstürmerin des nordostasiatischen Inselreichs gemacht. Der schnörkellos-schöne Kindersong, der ganz ohne die nervige Penetranz des deutschen Schnappi-Phänomens zum landesweiten Ohrwurm wurde, spiegelt auf eindringliche Weise die Rückbesinnung des Regisseurs Hayao Miyazaki (Prinzessin Mononoke) auf die ganz junge Zielgruppe wieder. Mit überbordender Fantasie und einem feinen Gespür für kindliche Gefühlslagen präsentiert der Animationsgroßmeister mit „Ponyo - Das verzauberte Goldfischmädchen“ einen wunderbaren Film für die Kleinen und für all die Erwachsenen, die sich ein kindliches Gemüt bewahrt haben und sich auf die bunte, faszinierende Welt des Zeichentrickmagiers einlassen.
Das magisch begabte Fischmädchen Brunhilde möchte die Welt außerhalb des Meeres kennenlernen und schafft es eines Tages unbemerkt von ihrem Zauberervater Fujimoto mit Hilfe einer Qualle bis an die Wasseroberfläche. Doch dort verfängt sie sich in einem Marmeladenglas, aus dem ihr der aufgeweckte Junge Sosuke heraushilft. Der Fünfjährige ist von dem Fischgeschöpf, das er als Goldfisch bezeichnet, sofort angetan, tauft es auf den Namen Ponyo und nimmt es in einem mit Wasser gefüllten Eimer mit zur Grundschule. Menschenjunge und Fischmädchen freunden sich an, doch dann wird Ponyo von ihrem erzürnten Vater ins Meer zurückgeholt. Sie möchte aber unbedingt bei ihrem geliebten Freund Sosuke an der Oberfläche bleiben und selbst ein Menschenkind werden. Unter Missachtung der gefährlichen Konsequenzen setzt sie ihre magischen Kräfte ein, um zu Sosuke und seiner resoluten Mutter Lisa zurückzukehren.
Die zehnte Regiearbeit von Hayao Miyazaki hielt sich fünf Wochen an der Spitze der japanischen Kinocharts und eroberte die Herzen von Kritikern und Publikum bei den Filmfestspielen von Venedig 2008 im Sturm. Sie versprüht den gleichen kindlichen Charme und die ansteckende fröhliche Leichtigkeit wie der ebenfalls von Miyazaki und seinem Animationsstudio Ghibli stammende Kinderfilmklassiker „Mein Nachbar Totoro“. „Ponyo“ kommt gänzlich ohne CGI-Effekte in guter alter Animationskunst dahergeschwommen und dem staunenden Zuschauer wird eine unglaublich detailreiche Unterwasserwelt in Pastellfarben präsentiert, in der es von Kleinstlebewesen nur so wimmelt. Die einnehmenden Bilder mit ihren faszinierenden Einzelheiten werden von der ebenso abwechslungs- und einfallsreichen Musik von Joe Hisaishi wunderbar umspült, dessen Repertoire diesmal von einer Opernarie über einen pompösen Orchestersturm bis hin zum fidelen Kinderlied reicht.
Anders als beim vielleicht etwas überladenen Das wandelnde Schloss und beim Goldenen-Bären-Gewinner Chihiros Reise ins Zauberland konzentriert sich Miyazaki bei seinem neuesten Werk auf eine gradlinige, ganz und gar kindgerechte Geschichte um Freundschaft, Solidarität und kindliche Verlustängste. Dabei stellt er mit seiner sehr freien Version von Hans Christian Andersens berühmter Märchenerzählung „Die kleine Meerjungfrau“ ein weiteres Mal sein Händchen für die Verbindung von alltäglichen Szenen und Fantasieelementen unter Beweis – und auch die ökologische Botschaft darf natürlich nicht fehlen.
Besonders der erste Teil des Films, in dem die Welten unter und über der Meeresoberfläche vorgestellt werden und sich die beiden Protagonisten kennenlernen, ist begeisterndes Kino. Die etwas übertriebene Dramatisierung gegen Ende sowie die verwunderliche Naivität, mit der die prekären Umweltumwälzungen und ihre Folgen behandelt werden, mögen allerdings nicht jedermanns Sache sein. Nach dem angedeuteten Schreckensszenario einer Klimakatastrophe wirkt das versöhnliche Ende etwas aufgesetzt.
Ponyo und Sosuke sind perfekte Identifikationsfiguren für das ganz junge Publikum, in denen sich das ungeheure Gespür des Regisseurs für die Verhaltensweisen und Denkmuster von Kindern manifestiert. Auch ältere Semester werden kaum anders können als die beiden niedlichen Protagonisten ins Herz zu schließen, auch Susokes temperamentvolle Mutter Lisa und die alten Frauen im Heim verdienen dort einen Ehrenplatz. Dabei ist die Animation der Charaktere etwas einfacher gehalten als bei den vorherigen Filmen Miyazakis, die Figuren haben aber nichts an Lebendigkeit eingebüßt und fügen sich hervorragend in die detailreichen Hintergründe ein.
Für den kleinen Sosuke stand Miyazakis Sohn Goro Pate, die ewige Abwesenheit des auf einem Schiff arbeitenden Vaters reflektiert das schlechte Gewissen des ebenfalls nur wenig Zeit mit seinem Kind verbringenden Regisseurs. Ponyo erinnert in ihrer Menschengestalt dagegen nicht nur optisch stark an die kleine Mei in „Mein Nachbar Totoro“: Beide Mädchen lösen mit ihrem unbändigen Wunsch einem geliebten Menschen nahe zu sein, eine unbeabsichtigte Ereignislawine aus. Während Mei zu ihrer todkranken Mutter aufbricht und durch ihr plötzliches Verschwinden für Aufruhr sorgt, bringt Ponyo durch ihren magischen Alleingang gleich das gesamte ökologische Gleichgewicht durcheinander. Dass selbst die erst einmal griesgrämig erscheinenden Rollstuhlladys und die zwielichtigen Zauberer letztlich ambivalente Figuren sind, die eigentlich nichts Böses im Schilde führen, entspricht einmal mehr der löblichen Ghibli-Philosophie, nach der simple Schwarz-Weiß-Malerei tunlichst zu vermeiden ist.
„Ponyo“ ist ein wunderschönes Kindermärchen, das mit seinen liebevoll entworfenen Figuren und seiner detailreichen, fantasievollen Meereswelt selbst bei den Großen noch kindliche Freude zu entfachen vermag, trotz - oder vielleicht auch gerade wegen - seiner großen Naivität. Und am Ende summen alle Generationen einvernehmlich vergnügt mit, wenn der einprägsame Abschlusssong „Gake no ue no Ponyo “ erklingt.