Als Autorenfilmer ist Zack Snyder bislang nicht in Erscheinung getreten – „Dawn of the Dead", „300", „Watchmen" und „Die Legende der Wächter" waren allesamt Adaptionen. Mit seinem ersten Originalstoff will der Kino-Ästhet nun also zeigen, was wirklich in ihm steckt; zeigen, dass er nicht nur auf bereits etablierten Marken riffen kann, sondern eine eigene Vision hat. Bei der US-Kritik ist „Sucker Punch" durchgefallen, auch die Box-Office-Zahlen nach dem Startwochenende in den Staaten blieben weit hinter den Erwartungen zurück – bei einem Budget von 82 Millionen Dollar muss ein Einspiel von 19 Millionen als ernüchternd gelten. Und fürwahr, „Sucker Punch" ist keineswegs perfekt. Snyder setzt seinem Publikum ein so aufreizendes wie charakterloses Mädchen-Quintett vor und hofft darauf, dass das Schicksal so hübscher Gesichter doch bitte zu interessieren habe. Nicht alle fünf Mädels kommen ungeschoren aus seinem Action-Parcours heraus - wer hier ins Gras beißt, ist dabei vollkommen schnuppe. Wohl aber erweist sich Snyder als Autor mit einer klaren Stimme: „Sucker Punch" ist eine scharfsinnige Beobachtung zur Vereinnahmung der Frau durch eine von Männern entworfene Popkultur, ein berauschend inszeniertes Gender-Essay – kurz: einer der mutigsten, ehrlichsten und intelligentesten Mainstream-Filme der vergangenen Jahre.
Amerika, irgendwann in den 1960ern: Nach dem Tod ihrer Mutter wird Babydoll (Emily Browning) vom bösartigen Stiefvater (Gerard Plunkett) in die Obhut des lüsternen Irrenhaus-Aufsehers Blue Jones (Oscar Isaac) übergeben. Unter Blues Aufsicht soll das Mädchen einer Lobotomie unterzogen und damit endgültig kaltgestellt werden. Gemeinsam mit ihren vier Leidensgenossinnen Sweet Pea (Abbie Cornish), Blondie (Vanessa Hudgens), Rocket (Jena Malone) und Amber (Jamie Chung) feilt Babydoll an einem Fluchtplan. Doch die Zeit drängt – bis zur Ankunft des Chirurgen (Jon Hamm) bleibt den Mädchen kaum mehr eine Woche. Um der harschen Realität zu begegnen, phantasiert sich Babydoll in eine Traumwelt, in der sie das Asylum als Stripclub erlebt. Doch auch dort unterliegt sie der männlichen Übermacht. Unter der Anleitung ihrer als Tanzlehrerin wahrgenommenen Therapeutin Dr. Vera Gorski (Carla Gugino) taucht Babydoll einmal mehr ab - in eine groteske Phantasiewelt, in der sie sich ihren Häschern mit brachialer Waffengewalt und unbedingtem Siegeswillen stellt...
Ein machthungriges Männer-Scheusal vergreift sich an seiner Schutzbefohlenen, erklärt sie zur Deckung seiner Missetaten für unzurechnungsfähig und schmiert den Asylumsleiter, um eine Hirn-OP wider angebliche Psychosen durchzudrücken. Während die Kleine ihrer Lobotomie harrt, flüchtet sie sich in eine Kompensationsphantasie, in der die Irrenanstalt zum Edel-Bordell umgedacht wird – dort hat sie kraft ihrer Weiblichkeit wenigstens noch erotische Macht über ihre Häscher, zum hohen Preis ihrer Objektivierung. Wer bei „Sucker Punch" auf ein unkompliziertes Action-Vergnügen hofft, wird die Enttäuschung vieler US-Kritiker teilen. Von der ersten Minute an feuert Snyder aus vollen Thema-Rohren – sein Film läuft über vor unbequemen Ideen zum ungleichen Kampf der Geschlechter. Einen Namen hat seine Protagonistin nicht, im Zuge ihrer Fetischisierung wird sie Babydoll getauft und damit zum hilflos ausgelieferten Spielzeug entwürdigender Gelüste erklärt.
Dass die Lobotomie in Babydolls burlesken Bordell-Tagträumen als drohende Entjungferung durch einen Elite-Kunden verstanden wird, ist nur folgerichtig. Die maskuline Machtausübung ist hier durchweg sexuell konnotiert. Und dann folgt die dritte Realitätsebene, der anachronistische Kopfsprung in männlich besetzte Popkultur-Bilder, oder besser: Entertainment- und Videospiel-Entwürfe, die Babydoll den Bordell-Kunden und -Betreibern wie ein brachiales Musical vortanzt, um sie zu hypnotisieren. Fünf Gegenstände müssen Babydoll und ihre Gefährtinnen in diesen Parallelwelten bergen. Fünf Level müssen sie bestehen, fünf Endgegner besiegen. Doch das fünfte Missionsziel ist ein Mysterium, nur vier Artefakte sind physischer Natur: Eine Karte zur Orientierung, Feuer zur Ablenkung, eine Klinge zur Selbstverteidigung und ein Schlüssel zur Befreiung. Dafür muss das Mädchen-Quintett vier Kriegsschauplätze überleben und die Sprache sprechen, die in männlichen Großmachtsphantasien - Martial Arts, Weltkrieg, Fantasy-Schlacht und Cyber-Gekloppe – gesprochen wird.
Scharfsinnig stellt Snyder einen peinlichen Irrtum bloß: Die „Tomb Raider"-Revolution hat nie stattgefunden, Lara Croft war nie eine Power-Emanze. Sie war und ist ein Spielzeug. Nach Gutdünken konnten männliche Spieler ihre stets von hinten erfasste und lüstern unter Schmerzen stöhnende Heroine zum Erfolg oder in dunkle Abgründe treiben. Mit seinen grotesk überzeichneten Effektgewitter-Actionsequenzen bildet Snyder diese Vereinnahmung ab – und ist dabei bewundernswert aufrichtig. Ja, es ist ein infantil-voyeuristischer Hochgenuss, knapp bekleidete Mädchen beim Zusammenschießen von Samurai-Ungeheuern, Zombie-Soldaten und finsteren Orks zu beobachten. Snyder betont, er wolle damit keine verhohlene Sexphantasie, sondern bloß tatsächliche Entertainment-Entwürfe auf die Leinwand projezieren.
Ein flüchtiger Blick in die aktuelle Videospiel-Landschaft von „Call Of Duty" bis „God Of War" genügt, um Inspiration und Legitimation der überstilisierten Action-Szenarien auszumachen. Der Mann Snyder klagt nicht an, wenn er diese Bilder via Hochglanz-Ästhetik umsetzt - er akzeptiert und betont ihr Faszinosum. „Sucker Punch" ist eine ehrliche Bestandsaufnahme: So sieht unsere Unterhaltungskultur aus, und nur so befriedigt sie unsere eskapistischen Bedürfnisse; im Klartext: unsere Machtphantasien. Und dann unterläuft dem Autor Snyder ein Fehler, der „Sucker Punch" vom potentiellen Meisterwerk zum auf hohem Niveau gescheiterten Kunstwerk abstürzen lässt. Ausgerechnet im Gender-Minenfeld macht sich Snyder chauvinistischer Verirrung schuldig, indem er Babydoll und ihren Kameradinnen keine Persönlichkeit zugesteht. Seine Mädchen sind Schablonen, sind kaum mehr als Schachfiguren in einem Thesenspiel. Sie kämpfen als sexualisierte Frauen, nie aber als Menschen mit eigenen Geschichten, und werden so auf ihre Weiblichkeit reduziert.
Wie viel zielsicherer hätte der „Sucker Punch" eingeschlagen, hätte Snyder seinem Publikum einen Grund zum Mitfiebern angereicht! Das Schicksal der unterentwickelten Figuren involviert zu keinem Zeitpunkt. „Sucker Punch" ist das Gegenteil eines Schauspielerfilms. Hier zählen Thesen, Effekte und Konstrukte, während Protagonisten und Antagonisten gleichermaßen kalt lassen. Emily Browning taumelt zwischen Opfer-Agonie und amazonischer Kampfeslust, ohne ihre Babydoll über den sprechenden Namen hinaus vertiefen zu können. Ihren vier Kolleginnen geht es nicht besser – vor allem Vanessa Hudgens bekommt unter Snyders Regie keine noch so kleine Chance, sich von ihrem „High School Musical"-Image freizuspielen. Eine echte Schande ist auch, wie achtlos Jon Hamm verschenkt wird. Der umwerfend charismatische „Mad Men"-Star wird auf wenige Leinwandminuten zurechtgestutzt und dient bestenfalls als Stichwortgeber.
Snyders Kartenhaus bricht damit jedoch keineswegs in sich zusammen. Der frischgebackene Autorenfilmer hat etwas zu sagen, etwas von großer Bedeutsamkeit. Dass es dieser ambitionierte, phasenweise fehlgeleitete, in jedem Fall aber achtungswürdige Versuch einer Gender-These überhaupt auf die Leinwand geschafft hat, ist ein Triumph für das originelle Mainstream-Kino. Nach „Sucker Punch" geht „Style over substance" nicht länger als Vorwurf an Snyder durch. Zwar hat er sich im Detail verhoben, sein „Substance via style"-Konzept ist keineswegs wasserdicht. Und doch hat er unter all den glattgebügelten Hollywood-Spektakeln à la Michael Bay, Jerry Bruckheimer und, ja, auch James Cameron einen Spektakel-Streifen mit Sprengkraft und Reibungsfläche untergebracht. „Sucker Punch" ist nicht perfekt – dass Zack Snyder eine Stimme abseits adaptierter Stoffe hat, ist jedoch nicht länger bestreitbar.