Hunter S. Thompson gilt als Begründer des sogenannten Gonzo-Journalismus, einer Art von Journalismus, bei der auf eine objektive Schreibweise verzichtet wird und der Autor seine eigene Meinung in den Text mit einfließen lässt. Thompson war nicht nur Reportage-Journalist, sondern verfasste auch einige Romane, von denen (namentlich) „Fear and Loathing in Las Vegas“ am meisten bekannt sein dürfte. Kein Wunder, schließlich fand die durchgedrehte Geschichte um den dauberbekifften Gonzo-Journalisten Raoul Duke und seinen bierbäuchigen Freak-Anwalt 1998 ihren Weg auf die große Leinwand. Seitdem wird Terry Gilliams wilder Drogentrip von einem Film als Kult gehandelt und sollte im Regal eines jeden Filmfreundes nicht fehlen. Johnny Depp, der bis zu Thompson Freitod auch privat mit ihm befreundet war, mimte bereits in „Fear and Loathing in Las Vegas“ die Hauptrolle und ist ebenfalls in „The Rum Diary“ wieder mit von der Partie. Die neueste Hunter S. Thompson-Verfilmung bleibt jedoch hinter den Erwartungen zurück. Regisseur Bruce Robinson serviert einen durchaus schmackhaften Drogen-Cocktail, der aber im Endeffekt leider nur halb so gut zudröhnt wie einst „Fear and Loathing in Las Vegas“.
Johnny Depp ist ein Weltstar, der bestbezahlte Schauspieler aller Zeiten (es wird gemunkelt, für den vierten Teil der „Pirates of the Caribbean“-Reihe erhielt er über 50 Millionen Dollar Gage) und zurzeit auch der größte Publikumsliebling überhaupt. Sein Problem: der ständige Wiederholungswert. Besonders im letzten Teil der Piraten-Erfolgsreihe, „Fremde Gezeiten“, machten sich erste Abnutzungserscheinungen an Depps Kultfigur, dem exzentrischen Captain Jack Sparrow, bemerkbar. Auch die Stereotypen in den jährlichen Tim Burton-Produktionen werden auf die Dauer einfach ermüdend. Insofern möchte ich Herrn Cherkowskis Kritik zustimmen, denn Depp liefert in „The Rum Diary“ seine schauspielerisch beste Leistung seit einigen Jahren ab. Als trinkfester Journalist Paul Kemp (der in Hunter S. Thompsons gleichnamigem Roman an den Autor selbst angelehnt ist) ist Depp mehr als bloß überzeugend, denn Kemp ist facettenreich, auf seine nüchterne (! :D) Art äußerst liebenswert und macht im Laufe des Films eine interessante Entwicklung durch. Da Depp den Film fast ausnahmslos auf seinen Schultern trägt, kommen nur wenige der Nebendarsteller richtig zum Zug. Michael Rispoli erfüllt den Part des rüstigen Sympathieträgers genauso solide, wie „The Dark Knight“-Star Aaron Eckhart den schmierigen Multimillionär geben kann. Amber Heard zieht da schon ein paar mehr Blicke auf sich – wenn auch mehr dank ihrer engelsgleichen Erscheinung, anstatt einer wirklich nennenswerten schauspielerischen Leistung. Fehlendes Potenzial kann man ihr nicht nachsagen, um dieses jedoch völlig auszuschöpfen, reicht die Darstellung des leicht bekleideten Geldhäschens leider nicht. Am interessantesten ist da noch Giovanni Ribisi, der als verschrobener Säufer in seinem versifften Outfit und mit röchelnder Kettenraucherstimme eine herrlich schräge Figur abgibt.
„The Rum Diary“ krankt hauptsächlich daran, dass er sich trotz großartiger Einzelszenen nie wirklich wie eine runde Sache anfühlt. Wenn Paul (Depp) und Bob (Rispoli) sich die neueste Augentropfen-Droge reinziehen, Bobs Zunge im wahrsten Sinne des Wortes mutiert und die beiden daraufhin völlig high über den Sinn des Lebens philosophieren, dann wird das nicht nur dem Geist eines Hunter S. Thompson gerecht, sondern ist auch noch verdammt witzig. Leider werden diese kultigen Fragmente nur lose durch das Gerüst der flachen Story zusammengehalten – sowohl die krummen Geschäfte von Sanderson (Eckhart), als auch die dürftige Love-Story sind nicht besonders geschickt in den „Wir saufen uns die Hucke zu“-Plot integriert.
Fazit: „The Rum Diary“ wartet mit einer Reihe gut aufgelegter Darsteller auf, allen voran Johnny Depp, der sich für seinen mutigen Schritt aus dem Mainstream heraus ein anerkennendes Schulterklopfen verdient. Der Film unterhält dank grandioser Einzelszenen prächtig und hat den einen oder anderen Lacher auf seiner Seite, fühlt sich im Endeffekt aber nicht wie ein flüssiges Ganzes an und stößt nicht mal ansatzweise in die Sphären des großartigen „Fear and Loathing in Las Vegas“ vor. Der Film schickt einen mitten hinein ins Fledermaus-Land – einen Kofferraum voller Drogen und eine schicke Fliegenklatsche gibt er einem aber leider nicht mit auf den Weg.