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    Doomsday - Tag der Rache
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Doomsday - Tag der Rache
    Von Carsten Baumgardt

    Denn sie wissen nicht, was sie tun… Diesen Vorwurf muss sich die Produktionsfirma von „Doomsday“ gefallen lassen. Wer auf die kühne Idee kommt, Neil „The Descent“ Marshall ein stattliches 30-Millionen-Dollar-Budget zu bewilligen und ihm künstlerisch ganz offensichtlich völlig freie Hand zu lassen, muss sich anschließend nicht wundern, wenn das Endprodukt eigenwillig ausfällt. Denn „Doomsday“ ist ultra-kompromissloses, schmerzhaft masseninkompatibles Genrekino. Der Endzeit-Horror-Actioner wurde von der konservativen US-Kritik erwartungsgemäß wenig pfleglich behandelt und floppte in den USA. Marshall pfeift mit seinem schädel- wie publikumsspaltenden Inferno so laut es eben geht auf die Etikette und wechselt in wunderbar respektlos-ironischer Art und Weise in irrem Tempo die Schauplätze und Stimmungen.

    April, 2008: In Glasgow bricht das tödliche Reaper-Virus aus, das sich rasend schnell verbreitet. Die britische Regierung greift zur drastischsten aller Maßnahmen, zieht – allen außenpolitischen Konsequenzen zum Trotz - einen riesigen Schutzwall um Schottland und riegelt die dahinsiechenden Bewohner hermetisch von der Außenwelt ab, selbst der Luftraum wird gesperrt. Die Rechnung scheint aufzugehen, bereits nach wenigen Monaten erlöschen auch die letzten Feuer der ehemaligen Zivilisation hinter den Mauern. 2035: Das ausgerottet geglaubte Virus taucht in London wieder auf und droht, das Vereinte Königreich ins Chaos zu stürzen. Der britische Premierminister John Hatcher (Alexander Siddig) beauftragt seinen skrupellosen Sonderberater Michael Canaris (David O‘Hara), eine Eliteeinheit nach Glasgow auszusenden, um dort nach einem Heilmittel für das Virus zu suchen. Das Militär hat jüngst Anzeichen von menschlichem Leben in der ehemaligen schottischen Metropole lokalisiert. Hier soll ein Team um Major Eden Sinclair (Rhona Mitra) den renommierten Virusexperten Kane (Malcolm McDowell) ausfindig machen. Doch die Begrüßung der Regierungstruppe im konterminierten Schottland fällt weniger freundlich denn barbarisch aus. Im Niemandsland hat sich unbemerkt eine wilde, hochexplosive Punk/Kannibalen-Subkultur entwickelt, der sich Sinclair und ihre Mannen mit aller Gewalt und ohne Rücksicht auf Verluste stellen müssen...

    Frei nach dem Motto „gut geklaut ist besser, als schlecht selbsterfunden“ schreitet Indie-Horrorhoffnung Neil Marshall („Dog Soldiers“, „The Descent“) selbstbewusst zur Tat und zeigt der Welt, wo der britische Barthel den Most holt. Er entfesselt mit „Doomsday“ ein vogelwildes Hochgeschwindigkeitsgewaltfest, das in puncto Tempo und Spaß vieles, was in den vergangenen Jahren auf dieser Schiene fuhr, pulverisiert. Marshall bedient sich zwar beidhändig im Raritätenfundus der Endzeitabteilung der Filmgeschichte, komponiert daraus aber anstatt eines Plagiats eine huldvolle Hommage an die Genrevorbilder. Ungeniert nennt der Brite zwei seiner Elitesoldaten gleich mal „Miller“ und „Carpenter“, womit wir schon bei Mad Max und Die Klapperschlange sind. Der Rest mixt sich aus Teilen von 28 Days Later bzw. 28 Weeks Later und Resident Evil zusammen. Doch damit nicht genug der Raserei, Marshall fährt noch ganz andere Geschütze auf, zaubert zwischendrin urplötzlich ein Mittelaltersetting à la Die Herr der Ringe - Trilogie inklusive einer modernisierten Zwergenbingen-Variante aus dem Hut auf die Leinwand – das alles lässt er zeitweise von einem an John Carpenter orientierten Synthiescore begleiten.

    Wer bereit ist, sich auf diesen absurden Wahnsinnstrip einzulassen, wird mit grandiosen Schauwerten und Sperrfeueraction in irrwitzigem Schlagrhythmus entlohnt. Obwohl der Spaß am Spektakel regiert, zuckt Regisseur Marshall vor nichts und niemandem zurück. „Doomsday“ schlägt eine knüppelharte Gangart an, Schädel werden gespalten, ganze Heerscharen bös niedergemäht und Köpfe rollen im Dutzend billiger - nicht nur sinnbildlich. Dieser farceartigen Kick-Ass-Action steht genau die richtige Heroine vor. Rhona Mitra (Skinwalkers, The Number 23, Shooter) stellt gleich einmal klar, dass sie Kate Beckinsale im Underworld-Prequel mehr als würdig vertreten wird. Die sexy Engländerin gibt als weibliche Snake-Plissken-Variante die coolste Heldin der jüngeren Genregeschichte, die den Vergleich zu Milla „Resident Evil“ Jovovich keineswegs zu scheuen braucht.

    Aus der Reihe der Sidekicks sticht zuvorderst David O’Hara (Departed, Hotel Ruanda) als zwielichtiger Berater des Premierministers heraus. Nicht nur mit seiner Präsenz und seinem spröden Schrotflintencharisma, sondern auch mit seiner unglaublichen Reibeisenstimme, die - unterstützt durch einen strammen schottischen Akzent - in der Lage scheint, allein mit dem Klang des Organs Menschenknochen zu brechen. Bob Hoskins (Stay, Falsches Spiel mit Roger Rabbit) hat als Eden Sinclairs väterlicher Mentor zwar nicht allzu viele Momente, füllt diese aber ansprechend mit Sympathie. Edens Gegenspieler im Inneren der Mauern wird von Craig Conway (The Descent) als maßloser Tyrann gespielt, der Overacting als Konzept betreibt. Etwas enttäuschend fällt dagegen der kurze Auftritt von Uhrwerk Orange-Legende Malcom McDowell (Halloween, „Heroes“) aus, der recht blass bleibt.

    Marshall arrangiert seine Splatterorgie mit der nötigen Portion Ironie und garniert sie mit gehörigem Sarkasmus. Doch noch viel mehr schert sich der Regisseur einen Dreck um Konventionen, was der Marketingabteilung schlaflöse Nächte bereitet haben muss. Die Helden quarzen quasi um die Wette und bemühen sich auch sonst keine Sekunde um politische Leinwandkorrektheit.

    Fazit: Frischer Wind unter der Donnerkuppel. Neil Marshall tritt dem Mainstream dermaßen in den Hintern, dass dessen Stammpublikum pikiert zurückkeilt – nämlich mit zahlreichem Nichterscheinen in den amerikanischen Lichtspielhäusern. Aber selbst wenn es mutmaßlich auf absehbare Zeit das letzte Mal sein sollte, dass Indie Marshall mit solch einem fürstlichen Budget an den Start gehen durfte, ist „Doomsday“ für Genrefans ein atmosphärisches Trashfest, das es zu feiern gilt. Dieses brachiale Inferno duldet keinen Stillstand, gibt Vollgas bis in den Abspann. Und wer unter der Oberfläche intelligente Gesellschaftskritik erwartet, sitzt im falschen Film. Dass die Details der Handlung überhaupt keinen Sinn machen und die Logik kaum einem Hinterfragen standhält, versteht sich in diesem Zusammenhang fast von selbst. Marshall destilliert einen Unterhaltungscocktail, dessen Reinheit Maßstäbe setzt. Keine störenden Anflüge von Anspruch oder Subtext: nur Action, Tempo und von der Leine gelassener Wahnwitz. Großartig.

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