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    Deutschland. Ein Sommermärchen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Deutschland. Ein Sommermärchen
    Von Jürgen Armbruster

    Der Sommer 2006 war die Zeit, in der sich was drehte. Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land. Von den unerwartet betörenden Auftritten der eigenen Nationalmannschaft in einen kollektiven Rausch versetzt, feierte ganz Deutschland sich selbst und seine Klinsmänner. Die größte Leistung erbrachten Ballack, Klose, Lehmann und Co dabei nicht auf dem Spielfeld. Viel höher ist ihnen anzurechnen, was sie in den Herzen der Deutschen auslösten. Endlich einmal kein gestörtes Verhältnis zur eigenen Nationalität. Auf einmal war es salonfähig, die deutsche Nationalhymne lauthals und mit Inbrunst mitzugrölen. Kaum ein Auto oder Vorgarten ohne Flagge. Schwarz-Rot-Gold, wohin man blickte. Oder eben „Schwarz-Rot-Geil“, wie eine große Boulevard-Zeitung titelte.

    „Ich habe mir ein Beispiel an den Tierfilmern genommen und mich langsam rangeschlichen an die Spezies Fußballnationalspieler. […] Irgendwann war ich so assimiliert, dass sie gar nicht gemerkt haben, dass ich da war.“ (Sönke Wortmann, Kicker vom 25.9.2006)

    Was sich in Deutschlands Straßen und Häuser während der WM 2006 abspielte, hat sicherlich jeder noch in lebhafter Erinnerung. Ein kleines Geheimnis ist bisher allerdings noch, wie die deutschen Bundes-Kicker dieses vermeintliche Turnier ihres Lebens selbst erlebt haben. Außer hohlen, wenig aussagekräftigen Phrasen und kleinen Details ist darüber bisher wenig Wissenswertes berichtet worden. Doch dank Sönke Wortmann (Das Wunder von Bern) ändert sich dies nun. Die Idee zu „Deutschland. Ein Sommermärchen“ hatte der ehemalige Regionalliga-Fußballer Wortmann, als er 2002 „Les Yeux Dans Les Bleus“ von Stéphane Meunier gesehen hatte. Meunier begleitete 1998 die französische Nationalmannschaft mit seiner Kamera auf dem Weg zum Titelgewinn und bastelte aus dem gefilmten Material später eine Dokumentation. Wortmann machte genau dasselbe. Er begleitete die deutsche Nationalmannschaft über Monate hinweg und war dabei stets nah am Team. Er beobachtete das Training, nahm an Mannschaftssitzungen teil und durfte sogar während der Spiele mit in die Kabinen. Grenzen gab es für ihn keine. In der Summe kam so rund 100 Stunden gedrehtes Material zusammen.

    „Natürlich hatte ich Hemmungen, die weinenden Spieler zu filmen. Ich fühlte mich ja selbst völlig leer. Aber ich musste mich überwinden. Ich kann ja nicht nur filmen, wenn das Team feiert.“ (Sönke Wortmann, TV Digital vom 22.9.2006)

    Als Einstieg wählt Wortmann den emotional bittersten Moment der Weltmeisterschaft. Tränen und leere Blicke der Spieler und Betreuer zeugen von der tragischen Halbfinal-Niederlage am 4. Juli in Dortmund gegen Italien. Der Traum war zerplatzt. Doch nach diesem kurzem Vorgriff geht es fortan streng chronologisch weiter. Nur kurze, mit Jürgen Klinsmann im August gefilmte Interview-Passagen unterbrechen hier und da die Reise vom Regenerations-Trainingslager in Sardinien bis zur Verabschiedung von den Anhängern am 9. Juli auf der Berliner Fan-Meile. Dabei bekommt der Zuschauer Einblick in alle Bereiche des Alltags der Nationalspieler: Der sich anbahnende Lagerkoller während der langen Vorbereitung, das akribische Einstellen auf den Gegner, die Anspannung vor dem Spiel und die anschließende Erholung. Was „Deutschland. Ein Sommermärchen“ erstmals offenbart: Die Genialität des Motivators Klinsmann sucht seinesgleichen. Gerade seine Ansprachen vor den Spielen sind ganz große Gänsehaut-Momente. Es sind jedoch nicht nur die Großen, die zu Wort kommen. Vom Zeugwart bis zum Busfahrer, vom Physiotherapeut bis zum Fitnesstrainer: Jedes Mitglied des Betreuerstabes hat seinen Teil zum Ganzen beigetragen und bekommt hier seinen kurzen Auftritt.

    „Wirkliche Überraschungen gab es eigentlich nicht und konzipieren kann man bei so einem Projekt auch nicht sehr viel. Man läuft immer der Realität hinterher und versucht so gut es geht, auf gleicher Höhe mit ihr zu bleiben. Und man muss das Glück haben, zur Stelle zu sein, wenn etwas passiert.“ (Sönke Wortmann)

    „Deutschland. Ein Sommermärchen“ ist kein Unterhaltungsfilm. Wer dies erwartet hat wird ebenso enttäuscht sein wie all jene, die auf einer Aneinanderreihung ergreifender Momente hofften. Auf Off-Kommentare verzichtete Wortmann genau so, wie auf irgendwelche erläuternden Einblendungen. Den Gesichtern sollte der Zuschauer also schon selbst einen Namen zuordnen können. Die angenehme, überraschend nüchterne Erzählweise zwingt den Zuschauer oftmals nahezu in die Rolle des neutralen Beobachters. Sicherlich kommt auch der Unterhaltungswert nicht zu kurz (nicht nur Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski sind zwischendurch immer wieder für einen Lacher gut), aber nichts desto trotz ist „Deutschland. Ein Sommermärchen“ genau das geworden, was es immer sein wollte: Eine sachliche Dokumentation über ein zwei Jahre andauerndes Projekt, das letztlich jedoch nicht vom gewünschten Erfolg gekrönt wurden. Vielleicht ergibt sich daraus dann auch die einzig echte Schwäche des Film: Womöglich mangelt es ein wenig an dem großen, emotionalen Höhepunkt. Aber dieser Punkt ist im Grunde Makulatur. Wortmann war beim Schnitt auf die tatsächlichen Geschehnisse angewiesen. In sofern auch kein großer Vorwurf, sondern nur eine leise Anmerkung.

    „Jeder Spieler hat den Film gesehen. Abgemacht war, dass wir noch einmal reden, falls es Stress gibt. Aber keiner hat sich gemeldet. Spieler wie Kahn hatten mir allerdings auch vorher gesagt: ‚Wenn wir das machen, dann soll aber auch alles drin bleiben!’ Diskussionen gehören dazu.“ (Sönke Wortmann, TV Digital vom 22.9.2006)

    Besonders lobenswert ist darüber hinaus noch, dass Wortmann auch die weniger schönen Szenen mit in den Film aufgenommen hat: Das Streitgespräch im Mannschaftsrat, um eine abschließende Reise nach Berlin ist dabei besonders hervor zu heben. Ein Teil der Erlöse von „Deutschland. Ein Sommermärchen“ wird übrigens den SOS-Kinderdörfern gestiftet, aber das wurde sowohl von den Spielern, als auch der FIFA als Bedingung gemacht, damit Wortmann den Film überhaupt drehen durfte. Trotzdem auch noch ein Lob dafür. Unterm Strich ist der Wortmann vielleicht nicht der ganz große Wurf gelungen, vielleicht nicht der absolute Pflichtbesuch im Kino. Zumal bereits im Dezember eine Ausstrahlung im TV erfolgen wird. Aber jeder, der sich nochmals an den wunderbaren Fußball-Sommer 2006 zurück erinnern möchte und dabei auch einmal einen etwas anderen Blick auf ein solches Turnier werfen möchte, dem sei „Deutschland. Ein Sommermärchen“ wärmstens ans Herz gelegt. Link-Tipp: CD-Kritik „Deutschland. Ein Sommermärchen“-Soundtrack

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