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    1 Mord für 2
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    1 Mord für 2
    Von Martin Thoma

    Bis einer weint. Zwei erwachsene Männer, ein junger mittelloser und ein reicher alter, spielen miteinander, und es ist ihnen sehr ernst damit. Der Gegner soll am Ende weinen, mindestens das. Es geht um eine Frau, die noch mit dem einen verheiratet, aber die Geliebte des anderen ist. Doch die Frau spielt keine Rolle. Wer ist am erfindungsreichsten darin, den Rivalen zu demütigen? Darum geht es wirklich. Der Thriller „1 Mord für 2“ basiert auf einem Theaterstück von Anthony Shaffer, das 1972 schon einmal erfolgreich mit Laurence Olivier und Michael Caine in den Hauptrollen verfilmt wurde (deutscher Titel damals: Mord mit kleinen Fehlern). Für das aktuelle Remake hat kein Geringerer als Literaturnobelpreisträger Harold Pinter das Drehbuch geschrieben. Regie führte der auch nicht ganz unbekannte Kenneth Branagh, als Filmregisseur Spezialist für die Adaption von Shakespearestücken („Henry V“, „Viel Lärm um nichts“, „Hamlet“). Die beiden Rivalen werden von Jude Law und erneut von Michael Caine verkörpert, nur dass Letzterer diesmal die Rolle des älteren übernommen hat. Auf dem Papier sieht das alles fast ein bisschen zu schön aus, um wahr zu sein. Und so ist es auch. Der Film lebt einerseits vom außergewöhnlichen Talent aller Beteiligten, andererseits krankt er an der Selbstgefälligkeit, mit der er es ausstellt.

    Der junge arbeitslose Schauspieler Milo Tindle (Jude Law) sucht den erfolgreichen und egozentrischen Thriller-Schreiber Andrew Wyke (Michael Caine) in seinem festungsartigen Anwesen auf. Wyke ist der Noch-Ehemann von Tindles Geliebter, und Tindle will ihn dazu überreden, in die Scheidung einzuwilligen. Wyke scheint zunächst alles andere als bereit dazu, macht ihm dann aber überraschend ein Angebot, das sich verdächtig wie der Plot aus einem seiner schlechtesten Romane anhört. Tindle soll bei ihm einbrechen und die Juwelen aus dem Safe stehlen, damit Wyke die Versicherung betrügen kann. Dafür bekommt er dann die Frau, und den Schmuck darf er auch gleich behalten. Tindle traut Wyke eigentlich nicht über den Weg und tappt trotzdem sehenden Auges in die Falle. Wyke beginnt ein sadistisches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem sich Tindle jedoch als unerwartet starker Gegner erweist.

    Remakes sehen sich meistens mit dem Vorwurf konfrontiert, überflüssig zu sein, weil sie nichts Neues böten. Diesen Vorwurf muss sich „1 Mord für 2“ nicht gefallen lassen. Die Ausgangssituation ist zwar die gleiche und wie das Original setzt auch die 2007er Variante auf die Irreführung der Zuschauer mit einigen überraschenden, wenn auch nicht ganz ernstzunehmenden Plottwists in guter alter Agatha-Christie-Tradition, aber der Film ist ein ganz anderer: von Stimmung, Thematik, Dialogen und ab der zweiten Hälfte auch vom Handlungsablauf.

    Alles spielt sich ausschließlich in den futuristischen Innenräumen einer Villa ab und ließe sich so gesehen auch problemlos auf einer modernen Theaterbühne inszenieren. Was dort schwer möglich wäre, hier aber weidlich ausgenutzt wird, sind effektvolle bis effekthascherische Kamerafahrten und Close Ups auf die Gesichter der Schauspieler. Das Haus glänzt mit seiner Innenarchitektur bestehend aus einem ausgeklügelten System von Überwachungskameras und farbigen Spotlights, einem zellenartigen Fahrstuhl, in Wänden versteckten Türen, Stahl, Beton, Beton und noch mal Beton und einigen Sitzgelegenheiten wie aus mittelalterlichen Folterkammern. Neben den zwei Männern ist es der dritte wichtige Charakter im Film, und über das Haus scheint auch die Frau, um die es ihnen angeblich geht, anwesend. Sie war die Innenarchitektin. Wer so eine Architektur entworfen hat, davon kann man ausgehen, ist genauso wenig philanthropisch veranlagt wie derjenige, der darin tatsächlich wohnt. Dem fiesesten James-Bond-Bösewichten würde es vor diesem Wohnzimmer grausen.

    Die groteske Architektur und das Ausschöpfen sämtlicher denkbarer filmischer Mittel, sie besonders effektvoll in Szene zu setzen, machen einen ganz wesentlichen Teil der Atmosphäre aus. Sie ist düster, kalt, steril, vor allem aber künstlich, irreal und absurd. Andrew Wyke hat sich mit seinem Haus eine Bühne erschaffen, auf der er sich selbst und sein Spiel mit Tindle in Szene setzt. Der Zuschauer sieht allerdings weniger Andrew Wykes Bühne als vielmehr die von Branagh und Pinter. Wenn das ein gewollter Verfremdungseffekt ist, dann ist er über die Maßen gut gelungen. Man betrachtet eine Versuchsanordnung wie im Physikunterricht. Anhand der Figuren, die dort agieren, wird einem etwas demonstriert.

    Pinters Dialoge sind das zweite Charakteristikum dieses Films. Sie sind so messerscharf geschliffen wie ein Hatori-Hanson-Schwert. Ihr Unterhaltungswert ist sehr hoch. Ebenso der Anteil an schlimmen Ausdrücken und der Grad an eloquenter Arroganz, den die Figuren mit ihnen offenbaren. Den Film im OmU oder, wenn man über sehr gute Englischkenntnisse verfügt, in der OV anzusehen, sei dringend empfohlen.

    Der Rest des Films sind Jude Law und Michael Caine. Nicht nur dass die Figuren, die sie verkörpern, ständig in andere Rollen schlüpfen, sie sind auf ihre Weise verdammt coole Säue und zudem hinter einer sehr dünnen, aber betont ausgestellten Fassade von Kultiviertheit schlicht wahnsinnig. Der Tanz, den die beiden aufführen, ist beeindruckend, und Caine und Law liefern glänzende Leistungen ab.

    Wann spielen die Figuren die Person, die sie scheinbar sind, und wann sind sie tatsächlich die Person, die sie scheinbar spielen? Und wann weiß einer der beiden eigentlich, was er tut? Die ganze Zeit über oder eher nie? Ist das eiskalt geplant und kontrolliert oder ist es in Wahrheit unkontrollierte Leidenschaft? Und der am Ende die Nerven verliert, hat der gewonnen oder verloren? Kommt das dann darauf überhaupt noch an? Hat er am Ende gar nicht die Nerven verloren, sondern war auch das kalkuliert? Das wäre der vollkommen reine Irrsinn, aber darum geht es ja.

    Die groteske Überzeichnung stellt die Zuschauer vor Probleme. Einerseits ist das absurd komisch. Andererseits ist es viel zu eisig für eine Parodie, als die man den Film von 1972 noch verstehen konnte. Am ehesten geht „1 Mord für 2“ (2007) als bitteres Stück über menschliche, männliche Gewalt durch, das mit grellen Typisierungen und Überzeichnungen arbeitet. Man kann hier fast nie so etwas wie Empathie empfinden. Schwierig wird es, wenn man sich stattdessen von der ausgestellten Raffinesse von Dialog, Plot, Schauspiel und Inszenierung unterhalten lässt. Und da der Film hier keineswegs auf Understatement setzt, konzentriert man sich genau darauf. Die bitterernst gemeinte Pointe am Schluss, die sich dadurch auszeichnet, gerade nicht lustig und überraschend, sondern ganz einfach bewusst trostlos zu sein, konterkariert das. Die Wirkungen heben sich gegenseitig auf. Man wurde ordentlich unterhalten, spürt einen bitteren Nachgeschmack und beginnt sich dann doch langsam zu fragen, was das Ganze eigentlich sollte.

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