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    Almost Heaven
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Almost Heaven
    Von Lars Lachmann

    Almost heaven, West Virginia, Blue Ridge Mountains, Shenandoah River... Na, wer hat‘s erkannt? – Richtig! Es ist der alte John-Denver-Klassiker „Country Roads“. Diese wunderschöne Country-Ballade hören wir auch in Ed Herzogs nach dem Anfang des Songs benannten Roadmovie „Almost Heaven“ – und zwar von den Lippen unserer Heike Makatsch, die schon in Detlev Bucks „Männerpension“ ihr Gesangstalent zeigte. Hauptschauplatz sind jedoch nicht, wie man denken könnte, die USA, sondern ... Jamaika! Countrymusik in der Heimat des Reggae also – größer könnte der Kontrast wohl kaum sein, oder?

    Helen (Heike Makatsch) ist krank und nach Aussage der Ärzte hat sie nicht mehr lange zu leben. Sie ist Countrysängerin aus Leidenschaft und ihr größter Traum ist es, einmal im legendären Bluebird Café in Nashville aufzutreten. Ihr Mann Carlo (Wotan Wilke Möhring), der eine Bowlingbahn betreibt, versucht, sie von diesem Gedanken abzubringen und drängt sie, eine Spezialklinik aufzusuchen, um so das Unvermeidliche noch etwas länger hinauszuzögern. Ihren Traum vom großen Auftritt hält er für ein Hirngespinst, zumal er davon ausgeht, dass sie ohnehin niemals eine Einladung erhalten würde. Aber Helen hält an ihrem Traum fest und ... es kommt tatsächlich ein Brief aus Nashville! Als Carlo den Brief in der Post findet, lässt er die Einladung jedoch umgehend im Papierkorb verschwinden. Sein russischer Angestellter Strike (Ivan Shvedoff), der an Helens Gesangstalent glaubt, bemerkt dies, nimmt das Schreiben an sich und lässt es Helen heimlich zukommen, worauf sich diese mit ihrer Gitarre auf direktem Wege vom Krankenbett zum Flughafen begibt. Durch ein Missverständnis landet sie allerdings im falschen Flieger und somit nicht in Nashville, sondern in Kingston, Jamaika. Hier trifft sie auf die Trickbetrügerin und Dealerin Rosie (Nikki Amuka-Bird), die sie schließlich im Auto auf dem Weg zum Flughafen in Montego Bay begleitet – denn nur von dort aus gehen die Flüge weiter in Richtung USA. Doch auf dem Weg dorthin ereignet sich viel Unvorhergesehenes...

    „Almost Heaven“ ist ein Roadmovie mit sowohl tragischen als auch komischen Elementen, das seine Dynamik in erster Linie aus dem Spiel der gegensätzlichen Figuren Helen und Rosie bezieht. Helen hat ihren großen Traum, den sie zielstrebig und ernsthaft verfolgt. Aufgrund der Ungewissheit, wie lange sie überhaupt noch zu leben hat, lebt sie nur noch für die Verwirklichung dieses Traums und hat zunächst kein Auge für die Schönheit Jamaikas übrig, welches für sie nicht mehr als eine ungewollte Zwischenstation auf dem Weg zum eigentlichen Ziel ist. Rosie hingegen ist eine Frau, die im Grunde nur für den Moment lebt. Sie ist desillusioniert und hat ihre eigenen Träume schon seit langem aufgegeben. Sie versucht, für sich aus der gegenwärtigen Situation jeweils das Beste zu machen, oftmals ohne dabei einen Gedanken an die möglichen Konsequenzen ihres Handelns zu verschwenden. Die beiden Figuren stehen somit auch stellvertretend für zwei entgegengesetzte Lebensweisen: eine typisch deutsche, zielorientierte, derzufolge am liebsten alles nach Fahrplan laufen sollte – und eine typisch jamaikanische, welche den Dingen oftmals mit einer größeren Gelassenheit gegenübertritt.

    Die unterschiedliche Lebensauffassung spiegelt sich nicht zuletzt auch im jeweiligen Musikgeschmack der beiden Frauen wider. Rosie macht sich über Helens Countrymusik lustig: „Ihr Countrysängerinnen seid doch alle Heulsusen. Wenn eure Männer euch betrügen und ‘ne andere pimpern, flennt ihr ins Spülwasser und nennt das Musik“, und schlägt ihr vor, es doch lieber mit Reggae zu versuchen – Musik, bei der sie Spaß haben und mit dem Arsch wackeln könnte. Worauf Helen trocken kontert: „Country ist Musik fürs Herz, nicht fürn Arsch!“ Und wenn Heike Makatsch mit der Gitarre einen ihrer Countrysongs zum Besten gibt, wie zum Beispiel Loretta Lynns If you're lookin' at me you're lookin' at country, dann springt dieser Funke wirklich über – sie meint, was sie singt! Die Gitarrenbegleitung kommt indes nicht von Heike, sondern vom Virtuosen Bill Frisell, der zu dem fertig geschnittenen Film innerhalb von nur einer Woche im Studio von Pearl Jam in Seattle den Soundtrack einspielte. Auch die jamaikanische Musik kommt dabei nicht zu kurz: Neben einem Live-Auftritt von der zurzeit auf Jamaika gefeierten Reggaesängerin Tanya Stevens gelang es Ed Herzog zudem, die Legende Carl Bradshaw („Dancehall Queen“, „The Harder They Come“) für eine musikalische Nebenrolle zu engagieren.

    Der Klassiker „The Harder They Come“ diente Herzog auch als Vorbild für seinen Film, der Jamaika nicht nur von seiner Sonnenseite, sondern in all seinen Facetten zeigt. Bei Szenen, die in einem Ghetto, am Busbahnhof oder während einer Party direkt auf der Straße spielen, war nicht selten Improvisationstalent gefragt, was dem Gezeigten zum Teil einen zusätzlichen dokumentarischen Anstrich gibt. Das Kompliment der einheimischen Crew, endlich mal wieder einen guten jamaikanischen Film zu haben, kam für den Filmemacher sehr überraschend: „Ich war immer davon ausgegangen, einen deutschen Film gedreht zu haben. Aber es war mir sehr wichtig, dass die Insel nicht nur eine Kulisse ist, sondern selbst eine Rolle spielt.“ Leider wurde allerdings darauf verzichtet, die Dialoge jeweils in der Originalsprache zu belassen und lediglich zu untertiteln – wahrscheinlich hätte ein solches Vorgehen das Ergebnis sogar noch etwas authentischer wirken lassen. Anscheinend wollten die Macher des Films das deutsche Publikum aber nicht mit einer unsynchronisierten Fassung überfordern.

    „Almost Heaven“ bietet 95 Minuten beste Unterhaltung für Groß und Klein. Ed Herzog ist mit diesem Roadmovie ein kleiner Sommerhit gelungen, der mehr Lust auf Country, Reggae und Urlaub auf Jamaika macht. Falls jemand schon ans Kofferpacken denkt, sei noch erwähnt, dass während einer kurzen Szene auch der zunehmende Überwachungswahn an Flughäfen liebevoll aufs Korn genommen wird, denn selbst Utensilien wie z. B. eine Nagelschere werden dort bereits als Waffe klassifiziert...

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