Ein Drama über deutsch-polnische Aussöhnung, über den Zusammenbruch des Kommunismus und den Siegeszug des Kapitalismus und über den Verlust von Heimat – das hört sich nach schwerer Kost an. Dass die Romanvorlage von Günter Grass stammt, macht die Sache nicht wirklich einfacher, nimmt er doch bei seinem Schreiben allerlei literarische Kunstgriffe zu Hilfe, die sich kaum filmisch darstellen lassen. Die große Herausforderung liegt darin, adäquate Mittel der bildlichen und szenischen Auflösung zu finden. Dem Autorenteam Klaus Richter, Pawel Huelle und Cezary Harasimowicz ist es gelungen, das Undarstellbare zu transformieren und gleichzeitig eine flüssige Geschichte zu erzählen. Die Aufgabe von Regisseur Robert Glinski bestand in der stimmigen Rhythmisierung des Ganzen und im Aufbau von Atmosphäre.
Die gefällt dem Protagonisten Alexander Reschke (Matthias Habich) zunächst nicht sonderlich. Auf dem Weg nach Danzig landet der deutsche Kunsthistoriker im Graben, weil er einer Kröte ausgewichen ist. Missmutig überlässt er seinen Wagen einem vorbeikommenden Polen, der darauf insistiert, seinen Bruder mit der Reparatur zu beauftragen. Angekommen in seinem Untersuchungsobjekt, einer Kirche, wird er deutlich zum Verlassen derselben aufgefordert und anschließend von einer resoluten Polin zurechtgewiesen, mit der er auf dem Markt zusammengestoßen ist. Kein guter Anfang für einen Gast. Ganz fremd ist Alexander in Danzig jedoch nicht: Hier wurde er geboren und verlebte seine zum Teil unerfreuliche Jugend bis zum Jahre 1945. Dies wird zum Anknüpfungspunkt und schließlich auch zum Auslöser einer zarten Bindung mit eben jener resoluten Polin (Krystyna Janda). Die gebürtige Litauerin hat ein ähnliches Schicksal erlitten und musste ihre Heimat ebenfalls 1945 verlassen. Der an verschiedenen Orten und unter anderen Bedingungen erfahrene Schmerz verbindet die beiden Menschen. Gemeinsam besuchen sie das Grab von Alexandras Eltern.
Inspiriert durch diesen Grabbesuch und das gegenseitige Erzählen von der Sehnsucht nach der verlorenen Heimat reift die Idee, einen Versöhnungsfriedhof zu gründen. Die Menschen sollen sich in ihrer Heimaterde begraben lassen dürfen. Es dauert nicht lange, und sie finden Mitstreiter. Schnell wird allerdings klar, dass die ursprünglich rein humanitäre Idee der Völkerverständigung durch die verschiedensten Interessen der Teilhaber überlagert wird: Bauunternehmer Vielbrand (Udo Samel) und Banker Marczak (Marek Kondrat) wittern das schnelle große Geld, die Vertreterin des Bunds der Vertriebenen (schön pikiert: Mareike Carrière) ist in ihrem Gutmenschentum so sensibel und verständig wie ein Tyrannosaurus, evangelische und katholische Kirche (Joachim Król und Zbigniew Zamachowski) sind mit ihrem persönlichen Kleinkrieg beschäftigt und der Vertreter der Stadt Danzig sieht das Ganze als Prestigeprojekt mit dem Ziel der Belebung des Tourismus, ob nun tote oder lebendige Flüchtlinge von damals. Auch die aufkeimende Liebe zwischen Alexander und Alexandra hat einige tief schürfende Missverständnisse zu überstehen und droht an den unterschiedlichen kulturellen Prägungen zu zerbrechen. Als ihre Versöhnungsfriedhof gegründet ist und schließlich immer absurdere Entwicklungen durchläuft, kehren sie denn doch gemeinsam dem Unterfangen den Rücken und finden ein neues Ziel in Italien: dorthin geht die Hochzeitsreise.
Die komplexe Handlung mit ihren vielen Wendungen und den Winkelzügen des umfangreichen Personals wird auf ironisch-mythische Weise kommentiert und zugleich strukturiert. Da ist zum einen die Namen gebende Unke, die an entscheidenden Punkten auftritt und Ereignisse hervorruft. Zu ihr gesellt sich als weise Moderatorin und vorwitzig-lakonische Kommentatorin die eigenwillige Erna Brakup, eine forsche Bauernfrau im fortgeschrittenen Alter, die das Leben zu nehmen gelernt hat und darüber keineswegs trübsinnig geworden ist. Wenn es für die Figuren heikel wird oder der Zuschauer den Durchblick zu verlieren droht, greift die resolute Dame ein und bewegt sich locker in der Handlung selbst und zugleich neben ihr. Sie ist es auch, die den Ernst und die Verbissenheit, mit der sich das bunt gemischte Personal auf dieser Drehbühne der Geschichte und nationaler wie persönlicher Eitelkeiten begegnet, ganz gelassen in seiner Kleinmütigkeit entlarvt.
Davon werden auch die Hauptpersonen nicht ausgenommen. Zwischen Matthias Habich und Krystyna Janda stimmt die Chemie. So können sie im Duett den tief sitzenden unsichtbaren Verletzungen Gestalt geben, die der Zweite Weltkrieg und der darauf folgende Kalte Krieg den Menschen auf beiden Seiten zugefügt haben. Den Druck auf die Tränendrüse nimmt der facettenreiche Humor, der die teilweise fast absurd anmutenden Haltungen der Personen als Hilflosigkeit entlarvt, sie aber nie der Lächerlichkeit preisgibt. Bis in die Nebenfiguren sind die Rollen mit der ersten Garde besetzt. Das illustre Grüppchen um den Versöhnungsfriedhof bleibt weitgehend in typenhaftem Verhaltensspektrum. Das pointierte Spiel der Darsteller macht aber trotzdem Spaß, wenn z. B. Joachim Król nach seinem hintergründigen Auftritt in Silentium hier wieder den intriganten Kirchenmann geben darf. Der Gerechtigkeit halber vertritt er dieses Mal die evangelische Seite, spricht dabei aber keineswegs weniger salbungsvoll, während die Augen schon angesichts der zu erwartenden Geschäfte leuchten.
Die Kulissen für das ganze Treiben sind stimmungsvoll gewählt und erscheinen in den Rückblenden verklärend weichgezeichnet, auch wenn die Vergangenheit nicht nur glückliche Momente bereithält. Für das ganz große Kino bleiben Kamera und Lichtregie etwas zu verhalten und lassen die anspielungsreichen Bildkompositionen selten über sich hinauswachsen. Vielleicht liegt es daran, dass die Geschehnisse zu fest in der aktuellen Realität verhaftet sind, als dass sie sich allzu weit über sie erheben könnten.
Eine besondere Aktualität bekommt der Stoff dadurch, dass das Thema, die deutsche Wiedervereinigung und damit die Auflösung der strikten Trennung in Ost- und Westeuropa mit der EU-Erweiterung 2004 eine Art Vollendung gefunden hat. Mit seiner präzisen Beobachtung der Probleme, die ehemaligen Grenzen auch im alltäglichen Zusammenleben nieder zu reißen, legt „Unkenrufe“ den Finger in eine Wunde, die momentan einen zuweilen schmerzhaften und unsteten Heilungsprozess nimmt, vielleicht auch wieder weiter aufklafft. Das Schöne an der Erzählung wie auch an diesem Film ist, dass er all die gezeigten Hindernisse mit einem (selbst)ironischen Lachen nimmt, ohne vorzugeben, man könnte sie einfach überrennen. Vielleicht kann man daraus ja was lernen, sicher aber kann man sich bei diesem Film im Kino wunderbar amüsieren.