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    Princesas
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Princesas
    Von Jonas Reinartz

    Der Jugendliche weiß nicht, wie ihm geschieht. Bewegungsunfähig liegt er im Krankenhausbett und ist glücklich, dass sich seine Freunde anlässlich seines Geburtstages um ihn versammelt haben, dann erscheint urplötzlich unter lautstarkem Klatschen eine offenherzig gekleidete, abgeklärt wirkende Frau und beginnt nach kurzer Einweisung der jungen Männer mit ihrer Arbeit. Alles ist Routine, jegliche Scham hat sie schon vor Jahren hinter sich gelassen, es macht ihr inzwischen nicht das Geringste aus, ihren Körper für ein geringes Entgeld zur Verfügung zu stellen. Kurz darauf liegt sie halbnackt und leicht gelangweilt in ihrer Wohnung, in der die ganz gewöhnlichen Utensilien des „ältesten Gewerbes der Welt“ verstreut sind, wie Reizwäsche und Gleitcreme, auf den Anruf des nächsten Freiers wartend. Mit dieser Einleitung versteht es Fernando León de Aranoa („Montags in der Sonne“) geschickt, seine Intentionen darzulegen. Es geht ihm in dem Drama „Princesas“, dieses Jahr drei Mal mit dem Goya, gewissermaßen das spanische Pendant zum Academy Award, ausgezeichnet, nicht um die Erkundung der Ursachen, die Frauen in die Prostitution rutschen lassen oder etwaige Wege, die wieder aus jener heraus ans Licht führen können. Vielmehr stehen der banale Alltag dieser Menschen am unteren Rand der Gesellschaft und all ihre berufsbedingte Einsamkeit im Vordergrund. Dabei identifiziert sich der Filmemacher rückhaltlos mit seinen Protagonistinnen, verehrt sie, ohne in die Gefahr zu geraten, ihre Lebenssitatution zu beschönigen, zeigt die ganze Ausweglosigkeit ihres Lebens und versteht es dennoch, sich nicht voyeuristisch im dreckigen Sumpf der Armenviertel Spaniens zu suhlen. Hervorragende schauspielerische Leistungen, eine rauhe und direkte, der Thematik perfekt entsprechende Ästhetik sowie ein gelungener Soundtrack sorgen für ein bewegendes Kinoerlebnis, auch wenn einige Kürzungen dem Gesamtergebnis zweifellos gut getan hätten.

    Cayen (Candela Peña) fristet im Madrid der Gegenwart ein trostloses Dasein als schlecht bezahlte Prostituierte. Einst hatte sie sich als Kosmetikerin versucht, diese Ausbildung brach sie wie etliche andere nach kurzer Zeit ab. Mittlerweile hat sie sich zwar mit ihrem Schicksal abgefunden, dennoch traut sie sich nicht, ihrer mittelständischen Familie, der sie traditionell an jedem Sonntag einen Besuch abstattet, zu verraten, auf welche Art sie ihr Geld verdient. Da der Vater vor drei Jahren verstorben ist, befindet sich ihre Mutter Pilar (Mariana Cordero) immer noch in einer tiefen seelischen Krise, was sich in regelmäßigen Geschenken eines geheimnisvollen Verehrers äußert, der nur in der Phantasie der vereinsamten Frau existiert. Auch die Lage der Straßenmädchen, generell schon immer ein Grund zur Besorgnis, verschlimmert sich zusehends. Illegale Einwanderinnen, größtenteils aus Afrika und Lateinamerika eingereist, verderben mit ihren unerhört niedrigen Preisen den einheimischen Dirnen das Geschäft, wie sie jeden Tag an ihrem Treffpunkt, einem Friseursalon, feststellen müssen. Zu ihnen zählt auch Cayens neue Nachbarin Zulema (Micaela Nevárez), eine Schönheit aus der Dominikanischen Republik. Ihren Sohn hat sie in der Heimat zurückgelassen, nun versucht sie, in Spanien genug Geld zu verdienen, um ihn finanziell unterstützen und eventuell bald zu sich holen zu können. Rasch schließen die beiden Konkurrentinnen Freundschaft.

    Was sofort an Candela Peña beeindruckt, ist ihre Hingabe. Sie wird gänzlich eins mit der Rolle der vom Leben gebeutelten Cayen, deren größter Traum es ist, von einem liebevollen Mann nach getaner Arbeit abgeholt zu werden, trägt unvorteilhafte Frisuren und zu knappe Kleidung zur Schau. Ein Blick in den ernüchterten Ausdruck ihrer Augen genügt und man spürt das existentielle Verlangen der Figur nach Zuneigung und Wärme. Ähnliches gilt für Micaela Nevárez, mit wenigen Gesten gelingt es ihr, zu vermitteln, wie es selbst unter schwierigsten Umständen möglich sein kann, die eigene Würde zu wahren. So abschreckend die Thematik der Prostitution eventuell für manchen Kinogänger klingen mag, die Beschäftigung mit der Einsamkeit, seit Menschengedenken in den unterschiedlichen Künsten reflektiert, macht in diesem Zusammenhang außerordentlich viel Sinn. Die Straßenmädchen, die soviele Körper an einem Tag, ja an einem Nachmittag intim berühren, wie sonst niemand in einem vergleichbaren Zeitraum, werden stigmatisiert und systematisch ausgegrenzt. Als Cayenne sich mit einem Mann trifft, in den sie sich aufrichtig verliebt hat, beobachten sie einige Geschäftsleute an einem Nachbartisch und verhöhnen sie. Kurz darauf wird sie von einem von ihnen regelrecht zum Fellatio gezwungen. Derartig wurde sie geprägt, äußerlich und innerlich, dass ihre Tätigkeit für jeden leicht erkennbar ist, nirgends kann sie ihr entkommen, wie ihr grandios geschmackloses, pinkes Mobiltelefon unterstreicht. Jederzeit melden sich ihre Kunden, bereit, sich kurzerzeit in unmoralische Niederungen zu begeben, um sie danach verlassen zu können und die Maske der Ehrbarkeit wieder anzulegen, was mit ihren Lustgespielinnen geschieht, interessiert sie nicht im Geringsten. Zurück bleiben verlorene Seelen mit einem desolaten Leben voller Einsamkeit. Wie universell diese ist, vorhanden in allen Schichten und Lebensabschnitten, illustrieren Cayens Mutter und deren selbstadressierte Briefe, Blumensträuße und Süßigkeiten. Einzig die Illusion oder wahre Zuneigung, wie etwa die der beiden Protagonistinnen zueinander, scheinen temporäre Auswege zu sein. Dies ist das eigentliche Sujet des Films, nicht das Elend der Armut, wie man vielleicht erwartet hätte.

    Michael Ballhaus äußerte vor einigen Jahren, eine Handkamera sei gewissermaßen ein lebendiges Geschöpf, da sich die Bewegungen des Kameramannes direkt auf sie übertragen würden, und bezeichnete den Vorgang als „Atmen“. Nicht von ungefähr nähert sich auch „Princesas“ der Welt, die er zu beschreiben versucht, mit dem Blick einer aus der Hand geführten Kamera. Viele Szenen spielen auf den Plätzen der heruntergekommenen Viertel Madrids, wobei vieles alles andere als gestellt erscheint. So gibt es einen Ort, an dem sich besonders nachts auf einem „Markt“ unzählige Prostitituierte potentiellen Freiern präsentieren, die in hohem Tempo mit ihrem Wagen an ihnen vorbeirasen. Wer genau hinschaut, wird in einer Einstellung ein Nummernzeichen entdecken, das digital unkenntlich gemacht wurde. Bewusst gesetzte Authentizitätssignale sind ja heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr, doch derartig versteckt wird diese wohl kaum jemand platzieren. Daher liegt der Schluss nahe, dass das Filmteam für solche Szenen tatsächlich die Wirklichkeit ablichtete. Generell ist die an das Cinéma Vérité gemahnende Stilistik, für die man sich entschied, bestens geeignet, Glaubwürdigkeit und eine ungekünstelte Direktheit zu vermitteln. Das dabei zu keiner Zeit eine furiose Genialität wie die eines Alejandro Gonzalez Iñárritu und seines Bildmagiers Rodrigo Prieto (Amores Perros, 21 Gramm , Babel) erreicht werden kann, verwundert angesichts der vorherigen Werke de Aranoas nicht, doch es gelingen stetig eindringliche, mit Bedachtheit kadrierte Einstellungen, immer nah an der Schauspielern, eine Direktheit vermittlend, die unter die Haut geht. Hervorzuheben ist auch eine vortrefflich gelungene Kreisfahrt, ein Bruch mit der sonstigen Form, die die ausgelassene Stimmung von Cayen und Zulema in einer Discothek, zusammen mit der lebensfrohen Musik Manu Chaos, einen der raren Momente des Glücks, sinnlich erfahrbar macht. Dennoch scheint der Film, bei allen positiven Charakteristika, ungefähr eine Viertelstunde zu lang, beispielsweise führt ein Subplot um Zulema, die in einer Schule Sexualkundeunterricht gibt, ganz abgesehen von seiner Unglaubwürdigkeit, ins Leere und auch einige der Gespräche im Friseursalon sind gelegentlich etwas redundant.

    Dank seiner hervorragenden Actricen und sensibler Herangehensweise vermag „Princesas“ in eine Welt zu entführen, der man eigentlich fernbleiben möchte, eine bewegende Geschichte um eine ungewöhnliche Freundschaft zerstreut jedoch bald etwaige Vorbehalte. Da fallen einige Unstimmigkeiten nicht allzu schwer ins Gewicht, ein in großen Teilen überzeugender Film präsentiert sich hier mit einiger Verspätung dem deutschen Publikum. Zudem beweist er, dass gerade im spanischen Kino unzählige talentierte Regisseure tätig sind, die es durchaus wert sind, auch hierzulande entdeckt zu werden.

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