Der Aufschrei durch die Medien dieser Welt damals war groß: Im März des Jahres 2001 sprengte eine Gruppe aus Taliban- und Al-Kaida-Anhängern die beiden riesigen Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal in Afghanistan. Wertvollstes Weltkulturerbe wurde innerhalb kürzester Zeit pulversiert. Heute, gut fünf Jahre nach diesem zerstörerischen Akt, droht das Ereignis in Vergessenheit zu geraten. Die Haltbarkeit der Nachrichtenaufmerksamkeit ist eben kurz. Doch zum Glück gibt es das nachhaltigere Medium „Dokumentarfilm“ und den Filmemacher Christian Frei. Dieser hat bereits mit seiner Oscar-nominierten Reportage War Photographer über den Kriegsfotografen James Nachtwey bewiesen, ein sicheres Händchen für politisch sensible Themen zu besitzen. Mit seinem neuesten Film „The Giant Buddhas“ ist ihm ein meditatives filmisches Essay über die Zerstörung der Stauen und die Geschichten um deren Peripherie gelungen.
Der Akt erschien eine fast logische Konsequenz der Taliban-Aktivitäten in Afghanistan zu sein. Anfang 2001 kündigte die fundamental-islamistische Gruppe um den Anführer Mullah Omar in einem Edikt, einem religiösen Beschluss, an, die beiden vor-islamischen Buddha-Statuen in Schutt und Asche zu legen. Dies war Ausdruck ihrer religiös-dogmatischen Sichtweise und ihrer Verachtung gegenüber der Weltgemeinschaft zugleich. Pluralität der Kulturen und der Religionen sollte es in einem von der Taliban regierten Land nicht geben. Da half auch der Sondergesandte der UNESCO und das Angebot des Metropolitan Museum of Art in New York, die Statuen zu kaufen und einzumauern nichts. Im März vernichtete ein Sprengtrupp die rund 1.500 Jahre alten Monumente. Doch wer errichtete die Statuen eigentlich? Welche Bedeutung hatte das Bamiyan-Tal zur Zeit der Erbauung der Buddha-Abbilder? Diesen Fragen widmet sich Christian Frei in der ersten Hälfe des Films. Er rekonstruiert die Reise des Wandermönchs Xuanzang, der im 7. Jahrhundert entlang der Seidenstraße wandelte und seine Eindrücke in einem Tagebuch festhielt. Weitere historische Quellen werden zitiert und vermitteln einen Eindruck vom Leben im Tal. Bis zu diesem Punkt bleibt dem Zuschauer verschlossen, wohin die Reise eigentlich gehen soll, was Frei mit diesem Film erzählen will. Mit dem Akt der Zerstörung aber, der durch exklusives Al-Jazeera-Filmmaterial eindrucksvoll illustriert wird, beginnt die Zeit danach, in der ausgewählte Geschichten um die Statuen herum erzählt werden.
Da ist zum Beispiel der französische Archäologie-Professor Zémaryalai Tarzi, der eine alte Legende aufleben lässt, welche auf den Tagebuchaufzeichnungen des Wandermönchs Xuanzang basiert. Danach soll irgendwo im Bamiyan-Tal eine dritte noch viel größere Buddha-Statue vergraben liegen. Wie zu „Indiana Jones“ fühlt sich der Zuschauer plötzlich versetzt, was dem Film nach dem ersten Abschnitt einen wichtigen neuen Impuls verleiht. Dieser Wendepunkt erfüllt „The Giant Buddhas“ mit Spannung und einer sehenswerten Dramaturgie. Durch den Wendepunkt wird deutlich, wo der Film hin will. Die Geschichte von Tarzi ist nur eine von vielen. Eine weitere ist jene um die in Kanada lebende, afghanische Schriftstellerin und Journalistin Nelofer Pazira, die durch ihren Vater und seine Biografie eine enge Bindung zu den Statuen verspürt. Paziras großer Traum ist es, nach Afghanistan zu reisen, um sich selbst das Tal und den Standort der Statuen anzuschauen.
Was „The Giant Buddhas“ zu einem Essay werden lässt, ist unter anderem die persönliche Erzählebene, die in Form eines Ich-Erzählers in Erscheinung tritt. Christian Frei bzw. sein Alter Ego steht in Briefkontakt mit Nelofer Pazira. Durch das Vorlesen der Briefe werden Reisen, Orte und Handlungen erklärt, die das Filmteam unternimmt, was eine gute Orientierung garantiert. So agiert Christian Frei nicht nur als Film- sondern auch als Brief-Autor, was ihn weiter in den Vordergrund rückt. Das journalistische „Ich“ als literarisches Stilmittel funktioniert hervorragend; man wähnt sich mit dem Filmteam auf Reisen. Sehr präzise arbeitet Frei aber auch heraus, dass in den Aktionen der Weltgemeinschaft nach der Zerstörung der Statuen sowohl Hoffnung als Tragik liegen. Hoffnung deshalb, weil ein Team aus Experten es für möglich hält, durch Fotogrammetrie die Statuen wieder aufzubauen; Tragik deshalb, weil die seit vielen Jahren im Tal lebenden Menschen – unter ihnen Sayyed Mirza Hussain und seine Familie, deren Geschichte ebenfalls im Film erzählt wird – von der UNESCO zwangsumgesiedelt werden, da das Tal zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Die Umsiedelung lässt die Lebensbedingungen für Sayyed und seine Familie jedoch ungleich schwieriger werden. Einen weiteren investigativen Touch bekommt der Film, als Frei mit seinem Team nach China reist, um dort eine Kitsch-Replika des Bamiyan-Buddhas zu filmen. Obwohl es Filmmaterial über den Bau dieser Statue gibt, tun alle Angestellten im Park so, als würde diese Statue nicht existieren. Erst nach vehementem Nachfragen an oberster Stelle wird offensichtlich, dass durch den Bau dieser Nachahmung und die Geldgier der Verantwortlichen anderes Weltkulturerbe beschädigt wurde. Es ist, als zöge sich die durch Macht- und Geldbesessenheit getriebene Zerstörung fort.
Die Stimmung in „The Giant Buddhas“ ist eine ruhige, durch die repetitiven Mönchsgesänge fast meditative. Wie auch in „War Photographer“ spielt die verwendete Musik im Film eine wichtige Rolle und stellt ein elementares und herausragendes Atmosphärenelement dar. Die HD-Kamera liefert Bilder, die durch eine leichte Grobkörnigkeit ansehnlich und zum Glück fernab einer Hochglanzoptik angesiedelt sind. Kameramann Peter Indergand hat überzeugende Arbeit beim Einfangen von packenden und atmosphärischen Bildern geleistet.
Was bleibt von den beiden Buddha-Statuen, deren zu staub gewordene Überreste der Wind über das gesamte Bamiyan-Tal verteilt hat? Was ist übrig von ihnen außer der Leere in den beiden Felsnischen? Diese Frage beantwortet Christian Frei mit seinem Film „The Giant Buddhas“ auf literarische Weise und legt damit eine Dokumentation über ein Ereignis weltpolitischen Ausmaßes vor. Ein poetisches Loblied auf die Meinungs-, Religions- und Kulturvielfalt.