Manchmal findet man sie noch, diese Filmjuwelen, die großes Kino ausmachen. Geschichten, die fesseln und so schnell nicht mehr loslassen. Mit „Tagebuch eines Skandals“ ist dem britischen Film- und Theater Regisseur Richard Eyre (Stage Beauty) genau so ein cineastisches Schmuckstück gelungen. Packend bis zum Schluss und hochkarätig besetzt, wagte sich Eyre an den gleichnamigen Bestseller von Zoe Heller. Entstanden ist ein düsteres Psycho-Drama, das in die Abgründe der menschlichen Seele blickt, wo die Grenzen zwischen Leidenschaft und Obsession, Freundschaft und Abhängigkeit verwischen.
Barbara Covett (Judi Dench) führt seit vielen Jahren als Geschichtslehrerin an der Londoner St. Georg’s School ein strenges Regiment in ihrem Klassenzimmer. Nur noch wenige Jahre trennen die über 60-Jährige von ihrem wohlverdienten Ruhestand und so sieht die sittentreue Dame auch keinerlei Notwendigkeit, ihre altbackenen Unterrichtsmethoden zu ändern. Schließlich ist sie eine Koryphäe an ihrer Schule: hart, aber gerecht, unbeliebt, aber geachtet. Doch außerhalb der Schule lebt Barbara ein einsames Leben: keine Familie, keine Freunde und als einzigen Begleiter an ihrer Seite ihre Katze, trottet ihr Alltag öde vor sich hin. Das alles ändert sich als die junge Sheba (Cate Blanchett) an die Schule kommt. Die hübsche Kunstlehrerin sticht Barbara sofort ins Auge und fortan sucht sie gezielt den Kontakt zu ihrer unkonventionellen Kollegin. Schon bald freunden die beiden Frauen sich an und Sheba vertraut Barbara ihre tiefsten Ängste und Sorgen an. Die Ehe mit ihrem älteren Mann Richard (Bill Nighy) verliert an Leidenschaft, das Mutterdasein laugt sie aus und eigentlich wünscht sie sich nur eines: den familiären Alltagstrott für kurze Zeit einmal hinter sich zu lassen. Doch ein Geheimnis gibt es da noch, von dem Barbara nie erfahren darf. Sheba hat eine Affäre, und zwar mit ihrem Schüler Steven Connolly (Andrew Simpson) und der ist gerade mal fünfzehn. Als Barbara die beiden zufällig zusammen beobachtet, sieht sie ihre Chance gekommen, Sheba noch stärker an sich zu binden und so ihre ewige Freundschaft zu ihre zu erpressen. Ihr Wissen über die Affäre benutzt die einsame Lehrerin fortan als Druckmittel, um immer tiefer in Shebas Privatleben einzudringen und die Abhängigkeit von ihr für ihre eigenen Zwecke auszunutzen...
Dass er weiß, wie man großes Kino macht, hat der Brite Richard Eyre bereits mit Filmen wie „Stage Beauty“ und Iris eindrucksvoll bewiesen. Mit „Tagebuch eines Skandals“ wagt sich der Theater-Regisseur erneut hinter die Kamera und schafft es mit seinem Psycho-Drama gleich vier Nominierungen bei den diesjährigen Oscars zu ergattern. In der Kategorie „Best Writing: Adapted Screenplay“ muss sich Drehbuchautor Patrick Marber unter anderem mit Borat, alias Sacha Baron Cohen messen und auch für Judi Dench, die in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ für den Film an den Start geht, wird es kein leichtes Rennen. Ihre größte Konkurrentin, ebenfalls eine britische Dame, ist Helen Mirren, die für ihre Darstellung der Queen bereits mit Auszeichnungen überhäuft wurde. Kurz gesagt, es könnte eng werden für „Tagebuch eines Skandals“, der zweifelsohne (mindestens) einen Oscar verdient hat, denn hier stimmt einfach alles: Die Story fesselt von Minute zu Minute mehr und zieht die Zuschauer immer tiefer in ein Meer aus dunkler Obsession und krankhafter Eifersucht, die Inszenierung beeindruckt besonders durch eine gekonnte Kameraführung und die Schauspieler laufen allesamt zu Höchstform auf.
Kein Wunder also, dass neben der, wie immer grandiosen Judi Dench, auch Cate Blanchett mit einem Oscarnominierung bedacht wurde. Eindrucksvoll spielt sie die Kunstlehrerin Sheba und porträtiert so eine junge Frau, deren Leben sich nach und nach auf einen tiefen Abgrund zu bewegt. Das Ganze gelingt der Australierin und Oscarpreisträgerin (2005 für Aviator) so gut, dass ihr die kleine Goldstatue in diesem Jahr auch wieder so gut wie sicher ist. Auch für Judi Dench wäre es in diesem Jahr der zweite Oscar in ihrem Regal, denn bereits im Jahr 2001 wurde die britische Grande Dame der Schauspielkunst für ihre Rolle in Shakespeare In Love ausgezeichnet. Verdient hätte Dench den Goldjungen allemal, denn in der Rolle der verbitterten Barbara Covett sorgt sie für ordentlich Gänsehaut beim Zuschauer. So düster, so gemein hat man die 72-jährige Engländerin schon lange nicht mehr auf der Leinwand erlebt. Neben dem weiblichen Dreamteam Dench und Blanchett glänzen auch Bill Nighy in seiner Rolle als fürsorglicher Vater und Ehemann sowie der noch relativ unbekannte Andrew Simpson als junger Liebhaber und Skandalschüler.
„Tagebuch eines Skandals“ ist ein Film, der alles hat, was grandioses Kino braucht und noch lange seine Spuren im Kopf des Zuschauers hinterlässt. Ein Film der bewegt und große Schauspielkunst zeigt.