„Sie werden assimiliert werden. Widerstand ist zwecklos. Wir sind die Rechteeinkäufer der großen amerikanischen Filmstudios.“ So oder so ähnlich müssen sich die Asiaten fühlen, wenn Hollywoods Schergen sich mit einem dicken Scheckbuch bewaffnet auf den Weg machen, um fernöstliche Horrorhits aufzukaufen. Was die US-Industrie aber immer geflissentlich übersieht: Die Kulturen sind derart verschieden, dass sich die Inhalte nur schwer universell übertragen lassen. Daran krankt ein Großteil der US-Remakes von Asia-Horror, die Mentalitäten weisen einfach so signifikante Unterschiede auf, dass die Geschichten in der westlichen Kultur einfach nicht ihre volle Wirkung entfalten. Ein Paradebeispiel für diese These liefert das Regie-Duo David Moreau und Xavier Palud, das mit dem Grusel-Psychothriller „The Eye“ die gleichnamige Hongkong-Vorlage der Pang-Brüder durch den Assimilationswolf dreht und daran sch, die Vorzüge des Originals nach Hollywood hinüberzuretten.
Durch einen tragischen Unfall ist die erfolgreiche Violinistin Sydney Wells (Jessica Alba) seit ihrem fünften Lebensjahr erblindet. Doch die Musikerin kommt im Alltag bestens mit ihrer Behinderung zurecht. Auf Druck ihrer Schwester Helen (Parker Posey) willigt sie dennoch in eine Hornhauttransplantation ein. Diese verläuft aus Sicht der Ärzte nach Plan, doch Sydney ist anschließend völlig überfordert und verunsichert. Ganz normal nach einer solch schweren Operation, meint der Spezialist Dr. Paul Falkner (Alessandro Nivola), der sie psychologisch betreut. Sydney sieht zunächst merkwürdige Schatten, die sich später bei wiederkehrender Sehschärfe als Geister erweisen, die widerwillig auf dem Weg ins Jenseits sind. Sie steht kurz davor, durchzudrehen. Keiner glaubt ihre Geschichten von den toten Menschen - nicht einmal ihre Schwester. Sydney hat es sich fest in den Kopf gesetzt, dass des Rätsels Lösung bei der Augenspenderin zu suchen ist. Sie bekniet Falkner, ausfindig zu machen, wem sie die neuen Hornhäute zu verdanken hat…
2002 sorgten die Brüder Oxide Pang Chun und Danny Pang mit „The Eye“ für Aufsehen. Der Film der nach Thailand ausgewanderten Hongkong-Chinesen zog noch drei Fortsetzungen („The Eye 2“, 2004; „The Eye 10“ 2005; „The Eye 3“, 2008) nach sich… und nun auch noch das nahezu unvermeidliche US-Remake, für das die Franzosen David Moreau und Xavier Palud (Them) auf den Regiestuhl gesetzt wurden. Die asiatische Herkunft des Ursprungsmaterials ist in der amerikanischen Version noch deutlich präsent. Die beiden Regisseure halten sich sehr streng an die Ur-Fassung, lediglich das Setting ist angepasst. Doch diese Art der Eins-zu-eins-Kopie funktioniert nicht wirklich, weil die Naturelle der Nationen einfach zu unterschiedlich sind. Der Gruselhorror à la Der Fluch bzw. Ju On - The Curse wirkt in einer westlichen Umgebung meist deplatziert und fremd.
Mit Hauptdarstellerin Jessica Alba (Sin City, Into The Blue, Fantastic Four) hat sich „The Eye” gleich zwei Probleme aufgeladen. Als schmuckes Eye Candy ist die Kalifornierin immer eine gute Wahl, doch ihr überschaubares mimisches Talent hemmt den Film, weil hier eben mehr verlangt ist, als mit anderthalb Gesichtsausdrücken ängstlich zu gucken und so Beschützerinstinkte zu wecken. Vielleicht wäre das allein noch zu verkraften, aber Albas Figur Sydney, anfangs noch als engelsgleiche Unschuld in Szene gesetzt, entwickelt mit der Zeit ein nicht zu unterschätzendes Nervpotenzial. Nur gut, dass Alessandro Nivola (Junebug, Jurassic Park 3, Anatomie einer Entführung) als nicht immer freundlicher Psychologe Charisma und einen Hauch von Ambivalenz dagegen setzt.
Inszenatorisch bewegt sich „The Eye“ zumindest auf der optischen Seite auf ansprechendem Niveau, ist edel und stilvoll photographiert. Allerdings nerven Moreau und Palud mit einem inflationären Einsatz von platten Schockeffekten. Auch das beliebte Spiel mit den Traumsequenzen wird übertrieben. Das sieht zwar auf den ersten Blick aufregend aus, erweist sich aber als substanzlos. Ähnlich wie das Original startet die US-Version in sehr gemächlichem Tempo, das nur mühsam gesteigert wird. Lange Zeit suhlt sich „The Eye“ auf der Stelle tretend in gediegener Langeweile, bevor im explosiven Finale endlich einmal Spannung aufkommt. Der Film versagt weitestgehend dabei, für Grusel zu sorgen. Dies gelingt nur in wenigen Szenen, in denen der Tod in Lauerstellung auf seine Opfer wartet.
Fazit: „The Eye“ präsentiert sich als lauwarmer, einfallsarmer US-Aufguss, welcher der Hongkong-Vorlage in kaum einer Phase gerecht werden kann, aber - zumindest bei Unkenntnis des Originals – auf Grund der grundsoliden Produktionswerte guckbar ist. Allerdings wurde diese „I see dead people“-Thematik schon weit besser umgesetzt. Von den atmosphärischen Werten eines The Sixth Sense ist „The Eye“ meilenweit entfernt, aber auch die emotionale Stärke eines Ghost will sich nicht einstellen. So ist „The Eye“ zwar keine Vollkatastrophe, letztlich jedoch herzlich überflüssig. Wer sich für die Story interessiert, greift besser zum Original.