Die Ankündigung Sylvester Stallones, seine darbende Karriere mit einem finalen Kraftakt doch noch mal auf Touren zu bringen und für den sechsten „Rocky“-Teil die verstaubten Boxhandschuhe aus dem Schrank zu holen, sorgte wahlweise für bestenfalls Verwunderung, häufiger aber Belustigung oder schlimmer noch mitleidiges Kopfschütteln. Der alte Klepper will wieder auf den Acker, um das Feld ein letztes Mal zu pflügen. Dabei setzte Stallone als Produzent, Regisseur, Autor und Hauptdarsteller alles auf eine Karte. Doch Überraschung: Der Altstar hat aus dem Debakel Rocky V (1990) die richtigen Lehren gezogen und legt mit „Rocky Balboa“ ein stimmiges Milieu-Drama hin, das den Geist des meisterhaften ersten Teils atmet – zwar ohne an dessen ganz große Klasse heranzureichen, aber stark genug, um von einem erstaunlichen Comeback zu sprechen. Das ist mehr, als sich Stallone hat erhoffen dürfen.
Rocky Balboa (Sylvester Stallone) lebt zwar im Philadelphia der Gegenwart, doch sein Herz ist in der glorreichen Vergangenheit hängen geblieben, in der er als Schwergewichts-Box-Weltmeister die Herzen der Massen eroberte. Der Mittfünfziger führt ein kleines, ordentlich laufendes italienisches Restaurant, in dem er allabendlich für die Gäste Geschichten aus alten Tagen erzählt. Rocky ist immer noch eine Legende, die geachtet wird. Das führt dazu, dass sich die Beziehung zu seinem Sohn Rocky Jr. (Milo Ventimiglia), der als Banker in der Innenstadt arbeitet, schwierig gestaltet. Obwohl Rocky schon lange die Handschuhe an den Nagel gehängt hat, wirft er immer noch einen großen Schatten, der seinem Sohn zu schaffen macht. Rocky trauert fortwährend um seine Frau Adrian (Talia Shire), die an Krebs verstorben ist. Langsam nähert er sich jedoch der Kellnerin Marie (Geraldine Hughes), die er von früher kennt. Der Boxsport steckt dagegen in der Krise. Der unbesiegte Schwergewichts-Weltmeister Mason Dixon (Antonio Tarver) hat sich quasi zu Tode gesiegt, das Publikum wendet sich gegen ihn, weil er keine Konkurrenz mehr hat. Nach einem virtuellen Kampf eines Sportkanals, der Rocky Balboa und Mason Dixon vergleicht, nimmt die Diskussion um die Stärken beider Boxer eine ungeheure Dynamik an. Rocky lässt sich überreden, noch einmal für einen Schaukampf gegen den amtierenden Weltmeister in Las Vegas in den Ring zu steigen...
„Rocky Balboa“ ist genau das, was der verunglückte „Rocky V“ hätte sein sollen: eine Rückkehr zu den Wurzeln – diesmal allerdings in Würde und nicht in Schimpf und Schande (sieben Nominierungen für die Goldene Himbeere). Story und Charaktere sind korrekt geerdet, das Milieu ist wieder glaubhaft. Die Atmosphäre des schmuddeligen Vorstadt-Philadelphia entfaltet sich blendend und kann zudem durch die Familien-Geschichte auf die gesamte Stadt ausgedehnt werden. Stallone hat dazu gelernt. Der Vater-Sohn-Konflikt funktioniert diesmal sehr gut, die Charakterzeichnungen stimmen nun wieder, da genügend Zeit ins Land gezogen ist, um Glaubwürdigkeit gedeihen zu lassen. Den Egoismus, seinen eigenen Sohn Sage („Rocky V“) im Film unterbringen, verkneift sich Stallone zum Glück, Milo Ventimiglia („Stay Alive“) ist ein ordentlicher Schauspieler, der seine Rolle ordnungsgemäß ausfüllt. Lediglich bei der Auflösung des Konflikts macht es sich der Drehbuchautor zu leicht und verfällt in alte Rocky’sche Dampfhammer-Dramatik. Obwohl mit Antonio Carver erneut ein Profi-Boxer für den Bösewichtpart besetzt wurde, hat Stallone gelernt, den Sportler – wie Tommy Morrison in „Rocky V“ - nicht zu überfordern. Die wenigen Zeilen meistert Carver ohne Mühe, Schauspieltalent ist dafür nicht vonnöten.
Das Herz des Films ist und bleibt aber natürlich Stallone selbst. Seine Performance orientiert sich an Teil 1 und 2, gelegentlich werden sogar Witzchen über Rockys Schlichtheit gemacht. Alles, was Rocky Balboa macht, wirkt schwerfällig und behäbig. Wie ein alter Hund schleppt er sich voran und tut, was er tun muss. Auch im Ring sowie beim vorhergehenden Training ist dem alten Kempen anzumerken, dass die Jahre nicht spurlos an ihm vorbeigezogen sind. Dennoch hat sich Stallone, stolzer Jahrgang 1946, in Bestform gebracht. Das, was dem Vorgänger unter anderem gefehlt hat, wird in „Rocky Balboa“ geboten: ein echtes Kampfhighlight. Hier versteigt sich Stallone in ein paar Mätzchen mit Schwarz-Weiß-Bildern, die mit eingefärbtem Blut stilisiert werden, aber abgesehen davon überzeugt der Actionteil voll. Mit einem kleinen dramaturgischen Kniff wird dem an sich absurden Duell der Generationen geschickt ein Hauch mehr Glaubwürdigkeit gegeben. Die berühmt-berüchtigten Harakiri-Kampfszenen mit unzähligen Volltreffern bleiben natürlich in leicht modernisierter Form erhalten, aber das erwartet schließlich auch jeder „Rocky“-Fan. Daneben bildet das stete lakonische Zwiegespräch zwischen Rocky und seinem Schwager Paulie, knorrig wie eh und je von Burt Young als sympathischer Kotzbrocken gespielt, ein Highlight des Films. Der zarte Ansatz einer Love Story Rockys mit der Kellnerin Marie (Geraldine Hughes) geht in Ordnung, wenn auch die Kumpelbeziehung zu deren Sohn Steps (James Francis Kelly III) eine Spur zur sehr in die Sozialromantik abrutscht.
Dramaturgisch zentriert Stallone seine Geschichte mutig auf die Charaktere und deren Entwicklung. Bis zum großen Finale hält sich der Actionanteil sehr in Grenzen, selbst der legendäre Trainingspart fällt sehr kurz und knapp aus, ist dem Regisseur lediglich eine flotte Collage wert. Die Intention, sich mit dem neuen Teil auf das Original zu beziehen, ist unübersehbar. Deswegen zitiert Stallone auch freudig aus Rocky, zeigt Bilder von Talia Shire und was aus den alten Orten wie der Boxhalle, der Eislaufhalle oder Adrians Zoogeschäft geworden ist. Der Anspruch von Teil 1 und 2 ist zurück, der spaßige Action-Trash von 3 und 4 vergessen.
Sylvester Stallone ist also wider Erwarten aufgestanden und hat ein beachtenswertes Comeback hingelegt, das zwar nicht die Qualität, Wucht und Tiefe des ersten Teils aufweist, aber mit allen anderen mithalten kann. Mitunter wirkt „Rocky Balboa“ ein wenig zu träge und Stallone übertreibt es mit der Lethargie. Dazu fehlt die explosive Dramatik der Trashteile und es ist an einigen Stellen nicht zu übersehen, dass Stallone nun wahrlich kein Skript-Genie ist, aber er legt noch einmal soviel Herzblut in die Sache, dass man letztendlich doch den Hut ziehen muss. Die von vielen befürchtete Blamage ist „Rocky Balboa“ nicht ansatzweise. Im Gegenteil, der Abschluss ist nah am Niveau von Teil 2, besser als drei und vier (als fünf sowieso)... Diese Leistung hätte dem New Yorker wohl kaum noch jemand zugetraut. Chapeau, Sly!