Regisseur Billy Ray hat anscheinend ein Faible für das Label „Based on a true story“. Nachdem er sich mit seinen Drehbüchern zum Bruce-Willis-Erotik-Thriller „Color Of Night“, dem Katastrophenfilm Volcano und dem Kriegsdrama Das Tribunal in Hollywood einen Namen gemacht hat, nahm er sich bereits für sein Regiedebüt eine wahre Begebenheit als Ausgangspunkt: In „Shattered Glass“ spielte Anakin-Skywalker-Darsteller Hayden Christensen den jungen Journalisten Stephen Glass, der mit komplett frei erfundenen Artikeln zum Starreporter der „The New Republic“ aufstieg. Mit den Mitteln eines Kammerspiels, aber spannend wie ein Thriller lotete Ray in diesem Film die alltäglichen Abgründe seiner Hauptfigur aus. Auch für seine zweite Regiearbeit, den Agenten-Thriller „Breach“, wählte er nun eine ähnliche Herangehensweise. Der verdiente FBI-Mitarbeiter Robert Hanssen wurde im Februar 2001 als Verräter enttarnt, er hatte die Identitäten von mehr als 50 amerikanischen Agenten und andere bedeutende Staatsgeheimnisse an den KGB weitergegeben - einer der schlimmsten aufgedeckten Fälle von Spionage in der Geschichte der USA überhaupt. „Breach“ erzählt von den letzten zwei Monaten vor der Verhaftung, Hanssen ist intern längst entlarvt, man wartet nur noch auf den letzten, unumstößlichen Beweis. Und wieder gelingt es Ray dabei bravourös, tief in die verstörten Seelen seiner Protagonisten zu blicken.
„A betrayal of trust by an FBI Agent – who is not only sworn to enforce the law, but specifically to help protect our nation´s security – is particulary abhorrent. This kind of criminal conduct represents the most traitorous action imaginable against a country governed by the rule of law. It also strikes at the heart of everything the FBI represents: the commitment of over 28.000 honest and dedicated men and women who work diligently to earn the trust and confidence of the American people every day.“
(der frühere FBI-Direktor Louis J. Freeh zur Verhaftung von Robert Hanssen)
Als der ehrgeizige FBI-Jungspund Eric O´Neill (Ryan Phillippe) seinen neuen Auftrag zugewiesen bekommt, ist er zunächst gar nicht begeistert. Er muss als persönlicher Sekretär des eigenbrötlerischen Sowjet- und IT-Experten Robert Hanssen (Chris Cooper) anfangen, um diesen zu überwachen. Hanssen soll neben seiner Arbeit als FBI-Agent auch noch einer speziellen Vorliebe für sexuelle Perversionen fröhnen, die dem Image des Bureau großen Schaden zufügen könnte. Eric lernt seinen neuen Boss allerdings als streng religiösen, liebevollen Ehemann und Großvater kennen, kann sich so einfach nicht vorstellen, dass hinter der blütenweißen Fassade solch dunkle Geheimnisse lauern. Als er seine Führungsagentin Kate Burroughs (Laura Linney) zur Rede stellt, ihr vorwirft, Hanssen lediglich aus nur fadenscheinigen Gründen ausboten zu wollen, legt diese die Karten gezwungenermaßen offen auf den Tisch. Es geht in Wahrheit gar nicht um Hanssens Online-Sexgeschichten, vielmehr wurde dieser schon vor längerer Zeit als zum KGB übergelaufender Spion enttarnt, der haufenweise Staatsgeheimnisse übermittelt und so nachweislich mindestens zwei US-Agenten das Leben gekostet hat...
Im Grunde ist „Breach“ eine Art Kammerspiel-Variante von Tony Scotts Action-Reißer Spy Game – ohne die schnellen Schnitte und krachenden Explosionen, dafür aber mit hervorragend ausgearbeiteten Charakteren beschreibt er das durch möglichen Verrat zum bersten angespannte Verhältnis zweier FBI-Agenten. Zum erzählen dieser wahren Geschichte nutzt Regisseur Ray die wenigen, sehr reduziert eingesetzten filmischen Mittel geschickt aus, um der verwinkelten Natur seiner Figuren auf die Spur zu kommen. Und dabei geht Ray ganz und gar nicht genretypisch vor: Statt ein Who-Done-It zu inszenieren, ist in „Breach“ beinahe von Anfang an klar, was Hanssen gemacht hat. Nun geht es nur noch darum, seine komplexe Persönlichkeit zu durchschauen und das psychologische Katz-und-Maus-Spiel mit ihm für die eigene Seite zu entscheiden. Dass dieser ungewöhnliche Ansatz beileibe nicht weniger spannend als der gewöhnliche ist, verdankt der Film der guten Mischung aus herkömmlichen Thrillermomenten (etwa wenn O´Neill Hanssen irgendwie lange genug von der Rückkehr ins Büro abhalten muss, weil andere Agenten gerade das Auto des Verdächtigen in Kleinstteile zerlegen) und der Anspannung, die Ray schon in jenen Szenen zu erzeugen versteht, in denen O´Neill und Hanssen lediglich – sich stets belauernd – über ganz alltägliche Dinge wie Glauben oder Familie diskutieren.
„Breach“ basiert auf einem sehr präzise ausgearbeiteten Drehbuch, aber daran, dass das Agentenspiel auch ausgerollt auf der großen Leinwand so intensiv und spannend rüberkommt, hat das sich perfekt ergänzende Hauptdarsteller-Duo ebenso einen riesigen Anteil. Oscar-Preisträger Chris Cooper (Adaption, Seabiscuit, American Beauty, Jarhead) spielt den Vaterlandsverräter Robert Hanssen zwischen väterlichem Freund, missverstandenem und unterschätztem Agenten und diabolischem Widersacher. Dabei unterstreicht er jede dieser Nuancen seiner Rolle mit einer schier unglaublichen Leinwandpräsenz. Sicherlich nicht jeder hätte Posterboy Ryan Phillippe (Gosford Park, Flags Of Our Fathers) vorab zugetraut, mit Schauspiel-Schwergewicht Cooper mithalten zu können, noch dazu weil seine Rolle als aufstrebender Jungagent bei weitem nicht so dankbar wie die seines Gegenspielers angelegt scheint. Doch irgendwie erinnert das Zusammenspiel der beiden ein wenig an Das Schweigen der Lämmer. Auch hier musste sich Jodie Foster im Schatten der alles überragenden Präsenz eines kannibalischen Anthony Hopkins irgendwie ihren Platz freischaufeln, ein Oscar für beide war die verdiente Belohnung. In „Breach“ meistert Phillippe dieses Kunststück im Schatten von Cooper nun ähnlich brilliant.
Fazit: „Breach“ ist ein reduziert, aber geschickt inszeniertes Agenten-Kammerspiel, das vor allem dank dem komplexen und hochspannenden Katz-und-Maus-Spiel seiner beiden großartigen Hauptdarsteller auf ganzer Linie überzeugen kann.